Ein fast zweijähriges Gesetzgebungsverfahren geht zu Ende: Der Bundesrat entscheidet am Freitag über das Erbschaftsteuerrecht. Foto: dpa

Der Bundesrat entscheidet am Freitag über die Reform der Erbschaftsteuer. Hermann-Ulrich Viskorf, ehemaliger Vizepräsident des Bundesfinanzhofs, hat verfassungsrechtliche Zweifel. Die Regelungen für große Familienunternehmen bezeichnet er als Vorschriften für Pechvögel.

Berlin - Hermann-Ulrich Viskorf, ehemaliger Vizepräsident des Bundesfinanzhofs, hat früher mit seinem Senat die Vorlagen zur Erbschaftsteuer für das Verfassungsgericht verfasst. Der Bundesfinanzhof hatte mehrfach Zweifel an der Verfassungsgemäßheit. Auch im neuen Erbschaftsteuergesetz sieht Viskorf Mängel. Er ist heute als Berater für die Sozietät Taylor Wessing tätig.

Herr Viskorf, Bund und Länder haben ein Jahr und neun Monate über die Erbschaftsteuerreform verhandelt. Sogar die Parteichefs der großen Koalition führten die Gespräche. Und Sie sagen, es sei kaum etwas Substanzielles herausgekommen?
Das ganze Gesetzgebungsverfahren ist von Taktieren geprägt gewesen. Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble hat früh einen Entwurf präsentiert, in dem man das Bemühen erkennen konnte, den Vorgaben des Verfassungsgerichts entsprechend zu substanziellen Änderungen zu gelangen. Dieses Bemühen ist im Verlauf schwächer geworden. Den Beteiligten ging es darum, Maximalforderungen durchzusetzen.
Wie fällt Ihre Bewertung aus?
Das Bundesverfassungsgericht hat die pauschale Verschonung für große Betriebsvermögen ohne Bedarfsprüfung beanstandet. Zwar wird es künftig bei Übertragungen von Betriebsvermögen im Wert von mehr als 26 Millionen Euro spürbare Belastungen geben. Es ist aber absehbar, dass diese durch Ausweichgestaltungen leicht vermieden werden können und nur für eine geringe Zahl von Erben von Bedeutung sein werden. Das Verfassungsgericht hat ferner eine wirksame Arbeitsplatzkontrolle auch für kleinere Betriebe gefordert. Die Anzahl der Betriebe, die unter die Lohnsummenkontrolle fallen, wird zwar zukünftig deutlich ansteigen, die Anforderungen an den Arbeitsplatzerhalt aber soweit heruntergefahren, dass ein Anreiz für den Betriebserben, Arbeitsplätze zu erhalten, kaum noch erkennbar ist, weil dieser ohne steuerliche Auswirkungen bis zu 50 Prozent der Arbeitnehmer entlassen kann.
Finanzminister Wolfgang Schäuble hat von Anfang an gesagt, es gehe um ein „minimalinvasives“ Korrekturgesetz. War nicht klar, dass es nie um eine grundlegende Reform ging, sondern nur Anpassungen an die Rechtsprechung?
Auch wenn man sich auf diesen Standpunkt stellt, hätte es im Ergebnis zu einer substanziellen Änderung bei der Steuerbelastung kommen müssen. Das gilt vor allem für große Betriebsvermögen. Der Gesetzgeber hat die neuen Regeln aber so gestaltet, dass sie leicht umgangen werden können und nur für ganz wenige Erben großer Betriebsvermögen Bedeutung haben werden. Mein Fazit lautet: Das Ziel wurde verfehlt.
Für Familienunternehmen mit sogenanntem Verwaltungsvermögen, dazu zählen Bankguthaben und Beteiligungen bis 25 Prozent, fällt mehr Erbschaftsteuer an. Damit kommt es unweigerlich zu Mehrbelastungen.
Es gehörte zu den schwerwiegendsten Mängeln der alten Rechtslage, dass Unternehmenserben auch Privatvermögen mithilfe der Betriebsvermögensverschonung steuerfrei erwerben konnten. Diese Möglichkeiten werden jetzt deutlich eingeschränkt. Das Betriebsvermögen erfährt aber durch diese Maßnahmen keine steuerliche Mehrbelastung. Durch die Besteuerung des Verwaltungsvermögens, bei dem es sich regelmäßig um privates Vermögen handelt, wird ein grob gleichheitswidriger Zustand beseitigt und die Unternehmenserben hinsichtlich des Privatvermögens genauso behandelt wie andere Erwerber, die kein Betriebsvermögen erben.
Das Verfassungsgericht hat immer gesagt, dass Betriebsvermögen wegen der Bedeutung für die Volkswirtschaft anders behandelt werden können kann als Privatvermögen. Sind Sie der Meinung, der Fiskus sollte bei Betriebsvermögen stärker zuschlagen?
