Die Euro-Skulptur spiegelt vor der Europäischen Zentralbank in einer Scheibe. Die Notenbank will mit Geldspritzen die Konjunktur in der Eurozone wieder ankurbeln Foto: dpa

Die Europäische Zentralbank (EZB) hat den Zins abgeschafft und Strafgebühren für Banken eingeführt. Sie flutet die Finanzmärkte mit billigem Geld. Trotzdem ist die Inflation im Euro-Raum niedrig, die Konjunktur lahmt. Was kann EZB-Chef Draghi noch tun? Pumpt er bald bis zu einer Billion Euro in die Märkte?

Drei Worte, die den Euro retten: Als sich im Sommer 2012 die Lage in den Krisenländern Spanien, Italien und Griechenland dramatisch zuspitzt und an den Finanzmärkten über ein Auseinanderbrechen der Währungsunion spekuliert wird, bewahrt EZB-Chef Mario Draghi auf der Investorenkonferenz in London Europa vor dem Kollaps. Drei Worte an jenem 26. Juli genügen: „Whatever it takes“ – alles, was nötig ist – werde die EZB tun, um den Euro zu retten. „Und glauben Sie mir: Es wird genug sein“, sagt der Italiener.

Draghis Versprechen beruhigt die Lage, der Euro stabilisiert sich, und die Zinsen für Staatsanleihen, die Krisenländer den Anlegern dafür zahlen, dass sie ihnen Kapital geben, sinken deutlich. Hohe Zinsen für Staatsanleihen schaden der Konjunktur und können überschuldete Staaten in den Ruin treiben.

Draghis „Whatever it takes“ habe die Märkte nachhaltig beruhigt, lobt die Chefin des Internationalen Währungsfonds, Christine Lagard, später: „Er hat auf eine sehr geschickte Art und Weise die richtigen Worte zur richtigen Zeit gefunden.“

Doch wie können ein paar Worte eine solche durchschlagende Wirkung haben? Anleger und Experten spekulierten damals darauf, dass die EZB wieder Staatsanleihen von Ländern wie Spanien und Italien kauft. Da der EU-Vertrag der Notenbank verbietet, diese Anlagen direkt bei den Staaten zu kaufen, muss sie die Anleihen auf dem sogenannten Sekundärmarkt erwerben – also bei Banken, Versicherungen und Investoren, die mit solchen Papieren handeln.

Mit dem Versprechen signalisierte Draghi den Anlegern, dass sie sich keine Sorgen machen müssten, wenn sie den Staaten in der Euro-Zone ihr Geld leihen würden. Die EZB würde ihnen die Papiere abkaufen – notfalls auch unbegrenzt. Ein weiterer Effekt: Je größer die Nachfrage nach Staatsanleihen, desto weniger Zinsen müssen die Länder dafür bieten und können sich leichter verschulden. „Das zeigt, welche Auswirkungen schon die Ankündigungen von Notenbanken auf die Finanzmärkte haben“, sagt Uwe Burkert, Chefökonom der LBBW.

Zwei Monate nach seiner legendären Rede legt Draghi nach: Die Notenbank beschließt im September 2012 das umstrittene Anleihenkaufprogramm OMT (Outright Monetary Transactions). Damit kann die Notenbank theoretisch unbegrenzt Anleihen von Krisenländern mit einer Laufzeit von bis zu drei Jahren übernehmen. Allerdings nur, wenn sich die Staaten zu Reformen verpflichten. Eingesetzt wurde das Programm bislang aber nicht.

