Sehr besorgt: Ökonom Max Otte Foto: Lichtgut/Max Kovalenko

Die Finanzkrise 2008 leitete die Niedrigzinspolitik ein. Dennoch ging es für die deutschen Bürger einigermaßen gut weiter. Jetzt stehen wir „vor einer neuen, wahrscheinlich schlimmeren Krise“, sagt der Wirtschaftsprofessor und Anlageberater Max Otte.

Die Finanzkrise 2008 leitete die Niedrigzinspolitik ein. Dennoch ging es für die deutschen Bürger einigermaßen gut weiter. Jetzt stehen wir „vor einer neuen, wahrscheinlich schlimmeren Krise“, sagt der Wirtschaftsprofessor und Anlageberater Max Otte.
 
Stuttgart - Herr Professor Otte, an den Börsen ist die Unruhe zurückgekehrt, sind wir bald wieder so weit, dass die Bürger ihr Erspartes von der Bank holen und unters Kopfkissen stopfen?
Nein. Die Merkel/Steinbrück-Garantie auf dem Höhepunkt der Finanzkrise hat gewirkt. Die Menschen vertrauen darauf, dass das Bankensystem nicht zusammenbricht und dass sie immer ihr Geld abheben können. Was aber die Bürgerinnen und Bürger nicht merken, ist, dass das Vermögen langsam aufgezehrt wird. Insofern ist das Vertrauen nicht gerechtfertigt.
Die Finanzmärkte sind nervös. Stehen wir vor einer neuen Finanzkrise – ähnlich wie 2008 nach dem Untergang von Lehman Brothers?
Wir stehen vor einer neuen, wahrscheinlich schlimmeren Krise. Die Krise 2008 war vor allem eine Finanzkrise, die mit viel Liquidität bekämpft wurde. Als sich die Panik gelegt hatte, ging es einigermaßen weiter – wenn auch mit massiven Zwangsmaßnahmen wie der Niedrigzinspolitik. Aber jetzt haben wir eine ganz andere Qualität.
Was meinen Sie?
Die Geldpolitik der Notenbank ist am Ende, Banken fangen an, Strafzinsen auf Einlagen zu verlangen. Die Euro-Schuldenkrise ist nicht gelöst. Es gibt politische Krisen um Europa herum. Man kann sogar den Eindruck gewinnen, dass die Instabilität in Europa den Amerikanern nicht ungelegen kommt. Denn es fließt wieder Kapital nach Amerika, obwohl der Markt dort teurer ist als der europäische. Und jetzt lässt auch noch Deutschland als Wachstumsmotor nach. Alles zusammengenommen ist das sehr viel schwerwiegender als das, was 2008 war. Die Risiken für eine Weltwirtschaftskrise waren seit Jahrzehnten nicht so hoch wie jetzt.
Am Sonntag werden die Ergebnisse des Stresstests veröffentlicht. Was erwarten Sie?
Das ist das nächste Problem. Wir schaffen Schritt für Schritt eine gesunde Marktwirtschaft ab und driften in den sozialistischen Planungsstaat. Stresstests haben nichts mit Marktwirtschaft zu tun. Wir haben riesige Bürokratien geschaffen, um Risiken einzugrenzen, aber besser wäre es, die Banken hätten genügend Eigenkapital. Das wäre verantwortungsvolles Wirtschaften. Aber sie haben nicht genügend Eigenkapital, deshalb müssen die Stresstests her. Natürlich werden die Tests einigermaßen glimpflich ausgehen.
Aber die Banken haben doch ihr Eigenkapital erhöht.
Aber lächerlich wenig. Wenn Banken Staatsanleihen halten, wird das weiterhin als risikolos angesehen, dafür muss kein Eigenkapital bereitgehalten werden. Eigenkapital wird zu einer manipulierbaren Größe. Das ist problematisch.
Es deutet sich an, dass alle deutschen Banken den Stresstest bestehen. Ist das nicht beruhigend?
Nicht wirklich. Es wird getrickst, um die Fassade aufrechtzuerhalten. Dahinter sieht es eher marode aus.
Vor knapp zwei Jahren haben Sie gesagt, Inflation und Deflation kämpfen miteinander, es sei noch nicht klar, wer gewinnt. Ist die Lage jetzt klarer?
Nein. Die Deflation macht aber Geländegewinne. Ich glaube allerdings den Zahlen nur noch begrenzt. Es gibt einerseits deflationäre Tendenzen in der Wirtschaft, da stockt der Motor. Andrerseits wird es für den Einzelnen immer teurer, weil wichtige Lebenshaltungskosten wie Gesundheit, Energie, Transport, Dienstleistungen und Freizeit deutlich steigen. Im Moment läuft es darauf hinaus, dass Sparer und Bürger die Krise bezahlen. Das hat zur Folge, dass die Mittelschicht relativ gesehen verarmt.
