Michael Trauthig, Politikredakteur bei der Stuttgarter Zeitung. Foto: Norbert J. Leven

Der StZ-Redakteur Michael Trauthig spricht in der Zehntscheuer über die Krise der Kirchen.

Echterdingen/Möhringen - Was sich in den vergangenen Wochen in Rom abgespielt hat, ist in seiner Tragweite heute noch nicht absehbar. Vielleicht schlagen die Erwartungen an Papst Franziskus jedoch bald in Ernüchterung um.“ Das sagte Michael Trauthig, Redakteur bei der Stuttgarter Zeitung und Experte für Kirchenfragen, am Dienstag beim Pressestammtisch des Stadtseniorenrates und der Filder-Zeitung. Sein Thema: Die Kirchen werden immer leerer; wie die großen Konfessionen auf den Mitgliederschwund reagieren.

Nach den Worten von Trauthig prägt das Abbröckeln der kirchlichen Fundamente in den Gemeinden den Alltag viel stärker als die Ereignisse in Rom. „Der Glaube schwindet“, sagte er. „Die Kirchen verlieren an Bedeutung.“ Diese These belegte der Referent mit Zahlen: Während zwischen 1871 und 1970 die Zahl der Konfessionslosen in der westdeutschen Bevölkerung mit 3,9 Prozent nahezu konstant war, liegt sie heute im wiedervereinigten Deutschland bei mehr als 34 Prozent. 1980 gab es im Durchschnitt acht Millionen katholische Gottesdienstbesucher, heute sind es drei Millionen. Bei den Protestanten gehen nur noch vier Prozent regelmäßig in die Kirche.

„Insel der Glückseligen“

„In ein paar Jahren werden die Christen in Deutschland in der Minderheit sein“, erklärte der promovierte Historiker. Baden-Württemberg sei hier noch eine „Insel der Glückseligen“. Hier seien noch mehr als zwei Drittel der Menschen Mitglied in einer der beiden großen christlichen Kirchen. In den neuen Bundesländern seien es nur 20 Prozent.

Eine der Ursachen dafür sieht Trauthig in der demografischen Situation. Die Taufe ihrer Kinder sei für die heutigen jungen Eltern nicht mehr selbstverständlich. In den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg wurden noch neun von zehn Babys getauft. Heute ist es gerade mal die Hälfte. Trauthig: „Mit dem Verzicht auf die Taufe ist in der Regel eine Entscheidung gegen jede Religion gefallen.“ Nach Ansicht des Referenten schreitet die Säkularisierung unerbittlich voran. „Viele junge Leute brauchen keinen Gott mehr. Der Glaube spielt für sie keine Rolle.“ Trauthig erwähnte, dass die Kirchen oft ihren eigenen Maßstäben nicht gerecht würden. Beispiele dafür sei der Umgang mit den Missbrauchsskandalen oder die Abweisung eines mutmaßlichen Vergewaltigungsopfers in einem katholischen Krankenhaus in Köln.

Auch die Zahl der Katholiken sinkt weiter

In der evangelischen Kirche wird bis zum Jahr 2030 noch einmal ein Mitgliederrückgang um ein Drittel erwartet, sagte Trauthig. Auch die Zahl der Katholiken sinke weiter. Deshalb werden Pfarrstellen gestrichen, Immobilien verkauft, größere Seelsorgeeinheiten geschaffen.

Die großen Kirchen sparen. Darin sieht Trauthig aber auch eine Gefahr: „Die Zukunft der Kirchen entscheidet sich dort, wo Gottes Bodenpersonal den Menschen begegnet.“