Rückendeckung für Draghi

Für seine Geldpolitik erntet EZB-Chef Mario Draghi oft Kritik. Zu den schärfsten Widersachern gehört Bundesbank-Präsident Jens Weidmann: „Unsere Aufgabe ist es nicht, Konjunkturprogramme für Europa aufzulegen“, sagt Weidmann im Dezember auf dem Wirtschaftsforum in Frankfurt. „Unsere Aufgabe ist es, Geldwertstabilität zu gewährleisten. Wir müssen aufpassen, dass wir als Geldpolitik nicht zum Ausputzer der Politik werden.“

Für Hans-Werner Sinn, Chef des Münchner Instituts für Wirtschaftsforschung (Ifo), läuft das Anleihe-Programm „auf eine ziemlich direkte Staatsfinanzierung mit der Druckerpresse hinaus“. Denn die am Sekundärmarkt gekauften Papiere seien in der Regel nur ein paar Tage im Besitz von Banken. „Der Staat verkauft seine Anleihen an eine private Bank, und diese nimmt sie, weil sie weiß, dass sie sie nach einer Woche an die EZB abtreten kann.“

Vor wenigen Tagen hat Notenbankchef Draghi jedoch Rückendeckung für seine Krisenpolitik erhalten: Die Europäische Zentralbank darf nach Ansicht des Generalanwalts am Europäischen Gerichtshof grundsätzlich Staatsanleihen von Krisenländern kaufen. Ein entsprechendes Programm sei rechtmäßig, hieß es von Generalanwalt Cruz Villalón. Allerdings nur unter bestimmten Voraussetzungen. Sie dürfe den Ländern keine Reformen vorschreiben. Gegen das Programm hatten unter anderen der CSU-Politiker Peter Gauweiler und die frühere Bundesjustizministerin Herta Däubler-Gmelin (SPD) geklagt. Das Gutachten gilt als Vorentscheidung, ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs wird im Herbst erwartet.

Die Angst vor der Abwärtsspirale

Das Gutachten kommt für die EZB zu einem wichtigen Zeitpunkt. Am Donnerstag tagt der EZB-Rat und wird möglicherweise über neue Krisenmaßnahmen entscheiden. Mario Draghi ist entschlossen, sich mit allen Mitteln gegen die niedrige Inflation und die Konjunkturflaute zu stemmen. Die Inflationsrate im Euro-Raum lag im Dezember bei minus 0,2 Prozent. Zum Vergleich: Ein Jahr davor betrug sie 0,8 Prozent. Hauptursache dafür, dass die Preise im Dezember von 0,3 auf minus 0, 2 Prozent gefallen sind, ist der drastisch sinkende Ölpreis. Was gut für die Verbraucher ist, schürt bei den Währungshütern die Sorge vor einer Deflation – einer gefährlichen Abwärtsspirale aus rückläufigen Preisen und schrumpfender Wirtschaft. Von ihrem Ziel, ein stabiles Preisniveau bei einer Jahresteuerung von knapp unter 2,0 Prozent zu erreichen, ist die EZB weit entfernt.

Doch welche Instrumente hat die Notenbank? Den Leitzins kann sie nicht noch weiter senken, dieses Mittel hat sie ausgereizt. Der Leitzins legt den Zinssatz fest, zu dem sich Geschäftsbanken bei einer Notenbank Geld beschaffen können. Er liegt derzeit auf dem historischen Tief von 0,05 Prozent. Damit ist das Zentralbankgeld so billig wie nie. Mit niedrigen Zinsen will die EZB die Kreditvergabe und letztlich die schwache Konjunktur in der Euro-Zone ankurbeln. Wenn Banken sich günstig Geld beschaffen können bei der Notenbank, so die Hoffnung, geben sie dies in Form von günstigen Darlehen an Firmen und Verbraucher weiter. Weil die Geldhäuser jedoch zu wenig Kredite vergeben und Bares lieber bei der Notenbank geparkt haben, müssen sie nun dafür einen Strafzins zahlen.

„Wir befinden uns jetzt in einer Lage, in der wir den Zinssatz noch weiter senken müssten, aber das geht gar nicht mehr“, sagt Mario Draghi. „An diesem Punkt müssen wir zu unkonventionellen Mitteln greifen.“

Eine Billion Euro für die Kapitalmärkte

„Quantitative Easing“ – quantitative Lockerung – heißt das Zauberwort, mit dem der EZB-Chef die Wirtschaft ankurbeln will. Dabei drucken Zentralbanken das Geld quasi selbst, um in großem Stil Wertpapiere zu kaufen. Durch den Erwerb von Unternehmens- oder Staatsanleihen sollen langfristige Zinsen gesenkt werden. Die Menge (Quantität) des Zentralbankgeldes nimmt zu, daher der Begriff „quantitative Lockerung“.

