Torsten Hinrich, E Foto: AFP

Nachdem die amerikanischen Ratingagenturen in der Finanzkrise versagt haben, will ein Berliner Unternehmen ein neues Gleichgewicht herstellen.

Frankfurt - Torsten Hinrichs kennt sich in der Branche bestens aus. Bevor er vor gut zwei Jahren zur Berliner Ratingagentur Scope wechselte, war er 15 Jahre lang Deutschland-Chef der amerikanischen Agentur Standard & Poor’s (S&P), deren Präsenz er auch außerhalb der deutschen Grenzen etwa in Moskau, Dubai, Johannesburg oder Tel Aviv erweiterte. Nun aber will Hinrichs als Scope-Chef den großen drei der Branche, neben S&P noch Moody’s und Fitch, die Stirn bieten. In fünf Jahren, so kündigte Hinrichs in einem Interview mit der Börsenzeitung an, könne er sich den Schritt ins außereuropäische Ausland vorstellen. Zuvor aber will er Scope zum wichtigsten Spieler der Branche in Europa etablieren.

Dazu braucht er eine Bestätigung durch die Europäische Zentralbank (EZB). Mit der Zulassung durch die Notenbank wäre die Berliner Firma die erste in Deutschland ansässige Ratingagentur, auf deren Bonitätseinstufungen die Euro-Wächter bei wichtigen geldpolitischen Entscheidungen zurückgreifen würden. „Wir befinden uns in regelmäßigen Gesprächen mit der EZB“, sagte Hinrichs der Nachrichtenagentur Reuters. Scope sei zuversichtlich, den Anforderungen der EZB zu genügen. Das dürfte aber noch einige Zeit dauern. „Wir sind noch mehrere Jahre davon entfernt, alle strengen Kriterien zu erfüllen“, sagte der Scope-Chef. Bei ihrem groß angelegten Anleihekaufprogramm akzeptiert die EZB beispielsweise nur Papiere, die von mindestens einer der anerkannten Ratingagenturen das Gütesiegel „Investment Grade“ haben. Bislang schaut sie dabei lediglich auf die Bewertungen der großen Ratinghäuser Standard & Poor’s (S&P), Moody’s, Fitch und die deutlich kleinere Gesellschaft DBRS, die alle aus dem angelsächsischen Raum stammen.

Agenturen lagen vor der Krise mit Prognosen daneben

Der Ruf nach einer eigenen europäischen Ratingagentur war laut geworden, nachdem die amerikanischen Giganten im Vorfeld der Finanzkrise von 2008 mit ihren Bewertungen deutlich daneben gelegen hatten. Hauptsächlich aus der Politik waren damals Stimmen laut geworden, die die Vormachtstellung der amerikanischen Agenturen begrenzen wollten. Hinrichs beklagt jedoch, dass sich die politische Unterstützung für eine europäische Alternative in Grenzen hält. In diesem Zusammenhang kritisierte er einen Mangel an Unterstützung durch die Politik – und dies, obwohl die Regierungen die Ratingagenturen für die Finanzkrise mitverantwortlich gemacht hatten und auf eine europäische Konkurrenz drangen. „Die Aufmerksamkeit der Politik gegenüber Rating tendiert heute fast gegen null“, erklärt der Scope-Chef.

Vor allem institutionelle Investoren verlassen sich nach wie vor auf die Einschätzung von S&P und Co. Und auch während der Staatsschuldenkrise in Europa war für sie, aber auch für die Notenbanken, das Urteil der amerikanischen Ratingagenturen von Gewicht. Zweifelte eine der etablierten Agenturen die Zahlungsfähigkeit von Unternehmen oder Staaten an, gerieten diese unter Druck. Scope dagegen verfasste zwar ebenfalls eigene Einschätzungen, doch fanden die Berliner bisher damit nur wenig Gehör.

Maßgebliches Hindernis für ein profitables Geschäft ist die fehlende Anerkennung der Europäischen Zentralbank. Als Bedingung dafür hätten die Notenbanker einen dreijährigen Track Record bei einer gewissen Abdeckung des Marktes vorgegeben – was für einen Newcomer ein „Henne-Ei-Problem“ bedeute: Ohne die Anerkennung der EZB sei es sehr schwierig, Mandate zu gewinnen. Ohne Mandate sei es umgekehrt schwer, die Anerkennung der EZB zu bekommen. Gleichzeitig betonte er die Unterschiede zu dem stärker mechanistischen, modellgetriebenen Herangehen der drei großen US-Ratingagenturen im Vergleich zum europäischen Ansatz. Stattdessen hätten die eigenen Analysten – von denen viele von den US-Wettbewerbern kämen – „ein Gefühl“ für die Branche und die Unternehmen, die sie analysieren, sagte Hinrichs. „Und genau diese Erfahrung und dieses Gefühl ist doch das, was Mehrwert schafft für den Investor.“

Die EZB äußert sich nicht zum Stand der Gespräche

Eine Sprecherin der EZB wollte sich zum Stand der Gespräche mit Scope nicht äußern. Für die EZB ist unter anderem wichtig, dass eine Agentur im Markt etabliert ist. Sie muss eine breit gefächerte Kredit-Expertise bei Staatsanleihen, Pfandbriefen, Hypothekenpapieren sowie Firmenschuldtiteln über die Euro-Länder hinweg besitzen.

Scope hatte erst vor wenigen Wochen den deutschen Wettbewerber Feri EuroRating erworben, um so im Geschäft mit Länder-Ratings Fuß fassen zu können. Mit dem Industriegase-Konzern Linde gewann die Gesellschaft zudem kürzlich den ersten Kunden im deutschen Leitindex Dax. Hinrichs ist sicher, dass es schon bald andere Dax-Unternehmen und auch europäische Großkonzerne gibt, die sich von Scope bewerten lassen. Vor allem die Tatsache, dass die amerikanischen Ratingagenturen die Liquiditätsausstattung der Konzerne in ihren Einschätzungen außen vor lassen, ist aus seiner Sicht ein Vorteil des Neulings Scope. „Wir bemühen uns in allen Bereichen, ein Stück mehr Zukunftsperspektive in die Bewertung hineinzubringen“, sagt der Scope-Chef.