Die Frage ist falsch gestellt. Bei der Erbschaft- und Schenkungsteuer liegen die Höchststeuersätze zwischen 30 und 50 Prozent. Bei so hohen Sätzen muss Betriebsvermögen weitgehend verschont werden. Die Gretchenfrage lautet: Ist es notwendig, Betriebsvermögen vollständig von der Erbschaftsteuer zu befreien? Ich bin der Ansicht, auch ein Firmenerbe ist in einem gewissen Umfang leistungsfähig. Das sieht auch das Verfassungsgericht so. Der Firmenerbe ist per se leistungsfähig, es sei denn, er beweist das Gegenteil.
Ein Teil der Neuerung besteht darin, dass Erben großer Familienunternehmen die Hälfte des Privatvermögens einsetzen müssen, um die Steuerschuld für den betrieblichen Teil zu begleichen. Warum sind Sie von dieser Regelung nicht überzeugt?
Diese Regelung wird nur für eine Handvoll von Fällen im Jahr von Bedeutung sein. Die Vorschrift ist unter mehreren Gesichtspunkten bemerkenswert. Es muss nicht nur die Hälfte des ererbten Privatvermögens eingesetzt werden, um die Erbschaftsteuer auf das Betriebsvermögen zu begleichen, sondern auch das beim Betriebserben im Zeitpunkt des Erwerbs schon vorhandene Privatvermögen. Dasselbe gilt auch bei einem Erwerb von Todes wegen oder bei Schenkungen von Privatvermögen im Zehnjahreszeitraum nach dem Erwerb. Auch hier muss jeweils wieder die Hälfte des Erwerbs oder des Geschenks abgegeben werden. Der Erwerb von Privatvermögen kann sich dann ganz schnell in Luft auflösen, weil die auf diesen Erwerb entfallende Erbschaft- oder Schenkungsteuer bei der Berechnung der 50-Prozent-Quote nicht berücksichtigt wird. Dass gegen diese überzogene Regelung kein Sturm gelaufen wurde, liegt daran, dass die Regelung nur für ganz wenige Pechvögel zur Anwendung kommt.
Für große Familienunternehmen bietet das Gesetz als Alternative zur Bedürfnisprüfung das Abschmelzmodell an: Damit kann Vermögen bis zu 90 Millionen Euro zum Teil pauschal verschont werden. Widerspricht das nicht der Vorgabe des Gerichts, das verlangt hat, bei hohen Betriebsvermögen nur begründete Ausnahmen zuzulassen?
Ich halte das Abschmelzmodell für den einzig richtigen Weg. Das Problem ist: Die künftige Regelung sieht vor, dass die Verschonung mit steigendem Betriebsvermögen zu schnell und zu weitgehend, nämlich auf null, abnimmt. Das macht das Modell völlig unattraktiv. Die Lösung ist allenfalls noch für solche Erwerber interessant, die knapp über der 26-Millionen-Euro-Grenze liegen. Für größere Übertragungen ist die Variante uninteressant. Das Abschmelzen des Verschonungsabschlags auf null ist von der Verfassung her gar nicht erforderlich. Es hätte völlig ausgereicht, den Abschlag bei kleineren bis mittleren Betrieben auf 70 bis 80 Prozent, bei größeren Einheiten auf bis zu 50 Prozent zurückzuführen. Ich bin der Meinung, Bund und Länder hätten das Abschmelzmodell ausbauen müssen. Dies wäre ein Beitrag zu einer deutlichen Steuervereinfachung gewesen und hätte das Gesetz deutlicher von der Grenze zur Verfassungswidrigkeit abgesetzt. Der Anspruch, Betriebsvermögen vollständig zu verschonen, ist das eigentliche Problem.
Drei Mal schon musste sich das Bundesverfassungsgericht in der Vergangenheit mit der Erbschaft- und Schenkungsteuer befassen. Halten Sie das vorliegende Gesetz jetzt für verfassungsfest?
Das Testat „verfassungsfest“ möchte ich nicht erteilen. Das liegt daran, dass der Gesetzgeber das Grundproblem nicht anpackt. Die Krux liegt darin, dass Privatvermögen zum Teil übermäßig hoch besteuert und Betriebsvermögen vollständig freigestellt wird. Das passt nicht zusammen. An der Grenzlinie zwischen Vollverschonung auch großer Vermögen und der Hochbesteuerung selbst kleinerer Vermögen gibt es keine – am Gleichheitssatz gemessen – überzeugenden Lösungen.
In der Wissenschaft wird für die Erbschaftsteuer ein niedriger Einheitssteuersatz gefordert, wie ihn der Ex-Verfassungsrichter Paul Kirchhof anregt. Scheitert dieses Modell nicht daran, dass für große Unternehmen ein niedriger Steuersatz ohne Ausnahmen eine erhebliche Belastung darstellt?
Die Betriebswirtschaft ist sich völlig einig, dass ein Betriebserbe bei einer großzügigen Stundungs- und Ratenzahlungsmöglichkeit über zehn Jahre einen Steuersatz von zehn Prozent ohne Schwierigkeiten verkraften kann. Dies würde bedeuten, dass jährlich ein Prozent des Betriebswerts aus dem Gewinn abgeführt werden müsste. Das ist überhaupt kein Problem. Solch eine Regelung würde weder den Betrieb noch die Arbeitsplätze gefährden.

Das Gespräch führte Roland Pichler.