Ein Bild aus besseren Tagen: Generalmajor Walter Spindler, bis zum 27. April Kommandeur des Ausbildungskommandos des Heeres. Foto: dpa

Vier Soldaten fechten an diesem Mittwoch vor Gericht ihre Entlassung wegen angeblicher Skandale in der Bundeswehr an. Generälen bleibt dieser Weg verwehrt. Doch warum er geschasst wurde, versteht auch Walter Spindler nicht. Damit steht er nicht allein.

Müllheim - Walter Spindler zündet sich eine Zigarette an und trinkt aus einem Becher Kaffee mit Milch. Nein, mit seinen Streitkräften werde er zeitlebens nicht brechen, versichert er auf der Terrasse seines Hauses in Müllheim im Dreiländereck Deutschland, Schweiz, Frankreich. Nach Selbstverständlichkeit klingt das nicht. Schließlich hat der Generalmajor im April aus einem Online-Nachrichtenmagazin erfahren, dass ihm Verteidigungsministerin Ursula von Leyen wegen angeblich skandalöser Umtriebe in seinem Amtsbereich den Befehl über das Ausbildungskommando des Heeres in Leipzig entzogen und ihn auf einen Posten versetzt hat, auf dem er noch ein paar bürokratische Restaufgaben erfüllt. „Aber diese stil- und würdelose Art, die Misstrauen schürt und die Bundeswehr in eine Loyalitäts- und Vertrauenskrise stürzt, wird mir immer fremd sein“, sagt Spindler unserer Zeitung. Die Verbitterung ist nicht zu überhören.

Rückblende in ein Manöver im Jahr 1993: Der junge Bataillonskommandeur Spindler zündet sich eine Zigarette an und trinkt aus einem Becher Kaffee mit Milch. Dabei läuft der Krieg gerade aus dem Ruder. Für Spindler, für die Offiziere und Feldwebel seines Stabes. Sie haben die Absichten des Feindes falsch bewertet. Nur unvollständig haben sie erkannt, wie die vorgesetzte Brigade das Gefecht führen will. Zum Überdruss taucht der Kommandeur der Brigade im Gefechtsstand auf, um zu sehen, wie der Stab des Panzergrenadierbataillons 72 arbeitet. Spindler hat die Ruhe weg: „Wir machen das noch mal, meine Dame, meine Herren“, entscheidet er. „Wer Hilfe braucht, meldet sich.“

Exzellenter Ausbilder

Der Offizier, damals im Rang eines Oberstleutnants, macht sich an die Befehle, mit denen sein Bataillon in den Übungskrieg ziehen will. Hier hilft er einem Major bei Formulierungen, da analysiert er mit einem Oberleutnant die Lagekarte. Zwischendurch witzelt er mit einem Hauptfeldwebel. „Sie sind ein exzellenter Ausbilder, Herr Spindler“, bescheinigt ihm der Brigadekommandeur. Von dem Lob ist 24 Jahre später nichts mehr übrig, als von der Leyen den Zwei-Sterne-General absetzt. Seine erzwungene Demissionierung entnimmt der Betroffene dem Online-Magazin. Das titelt: „Von der Leyen feuert ihren Chefausbilder!“

Die Ministerin wirft Spindler vor, bei den angeblichen sexuell-sadistischen Praktiken im Ausbildungszentrum Spezielle Operationen im baden-württembergischen Pfullendorf sowie im Feldwebel- und Unteroffizieranwärterbataillon 1 im thüringischen Sondershausen nicht energisch genug ermittelt zu haben. „Widerwärtig und abstoßend“ seien die Vorfälle gewesen, predigt die Christdemokratin landauf, landab.

