Nicht unbedingt in der Wirklichkeit, aber in der Literatur kommt das Deutsche gut davon­. Man schätzt zum Beispiel die Romantik und die Philosophie. Foto: dpa

Wie werden Deutsche, Franzosen, Österreicher oder Schweizer in der russischen Literatur gezeichnet­? Eine Auswahl.

Stuttgart - „Manchmal wird eine Nation modern. Griechen und Polen und Russen waren es eine Zeitlang. Nun sind es die Ukrainer.“ Dies schrieb Joseph Roth 1920 in einer Reportage-Serie. Wer etwas über die Blicke der Europäer auf ihre östlichen Nachbarn in der Zeit zwischen den Weltkriegen erfahren will, liest die erstaunlich aktuell wirkenden, im Verlag C. H. Beck zusammengefassten Texte („Reisen in die Ukraine und nach Russland“) von Roth. Wie es generell um die sogenannte russische Seele und die politischen Zustände bestellt ist, lässt sich in Romanklassikern und Reportagen erahnen. Doch wie werden Deutsche, Franzosen, Österreicher oder Schweizer in der russischen Literatur gezeichnet? Eine Auswahl.

Romantisch

Nicht unbedingt in der Wirklichkeit – Nikolai Gogol, der in den 1830ern Deutschland bereiste, schrieb „in den Adern eines Deutschen rinnt Kartoffelblut“ –, aber in der Literatur kommt das Deutsche gut davon. Man schätzt die Romantik und die Philosophie, nachzulesen in Alexander Puschkins „Eugen Onegin“ (1831). In dem Versepos heißt es über Wladimir Lenski: „Ein Jüngling in der schönsten Blüte, / Der Kant las und für Dichtung glühte (. . .) / Bracht er aus Deutschlands Nebeln mit sich / Die Früchte der Gelehrsamkeit: / Den Traum von freier, bessrer Zeit“.

Vernünftig

Stolz ist der Freund von Oblomow, dem Helden des gleichnamigen, 1859 erschienenen Romans von Iwan Gontscharow. Er ist zwar nur ein halber Deutscher, doch mehr als die russische Mutter hat ihn der deutsche Vater geprägt – ein rechter Pedant, der den Sohn mit Schlägen zu Fleiß und Gehorsam erzieht. Stolz wird ein erfolgreicher Geschäftsmann, eigensinnig, sparsam. „Er lebte nach einem genauen Budget und war bestrebt, jeden Tag und jeden Rubel unter ständiger, nie erlahmender Kontrolle hinsichtlich der aufgewandten Zeit, Arbeit, Seelen- und Herzenskraft zu halten. (. . .)

Mehr als alles andere fürchtete er die Phantasie, diese doppelgesichtige Trabantin unseres Lebens.“ Während sich Oblomow nicht zu irgendwelchen Taten aufraffen kann, ist Stolz die Verkörperung des disziplinierten Deutschen. Ähnlich vernunftbesessen dargestellt wird ein Deutscher in Leo Tolstois Roman „Krieg und Frieden“ (1868): „Pfuel war einer jener Leute mit einem unerschütterlichen, fanatischen Selbstvertrauen, wie man sie nur unter den Deutschen findet, weil nur die Deutschen Selbstvertrauen haben auf Grund einer abstrakten Idee – der Wissenschaft.“

Unzivilisiert

Fürst Myschkin in Fjodor Dostojewskis „Der Idiot“ (1868) berichtet ausführlich von der Schweiz – kleingeistige Dorfbewohner, Waldeinsamkeit, „hohe harzige Tannen“, Burgen aus dem Mittelalter. Von Alpenklischees springt er zu Mord-Berichten aus Frankreich. Die Roman-Russen empfinden sich von Westeuropa als rückständig und wild denunziert, und mit Beschreibungen von Enthauptungen in Lyon wird das westliche System als mindestens so barbarisch geschildert wie das russische. Mit einer philosophischen Betrachtung über die Unmöglichkeit, einander wirklich zu kennen, endet übrigens auch der Roman: „Und dies alles, und dies ganze Ausland, und Euer ganzes Europa ist eine einzige Einbildung.“

Barbarisch

Wer ist der Barbarischere in der Weltgeschichte gewesen – darin überbieten sich Autoren im 20. Jahrhundert. Wladimir Sorokin, Jahrgang 1955, hat ein Theaterstück geschrieben, das mit allerhand Klischees operiert: „Die Hochzeitsreise“, 1995 an der Berliner Volksbühne uraufgeführt. Günther von Nebeldorf, der Deutsche in der Farce, ist der reiche Sohn eines SS-Mannes: ein schuldkomplexbeladener Gefühlsklotz, obendrein impotent, der auf eine seelenvoll leidenschaftliche Russin trifft.

Kulturell

Der Westen ist aber immer auch Hochkultur. Und Einwanderer-Region. Die 1981 in der Ukraine geborene Marjana Gaponenko lässt in ihrem Roman „Wer ist Martha?“ (2012) den uralten Helden Luka Lewadski von Odessa nach Wien reisen, sich an der Sprache erfreuen, mit schwarzen Taxifahrern, serbischen Zimmermädchen und orientalischen Butlern unterhalten, Leberpâté und klassische Musik (Beethoven, Berlioz) genießen. Charmanter Appell: schön und skurril könnte das Leben wo auch immer sein, wären alle so fremdenfreundlich, lebensfroh und kulturvernarrt wie Lewadski.