Kritische Worte an die Adresse der ungarischen Regierung: Europaminister Peter Friedrich Foto: dpa

Seit Montag tagt in Budapest eine gemischte Regierungskommission aus Vertretern Baden-Württembergs und Ungarns. Ein sperriges Wort für eine gute Idee. Es geht darum, sich auszu- tauschen und wenn nötig, die Meinung zu sagen. Und das ist nötig, wie Europaminister Peter Friedrich (SPD) findet.

Herr Friedrich, Baden-Württemberg hat und pflegt viele Kontakte nach Ungarn – wenn man nur an die Städtepartnerschaften oder die Ungarndeutschen denkt. Wie ist das Verhältnis aktuell?
Zwischen den Bürgern sehr gut. Auf der politischen Ebene gibt es Gesprächsbedarf. Glücklicherweise sind die Beziehungen so stabil, dass wir auch strittig miteinander diskutieren können. Und das tut auch Not.
Wo tut es besonders Not?
Ungarn entwickelt sich leider in eine Richtung, die wegführt von einem gemeinsamen Verständnis europäischer Werte. Wenn Ministerpräsident Orbán sagt, er strebe eine „iliberale Demokratie“ an, und sich ausdrücklich gegen Grundwerte der EU wendet, zeigt das, wie weit wir auseinander liegen. Das schlägt sich in verschiedenen Bereichen nieder – sei es im Umgang mit der Zivilgesellschaft, im wirtschaftlichen Bereich oder in der Europapolitik.
Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) hat dieser Tage seinem ungarischen Amtskollegen Péter Szijjártó ermahnt, demokratische Grundprinzipien einzuhalten. Der versicherte ihm, Ungarn komme seine Verpflichtungen selbstverständlich nach. Wie ist Ihr Eindruck?
Ungarn musste in einer Reihe von Fällen seine Gesetzgebung ändern, weil sie nicht mit europäischen Recht vereinbar waren. Ich habe den Eindruck, dass die ungarische Regierung immer wieder versucht, auszutesten, wie weit sie gehen kann, auch im Interesse des eigenen Machterhalts. Klar ist: Als EU-Mitglied ist Ungarn verpflichtet, europäisches Recht umzusetzen – nicht nur formal, sondern auch dem Geiste nach. Die Regierung Orbán ist schnell dabei, Kritik von außen als Angriff auf die ungarische Selbstbestimmung zu deuten. Ein solches Argumentationsmuster ist grundfalsch, denn die EU greift grundsätzlich in allen Mitgliedsländern ein, wenn diese den gemeinsamen Weg verlassen. Die EU-Kommission ist die Hüterin der europäischen Verträge und es ist schlicht und einfach ihre Aufgabe, über deren Einhaltung zu wachen. Was nicht geht, ist einerseits in großem Stil europäische Fördermittel zu beziehen und andererseits die Europäische Union anzugreifen. Alles in allem erhält Ungarn im Zeitraum von 2013 bis 2020 fast 25 Milliarden Euro aus EU-Fördertöpfen.
Die umstrittene Internetsteuer hat Regierungschef Viktor Orbán nach massiven Protesten zurückgenommen . . .
. . . ja, aber nicht zurückgenommen wurde die Werbesteuer, die dazu führt, dass mediale Freiheiten eingeschränkt werden. Ebenfalls nicht zurückgenommen wurden die Zwangsabgaben für ausländische Unternehmen. Solche Abgaben, die ausdrücklich politischen Zwecken dienen, sind meiner Meinung nach mit dem europäischen Binnenmarkt in keiner Weise vereinbar.
Ungarn ist in der neuen EU-Kommission mit Tibor Navracsics vertreten, einem Mitglied aus Orbáns rechtskonservativer Fidesz-Partei; Navracsics wird für Bildung, Jugend und Kultur zuständig sein. Kommt man dadurch eher zusammen?
Ich hoffe, der ungarische Kommissar wird auf die ungarische Regierung im Sinne europäischer Werte in einer Weise einwirken, dass sie ihren ins Nationalistische und Autoritäre führenden Kurs beendet. Der wichtigste Wert Europas ist nicht die Nation, wie Orbán meint. In der EU geht es vielmehr um die Überwindung des Nationalismus. Unsere wichtigsten Werte sind Frieden, Rechtsstaatlichkeit, Solidarität und soziale Marktwirtschaft.
Die Rückführung von Asylbewerbern nach Ungarn ist kaum möglich, weil ihnen dort eine menschenunwürdige und erniedrigende Behandlung droht, wie das Verwaltungsgericht Stuttgart findet. Trifft das zu?
Ich habe keinen Zweifel daran, dass das entsprechende Urteil zurecht ergangen ist. Es gibt Urteile des Europäischen Gerichtshofs, die eine etwas andere Sprache sprechen. Aber hier gibt es eindeutig ein Problem, über das wir mit Ungarn dringend reden müssen. Das Land leistet bei der Aufnahme von Flüchtlingen zweifellos viel. Die Rechtsstellung von Asylbewerbern muss jedoch zwingend europäischen Standards entsprechen. Ich erwarte eine klare Aussage darüber, wie dies spätestens ab 1. 1. 2015 sichergestellt wird, wenn das gemeinsame europäische Asylsystem in Kraft tritt. Flüchtlinge dadurch abzuschrecken, dass keine rechtsstaatlichen Verfahren gewährleistet sind, darf in der Europäischen Union auf jeden Fall nicht stattfinden.