Inzwischen aber hat die für die Pfullendorfer Kaserne zuständige Staatsanwaltschaft in Hechingen ihre strafrechtlichen Ermittlungen eingestellt. Die Ermittler kommen zum Schluss, dass „Tatbestände von Strafvorschriften gegen die sexuelle Selbstbestimmung oder nach sonstigen Strafvorschriften nicht verwirklicht“ wurden. Keine drei Wochen nach Spindlers Amtsenthebung kommen die Ankläger damit zu einem anderen Ergebnis als von der Leyen und ihr Haus – auch wenn sie dieselben fünf Aktenordner mit 106 Vernehmungen ausgewertet haben: die Ermittlungen Spindlers und seines Stabes.

„Entschuldigen Sie sich und geben Sie ein Bier aus!“

Das ist der Hintergrund, vor dem der aus dem Amt Gejagte sagt: „Mich verletzt zutiefst, dass mir unterstellte Soldatinnen und Soldaten, aber auch Standorte wie Pfullendorf oder Sondershausen durch das Ministerium und seine Leitung pauschal, beständig und in einem verantwortungslosen Maße beschädigt wurden. Mit Vorwürfen, denen in ihrer Absolutheit jedwede Grundlage fehlte.“

Als in seinem Bataillon 1994 Soldaten ihren Kameraden Ecstasy und Cannabis verkaufen, fackelt der Panzergrenadier nicht lange. Er kontaktiert das Hamburger Landeskriminalamt. Dessen Ermittler beobachten tagelang die Verdächtigen, dann öffnet der Kommandeur die Tore der Kaserne für eine groß angelegte Razzia. Drei Beschuldigte werden festgenommen und später verurteilt, einer zu anderthalb Jahren Gefängnis. Viele Kommandeure hätten schon deshalb nicht so durchgegriffen, weil es ihre Karriere hätte gefährden können.

Spindler war das in Deutschland ebenso gleichgültig wie in Afghanistan. Als dort zwei seiner Soldaten eine Bierdose auf die Fahne der ebenfalls Spindler unterstellten Spanier werfen, schlagen militärische wie diplomatische Wellen hoch. Doch als die Schreckensnachricht in Berlin hektische Betriebsamkeit auslöst, hat Spindler in Kabul den Konflikt längst auf seine Weise gelöst: Den Werfern hat er befohlen, den Stab der Spanier zu besuchen, sich dort zu entschuldigen und ein Bier auszugeben. „Ich hatte nie vor und nie nach ihm einen Kommandeur, der so vorausschauend, wertschätzend und inspirierend führte“, sagt einer der französischen Regimentsführer, die Spindler als Kommandeur der Deutsch-Französischen Brigade unterstanden.

Mafiöse Strukturen in der Truppe?

„Ein vorzüglicher Offizier, der mich mit seiner Gradlinigkeit, seiner Offenheit und seinem Rückgrat immer tief beeindruckte“, sagt Bruno Kasdorf, bis 2015 Inspekteur des Heeres. Die Amtsenthebung des Chefausbilders des Heeres ist aus zwei Gründen für ihn unverständlich. Zum einen vertraute er dem 63 Jahre alten Spindler das Ausbildungskommando mit seinen zwölf Ausbildungseinrichtungen an. Zum anderen, weil er sich darüber wundert, dass Generalinspekteur Volker Wieker im Zusammenhang mit Pfullendorf von „mafiösen Strukturen“ in der Truppe sprach. „Dann hätte sich seit meiner Pensionierung das Heer aber dramatisch verändert“, sagt Kasdorf sarkastisch.

Die Missbrauchsvorwürfe kamen mutmaßlich aus dem Verteidigungsministerium selbst – genau am 27. Januar, als Spindler seinen Abschlussbericht vorlegte, knapp drei Monate nachdem der General in einem Zwischenbericht dargelegt hatte, dass sich die Vorwürfe entweder nicht erhärten ließen, auf Hörensagen basierten oder Mängel in der Sanitätsausbildung wie das pietätlose Abtasten nach Wunden im Genitalbereich durch Befehle längst verboten waren.

Spindler wird im kommenden Monat pensioniert. Zumindest das war geplant.