Die Evangelische Kirche will mehr Menschen in den Sonntagsgottesdienst locken. Foto: dpa

Pfarrer predigen häufig vor ziemlich leeren Kirchenbänken. Nun will die Evangelische Kirche Gottes Wort abwechslungsreicher vermitteln. Erste Versuche gibt es auch im Südwesten.

Stuttgart/Düsseldorf - Sonntagmorgen in der Kirche: viele leere Bänke. Und nicht jeder der anwesenden Gottesdienstbesucher scheint von der Predigt des Pfarrers gefesselt zu sein. So manche Augenlider werden schwer. Die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) will das nun ändern und Gottes Wort abwechslungsreicher vermitteln. In etwa 5000 Gemeinden bundesweit wird derzeit eine neue Ordnung für Lese- und Predigttexte erprobt.

Es sollen mehr Texte im Gottesdienst gelesen werden, um dem Reichtum der biblischen Geschichten gerecht zu werden. Der Anteil des Alten Testaments an den Texten wird von einem Fünftel auf fast ein Drittel erhöht. Psalmen dürfen jetzt Grundlage von Predigten sein und werden ausführlicher gelesen. Dafür bekommen die theologisch recht anspruchsvollen Brieftexte (Episteln) weniger Gewicht. Auch neue Wochenlieder wurden aufgenommen.

Frank Zeeb, Referatsleiter für Theologie und Gottesdienst bei der Evangelischen Landeskirche Württemberg, erklärt, dass mit den Änderungen vor allem versucht wird, die Predigten stärker mit der Lebenswelt der Menschen zu verbinden. „Psalmen, zum Beispiel Psalm 23, haben für viele Menschen eine besondere Bedeutung“, erklärt Zeeb die Veränderung. Was das Alte Testament betrifft, beinhalte dies viele Geschichten, man denke an Abraham oder Mose. „Diese sind in der Regel eingängiger als dogmatische Perikopen.“ Hinzu kommt für den Theologen: „Wir müssen die Bibel in ihrer Gesamtheit ernst und auch das Alte Testament gebührend wahrnehmen.“

Für ihn persönlich besteht die wichtigste Änderung in einer besseren Durchmischung der Predigtgrundlagen. „Damit bietet das Kirchenjahr quasi einen Durchgang durch die ganze Bibel“, erklärt Zeeb. Bisher war es so, dass auf ein Jahr nur mit Evangelien-Texten ein Jahr mit den mühsam zu predigenden Episteln folgte. Eine weitere wichtige Änderung ist Zeeb zufolge, dass die Themen der einzelnen Sonntage, etwa Taufe oder Abendmahl, um nur zwei Beispiele zu nennen, schärfer hervortreten: „Die Wochenlieder passen zum Thema, der Wochenspruch wird verlesen, hinzu kommen die passenden Bibeltexte – so entsteht ein Klangteppich über den gesamten Gottesdienst.“

Zeeb schätzt, dass in der Evangelischen Landeskirche Württemberg rund 100 Gemeinden die neue Ordnung erproben. „In jedem Kirchenbezirk wurde mindestens eine Gemeinde gebeten, sich zu beteiligen. Damit der Versuch gut über das Land verteilt ist.“

Die Rückmeldungen werden von der Evangelischen Kirche in Deutschland über ein Online-Verfahren zentral erfasst.

Der normale Gottesdienstbesucher allerdings wird von den Veränderungen kaum etwas bemerken. Kann der Gottesdienst dann überhaupt attraktiver werden? „Ich sehe darin keinen Widerspruch“, sagt der Theologe. „Es kommt einfach darauf an, dass man am Ende etwas aus dem Gottesdienst mitnimmt, dass er stimmig war und einen roten Faden hatte.“ Dazu würden die Veränderungen beitragen.

Um die Kirchen wieder zu füllen, hat jetzt die westfälische Präses Annette Kurschus einen Vorschlag ins Spiel gebracht, der eine für alle fühlbare Veränderung bringen könnte: den morgendlichen Gottesdienst am Sonntag auf den Nachmittag oder Abend zu verlegen. „Der Vorschlag, spätere Gottesdienste anzubieten, ist nicht neu“, sagt Oliver Hoesch, Sprecher der Evangelischen Landeskirche in Württemberg. In der Landeskirche gebe es bereits eine ganze Reihe Gemeinden, die die Andacht am Sonntagmorgen und zu späteren Zeiten am Sonntag anbieten – etwa die Gedächtnis- und Rosenbergkirchengemeinde im Stuttgarter Westen.

Dass dennoch die große Zahl der Gottesdienste am Sonntagmorgen stattfindet, habe auch Vorteile: Neben der Verlässlichkeit für die Besucher sei die gemeinsame Gottesdienstzeit eine Verbindung mit den anderen Gemeinden im Land, die ebenfalls Gottesdienst feiern. „Und der Kirchgang am Sonntagmorgen strukturiert den Tag“, erklärt der Sprecher. Seiner Meinung nach gilt: „Früh ist gut, später geht auch – nur ein Sonntag ohne Gottesdienst ist nicht vorstellbar.“