Bis zu einer Billion Euro könnten die Währungshüter so in die Märkte pumpen, sagt der Chefökonom der LBBW, Uwe Burkert. „Die EZB hat angekündigt, dass sie ihre Bilanzsumme von 2 auf 3 Billionen Euro erhöhen will.“ Die Bilanzsumme wird über das Volumen der Kredite ausgeweitet, die über die Staatsanleihen vergeben werden. Mit einem Umfang von einer Billion wäre das Kaufprogramm das größte in der EZB-Geschichte.

Im Gegensatz zum Kaufprogramm OMT, bei dem es um Anleihen von Krisenländern geht, ist die quantitative Lockerung weitaus breiter angelegt: Die EZB macht den Staaten keine Auflagen und beschränkt sich nicht auf bestimmte Länder. Es wird erwartet, dass sie vor allem von besonders kreditwürdigen Staaten wie Deutschland kauft.

Viele Ökonomen halten es nur für eine Formsache, dass die EZB die Anleihkäufe startet. „Der sinkende Euro-Kurs zeigt, dass die Finanzmärkte fest davon ausgehen“, sagt Clemens Fuest, Präsident des Zentrums für Wirtschaftsforschung in Mannheim. Das sieht auch der Commerzbank-Chefvolkswirt, Jörg Krämer, so: „Wir gehen davon aus, dass die EZB auf ihrer Sitzung am Donnerstag den Kauf von Staatsanleihen in großem Stil ankündigen wird.“

Die Folgen für die Steuerzahler

Bundesbank-Präsident Jens Weidmann befürchtet, dass der massive Kauf von Staatsanleihen die Reformmüdigkeit in einigen Ländern verstärken könnte. Das könnte sie verleiten, weniger schmerzhafte Reformen einzuleiten. Die Krisenstaaten müssten dann nicht mehr für die Folgen einer verfehlten Finanz- und Wirtschaftspolitik haften. „Für die deutschen Steuerzahler bedeuten die Käufe erhebliche Zusatzrisiken, denn wenn Staatskonkurse anstehen und die Anleihen platzen, trägt er die Verluste“, sagt Ifo-Präsident Hans-Werner Sinn.

Ein Ausfall würde auf den Gewinn der EZB drücken und im schlimmsten Fall zu einem Verlust führen – auch für Deutschland, das über die Bundesbank mit knapp 26 Prozent am Kapital der EZB beteiligt ist. „Die EZB sagt, sie plane den Kauf von Staatsanleihen, um eine Deflation zu verhindern“, erklärte Sinn. „Ich nehme es ihr nicht ab. Sie tut es vermutlich, um den Krisenstaaten die Möglichkeit zu geben, neue Anleihen auszugeben.“ Commerzbank-Ökonom Michael Schubert gibt noch etwas anderes zu bedenken: Dem Vernehmen nach hätten EZB-interne Simulationen ergeben, dass ein Programm von einer Billion die Inflationsrate nur um 0,15 Prozentpunkte anheben würde. Das heißt: Die Effekte wären demnach eher klein.

Und die Vorteile des Kaufprogramms? Uwe Burkert von der LBBW sagt: „Das deutsche Finanzministerium kann ebenfalls günstig Schulden machen, das wirkt sich auch auf den Steuerzahler aus.“ Für ZEW-Chef Clemens Fuest ist die Hauptwirkung die Euro-Abwertung. „Sie führt dazu, dass Exporte gerade aus den Krisenstaaten in den Nicht-Euro-Raum konkurrenzfähiger werden. Importgüter werden teurer, und das nützt heimischen Unternehmen, die mit diesen Importgütern konkurrieren.“ Wenn der milliardenschwere Anleihe-Kauf funktioniert, verschafft es den Krisenstaaten Zeit für Reformen und den Abbau der Schulden. Im besten Fall wird der Euro wieder sicherer.

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