Sie haben damals eine Ketchup-Inflation nicht ausgeschlossen – nach dem Motto: Erst passiert gar nichts, dann kommt die Inflation mit Wucht. Trifft das immer noch zu?
Wir nähern uns einem wie auch immer gearteten Endspiel. Wir kämpfen immer noch mit den Folgen der Finanzkrise 2008, dazu kommen neue Probleme. Entweder platzt die Inflation mit Wucht aus der Flasche, oder wir kommen in eine deflationäre Phase. Das wäre eine Katastrophe. In der Deflation sinken die Preise, damit die Wirtschaftsleistung und die Staatseinnahmen, während die alten Schulden bleiben und neue Schulden hinzukommen. Die Deflation ist der größte Feind der Europäischen Zentralbank. Dann hätten wir in der Euro-Zone sofort Staatsbankrotte oder Schuldenschnitte.
EZB-Präsident Mario Draghi muss von deutscher Seite viel Kritik einstecken an seiner Politik des billigen Geldes. Was wäre, wenn die EZB die Zinsen anheben würde?
Dann wäre das Endspiel da. Man müsste dann echte Reformen beschließen – Schuldenschnitte, Staatsbankrotte oder einzelne Austritte aus der Euro-Zone. Wir sind seit sieben Jahren in einer höchstgradig manipulierten Sondersituation. Wirklich besser geworden ist die Lage nicht. Für Sparer wären höhere Zinsen natürlich gut.
Die Bürger wissen nicht mehr, was sie tun sollen. Sollen sie ihr Geld auf den Kopf hauen oder doch vorsorgen?
Sparvermögen gibt Sicherheit. Wenn man das Vermögen auf den Kopf haut, hat man ein bisschen Spaß gehabt, aber keinerlei Rücklagen mehr.
Was sollen Leute machen, die Geld anzulegen haben? Sollen sie das in eine private Rentenversicherung stecken?
Nein, das ist viel zu teuer. Die Menschen sollen einen Teil für künftige Vorhaben als Tages- oder Festgeld flüssig halten. Dann ein bisschen Gold als Versicherung kaufen. Immobilien haben die Menschen in Baden-Württemberg eher reichlich. Für die Wertentwicklung sollten sie noch einen oder zwei globale Aktien- oder Mischfonds kaufen. Die Mischung macht’s. Es gibt keine absolute Sicherheit.
Börsenneulinge wie Zalando und Rocket Internet haben es geschafft, dass sich deutsche Anleger wieder für die Börse interessieren.
Um Gottes Willen, keine Börsenneulinge kaufen. Das ist Zockerei, da verlieren Sie nur.
Das Interesse kommt ohnehin zur falschen Zeit. Die Kurse schwanken sehr. Nichts für schwache Nerven.
Wir wissen nicht, wo die Börse hingeht. Nur: im Festgeld schrumpft das Vermögen wie Schnee in der Sonne. Immobilien sind hier im Ballungsraum zu teuer. Der Aktienmarkt ist jetzt nach der Korrektur nicht zu hoch bewertet. Ein guter Zeitpunkt, sich mal mit Fonds oder Standardwerten heranzutasten.
Sollte man sich jetzt verschulden und die billigen Zinsen nutzen? Oder ist das in dieser unsicheren Zeit der falsche Weg?
Verschulden für ein zu teures Haus inStuttgart? Auf gar keinen Fall. Man sollte überlegen, was wäre, wenn der Job weg ist.
Gold gilt als Krisenmetall. Müsste der Goldpreis angesichts der vielen Krisen nicht durch die Decke gehen?
Gold ist sicher. Ich erwarte nicht, dass der Goldpreis weiter fällt.
Selbst viele Banker und Ökonomen zweifeln, dass die Krise ein gutes Ende nimmt. Der Crash ist die Lösung, sagen manche Ökonomen gar. Sind Sie auch so pessimistisch?
Im Moment bin ich so besorgt wie nie. Nicht nur, was die Wirtschaft angeht, auch was die Stabilität der Weltpolitik angeht. Man hat manchmal den Eindruck, dass Unruhen bewusst geschürt werden. Aber der Crash ist nicht die Lösung. Die alten Machtstrukturen würden nach einem Kollaps weiter bestehen.