Die „rote Heide“ wird die ehemalige Entwicklungsministerin noch heute in der SPD genannt: Heidemarie Wieczorek-Zeul. Foto: dpa

Europa muss in der Entwicklungshilfe Lücken schließen, die von den USA hinterlassen werden, meint Ex-Entwicklungsministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul vor dem G20-Afrika-Gipfel in Berlin.

Berlin - In Berlin treffen sich am Montag unter deutscher Schirmherrschaft Vertreter der bedeutendsten Industrienationen in der G20-Runde, um mit afrikanischen Ländern Reformpartnerschaften zu beschließen. Private Investoren sollen so auf den Geschmack kommen. Die ehemalige Entwicklungsministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul (SPD) kritisiert, dass dies wenig nutzt, solange Wirtschaftsräume wie Europa ihre Märkte abschotten.

Das G-20-Format der wichtigsten Industrienationen ist in einem kritischen Zustand. Was haben dann solche G20-Konferenzen wie jene zur Zukunft Afrikas in Berlin an diesem Montag überhaupt noch für einen Sinn?
Natürlich sind das Verhalten der USA und die Aufkündigung des Klimavertrags von Paris ein massiver Schlag gegen internationale Kooperation. Trotzdem oder vielleicht sogar gerade deswegen ist es wichtig, dass solche Konferenzen stattfinden. Allein schon deshalb, weil die US-Vertreter dort direkt konfrontiert werden mit den afrikanischen Partnern, in deren Ländern sehr schnell ein grausam hoher Preis für die Folgen der aktuellen Politik des US-Präsidenten Donald Trump gezahlt werden müsste.
Muss man in der Entwicklungspolitik zusehen, wie man ohne die USA klar kommt?
Man muss sich jedenfalls sehr bemühen, die europäische Entwicklungspolitik auszubauen. Wir hatten, wenn auch in deutlich geringerem Ausmaß, bereits eine sehr schwierige Lage, als George W. Bush Präsident war. Der hatte, was unter Trump auch wieder geschehen ist, die Finanzierung des Weltbevölkerungsfonds aufgekündigt. So ein Schritt ist gerade in Afrika eine Katastrophe, weil dieser Fonds Frauen Familienplanung ermöglicht und finanziert. Damals hat Europa die wegfallenden Mittel ausgeglichen. Das wird man nun nicht in allen Bereichen schaffen, aus denen sich die USA zurückziehen wolle, aber man muss in diese Richtung gehen.
Welche Auswirkungen hat der faktische Ausstieg der USA aus Klimaschutz und Entwicklungszusammenarbeit noch für den afrikanischen Kontinent?
Vom Rückzug aus dem Weltbevölkerungsfonds habe ich schon gesprochen. Die Republikaner streben aber auch an, bei der Bekämpfung von Aids die Mittel zu kürzen, ebenfalls mit dramatischen Auswirkungen für Tausende von Menschen. Beim Klimawandel ist für die afrikanischen Länder besonders bedrohlich, dass auch die zugesagte Finanzierung von Investitionen in Energieeffizienz und in Schutzmaßnahmen vor den Folgen des Klimawandels von Trump aufgekündigt wurde. Das ist ein Verbrechen an der Zukunft der betroffenen Menschen.
Ist das krisengebeutelte Europa überhaupt in der Lage, in der Entwicklungspolitik geeint vorzugehen?
Natürlich ist die Situation kompliziert, aber in diesem Fall gibt es keine andere Alternative. Ich hoffe, dass der Trump-Schock dazu führt, dass sich die europäischen Länder am Riemen reißen und übrigens auch die Kommission und das Europaparlament in der Zusammenarbeit mit Afrika endlich deutlich engagierter vorangehen. Klar ist: Wenn wir jetzt nicht ökologisch und ökonomisch umsteuern, wenn wir die Erderwärmung nicht in Grenzen halten, werden gigantische Naturkatastrophen und Kriege um Wasser und Ressourcen Flüchtlingsbewegungen in ungeahntem Ausmaß in Gang setzen. Deswegen wäre dem Frieden auch mehr gedient, wenn nicht, wie die USA das fordern, die Rüstungs-, sondern stattdessen die Entwicklungsbudgets massiv aufgestockt würden.

Das Problem mit den Handelsbarrieren

China könnte jetzt eine stärkere Führungsrolle übernehmen, auch in der Entwicklungspolitik. In Afrika sind die Erfahrungen mit chinesischen Investitionen allerdings nicht die besten…
Das chinesische Engagement in Afrika ist in der Tat oft zu Recht kritisiert worden. Beklagt werden Produktpiraterie und die Ausbeutung heimischer Arbeiter. Oft werden auch chinesische Arbeiter eingesetzt, was dazu führt, dass die heimische Bevölkerung von Großprojekten überhaupt nicht profitiert und lediglich die negativen Auswirkungen zu spüren bekommt. Ich hoffe sehr, dass die G20-Gespräche dazu führen, dass die Zusammenarbeit mit China, aber auch mit allen anderen G20-Ländern, in der Entwicklungspolitik nachhaltiger wird.
Muss sich auch Deutschland Kritik gefallen lassen? Der Wert der Entwicklungspolitik wurde von vielen erst erkannt, als die Flüchtlinge kamen.
Das ist leider so. Wir müssen dringend lernen, in der Entwicklungspolitik über den Tellerrand der eigenen Landesgrenzen hinauszublicken. Wir haben mit den UN-Nachhaltigkeitszielen bereits eine Perspektive für eine sozialökologische Transformation, die in allen Ländern notwendig ist – und zwar aus purem Eigeninteresse. Auch die internationalen Organisationen müssen sich endlich einem Nachhaltigkeits-TÜV unterziehen, denn auch die Welthandelsorganisation und die Weltgesundheitsorganisation sind diesen Nachhaltigkeitszielen verpflichtet. Dafür muss sich die Bundesregierung stärker einsetzen.
Hat die Bundesregierung die richtigen Lehren gezogen?
In den Reden wird viel Richtiges gesagt. Aber bisher bleibt unsere verfehlte Handelspolitik völlig unterbelichtet, auch bei der anstehenden G20-Afrika-Konferenz. Die Europäische Union muss endlich einen besseren Marktzugang für Produkte aus Afrika zum Europäischen Binnenmarkt eröffnen. Man muss außerdem dringend Regeln beschließen, mit denen die Kapitalflucht aus Afrika und die Steuerhinterziehung unterbunden werden. Die G20-Beratungen wären eine hervorragende Gelegenheit, über solche Fragen zu sprechen.
Mit dem „Compact with Africa“ will die Bundesregierung bei der G20-Konferenz privaten Investoren in Ländern, die sich zu Reformen verpflichten, den Weg ebnen. Auch der so genannte „Marshall-Plan“ aus dem Entwicklungsministerium zielt in diese Richtung. Geht es da ums Geschäft oder um die Zukunft der Menschen vor Ort?
Im Idealfall haben alle was davon. Investitionen in Energieeffizienz und Klimaschutz sind dringend notwendig, und wenn das dann auch Jobs vor Ort schafft, ist gegen das Geschäft hiesiger Unternehmen überhaupt nichts einzuwenden. Ein guter Ansatz in den Konzepten ist außerdem, bei der Berufsausbildung enger zusammenzuarbeiten. Und auch die Überlegungen für einen verbesserten Zugang zu Kleinkrediten sind zu begrüßen. Aber wie gesagt: das größte ökonomische Entwicklungshemmnis sind die Handelsbarrieren. Und da geschieht noch viel zu wenig.