Julia Samoilowa darf nicht in die Ukraine einreisen. Foto: TASS

Ein bisschen Frieden? Im Vorfeld des Song Contests in Kiew ist davon wenig zu spüren. Die Ukraine verbietet der russischen Teilnehmerin die Einreise. Eine Lösung des ESC-Konflikts ist nicht in Sicht - doch ein prominenter Sänger sieht sich als Alternative.

Kiew/Moskau - Ihr ganzes Leben hat Julia Samoilowa von ihrem Auftritt auf der ganz großen Bühne geträumt, wie die russische Sängerin sagt. Wochenlang hat die junge Frau an ihrer Bühnenshow für den Eurovision Song Contest in der ukrainischen Hauptstadt Kiew gearbeitet. Und sogar einen Englischlehrer für die schwierigen Zeilen ihres Liedes „Flame is Burning“ engagiert. Doch der Streit zwischen der Ukraine und Russland bringt die Flamme vorzeitig zum Erlöschen. Die Frau im Rollstuhl ist zwischen die Fronten eines hochexplosiven internationalen Konflikts geraten.

Nur wenige Tage dauerte es, bis der ukrainische Geheimdienst SBU nach ihrer Nominierung ein Einreiseverbot gegen die 27-Jährige verhängt. Der Grund: ein Auftritt im Sommer 2015 im Ferienort Kertsch auf der Halbinsel Krim. Dass Samoilowa auf der 2014 von Russland annektierten Krim aufgetreten war, dürfte Moskau bekannt gewesen sein. Die Ukraine sieht das als Provokation. Das Einreiseverbot sei der einzige Ausweg gewesen - auch um keinen Präzedenzfall zu schaffen, sagte der regierungsnahe Politologe Taras Beresowez.

Kiew wertet Reisen in die Region als Grenzverletzung, wenn sie ohne Zustimmung der ukrainischen Behörden geschehen. Sie werden mit einer mehrjährigen Einreisesperre geahndet - ohne Ausnahme. Samoilowa darf in den nächsten drei Jahren nicht in die Ukraine einreisen. In Russland wird die Entscheidung als Fehler und Dummheit bezeichnet. Die Beziehung zwischen den beiden Ländern ist wegen der Krim-Annexion und des Krieges in der Ostukraine seit einigen Jahr schwer belastet.

Samoilowa hat einen schweren Weg hinter sich: Als Kleinkind wird bei ihr eine schwere Muskelerkrankung diagnostiziert, bereits im Alter von drei Jahren sitzt sie im Rollstuhl. „Doch nur die Musik hat mir geholfen“, sagt Samoilowa in einem Interview. Bekannt wurde sie durch ihre Teilnahme an der TV-Show „Faktor A“ und als Sängerin bei der Eröffnung der Paralympics in Sotschi 2014.

Auch auf der Bühne sitzt Samoilowa im Rollstuhl

Auch auf der Bühne sitzt sie im Rollstuhl. In der Ukraine betrachtet man die russische Kandidatenkür als zynisches Spiel des Kremls. „Wer wird schon eine Rollstuhlfahrerin ausbuhen?“, fragt der bekannte Blogger Ilja Warlamow. Und würde die Ukraine der behinderten Frau die Einreise verweigern? Der Politologe Beresowez sagt dagegen: Es sei gerade darauf angelegt worden, dass ukrainische Zuschauer die Russin auspfeifen und herabwürdigen. „Das hätte man in Russland als Beleidigung für Menschen mit eingeschränkten Möglichkeiten in der Ukraine ausgeben können.“

Die Empörung der Russen über den Sieg der ukrainischen Sängerin Jamala mit einem ihrer Ansicht nach hochpolitischen Lied sitzt noch tief. Die Krimtatarin sang über die Vertreibung ihres Volkes unter Diktator Josef Stalin - und verwies damit in letzter Minute den favorisierten russischen Popstar Sergej Lazarew auf den dritten Platz. Beobachter behaupten nun: Russland habe im Wissen um die Krimreise von Samoilowa einen Eklat provoziert.

Auch der ukrainische Geheimdienst lässt wissen: „Es tut uns aufrichtig leid, dass die russischen Polittechnologen dieses Mädchen benutzt haben“, sagt der Berater des SBU-Chefs, Juri Tandit. Vor dem Gesetz seien aber alle gleich.

Auch die Veranstalter beim European Broadcasting Union (EBU) sind ratlos, wie das Dilemma um die russische Teilnehmerin gelöst werden könnte. „Wir sind schwer enttäuscht über diese Entscheidung“, heißt es in einer ersten Mitteilung. Man respektiere aber die Gesetze der Ukraine - auch wenn es gegen den „Geist des Wettbewerbes geht“. Die EBU hoffe, eine Lösung für Samoilowa zu finden. Ob per Liveschalte oder über eine andere Option lassen die Veranstalter jedoch offen.

Viele Russen sehen einen allgemeinen ESC-Boykott als letzten Ausweg, doch vor wenigen Tagen bekam Moskau Unterstützung vom britischen Sänger Robbie Williams. „Wenn ihr nicht einreisen könnt, dann trete ich für Russland an. Wir gewinnen das!“, sagt er scherzhaft im Staatsfernsehen.