Ein Hauen und Stechen um die Vorstandsposten wird beim Parteitag der AfD erwartet. Foto: dpa

Eine letzte Chance oder der Untergang in der Bedeutungslosigkeit – vor diesem Scheideweg stehen die „Eurokritiker“ der AfD, wenn sie am Samstag zum Parteitag zusammen kommen.

Berlin - Wenn es nach Bernd Kölmel geht, dem Chef der baden-württembergischen AfD, dann entscheidet sich binnen der ersten Stunde, ob der Parteitag der zerstrittenen Truppe am Wochenende in Essen gelingt. Um 10 Uhr geht das Treffen los, um 11 Uhr solle die Tagesordnung stehen.

„Was andere Parteien in einer Viertelstunde erledigen, müssen wir in einer Stunde schaffen, sonst wird es chaotisch.“ Der Mann weiß, wovon er redet: Kölmel hat beim letzten Treffen in Bremen über Stunden und mit beeindruckender Langmut die Versammlung geleitet. Er hat erlebt und ertragen, dass seine Parteifreunde sich mit großer Hingabe und viel Bitterkeit über Satzungsfragen bis aufs Messer fetzen können.

Diesmal will Kölmel, der für die AfD im EU-Parlament sitzt, nicht hinter dem Mikrofon des Sitzungspräsidenten Platz nehmen. Da er in seinem Landesverband gerade auch jede Menge Ärger hat, er eng mit Lucke zusammenarbeitet, ja als Lucke-Vertrauter gelten würde – wenn der distanzierte Professor so viel Nähe denn zuließe – will er das andere Lager der AfD nicht provozieren. Daher sollen andere ran und den Parteitag leiten.

Für die zwei Jahre alte Partei wird es der Schicksalsparteitag. Am Ende wird man wissen, ob die Truppe, die als Euro-Kritiker anfing, nun aber schon länger nicht mehr mit Inhalten wahrgenommen wird, sondern nur noch mit persönlichen Intrigen, in der Bedeutungslosigkeit verschwindet – wie zuvor die Piraten – oder ob sie doch noch eine Chance zur dauerhaften Einnistung bekommt.

Nach Querelen und Unregelmäßigkeiten bei der Delegiertenaufstellung war ein für Juni vorgesehenes Treffen abgesagt worden. Nun findet ein Mitgliederparteitag statt. Geladen sind alle 21 000 Mitglieder. Mit 4400 hat sich etwa ein Fünftel aller Mitglieder angemeldet. Parteigründer Lucke glaubt, dass der Mitgliederparteitag für ihn ein Vorteil ist. Er will das Rennen machen und Frauke Petry, die ihm in Feindschaft verbundene Chefin des sächsischen Landesverbands, bei den Vorstandswahlen übertrumpfen. Lucke setzt auf Sieg: Er hat angekündigt, unter Petrys Vorsitz nicht weiterzumachen. Bei ihr sind die Dinge nicht so klar: Sie hat sich mal so, mal anders geäußert.

Es stehen bei diesem Parteitreffen ohnehin nur Wahlen an. Es wird ein Hauen und Stechen nicht nur um den Vorsitz geben: Die Partei ist gespalten in zwei Lager. Parteigründer Lucke führt das eine Lager. Seine Mitstreiter sind Kölmel, Ulrike Trebesius aus Schleswig- Holstein, der Tübinger Ökonom Joachim Starbatty sowie der ehemalige Wirtschaftslobbyist Hans-Olaf Henkel.

Das andere Lager wird von Petry geleitet, die politisch noch etwas mehr in der konservativen Ecke zu verorten ist als der Hamburger Professor Lucke. Unüberbrückbar sind die inhaltlichen Differenzen zwischen den beiden nicht. Dafür aber die zwischenmenschlichen umso mehr. Hinter Petry versammeln sich alle, die Lucke nicht mögen und verhindern wollen: Zum Beispiel der schillernde Noch-NRW-Chef Marcus Prezell, der Ärger mit dem Finanzamt hat, der Ex-Publizist Alexander Gauland und Konrad Adam, aber auch Björn Höcke aus Thüringen, der mit seinen Parolen klar auf NPD-Wähler zielt und andere aus der sogenannten Patriotischen Plattform.

Die Kräfteverhältnisse zwischen den Lagern sind schwer abzuschätzen. Die Leute, die Lucke nahestehen, sagen: Jedes Lager bringe etwa ein Drittel der Mitglieder hinter sich, das andere Drittel sei unentscheiden. Das zeigt: Es könnte eng für Lucke werden.

Unterdessen hat das Meinungsforschungsinstitut Forsa eine Umfrage unter den Anhängern durchgeführt und eine Nähe zu rechtsradikalem Gedankengut ermittelt. Demnach sehen deutlich mehr AfD-Anhänger (72 Prozent) als die Bundesbürger insgesamt (43 Prozent) in der als zu hoch empfundenen Zahl der Ausländer, dem Zustrom von Flüchtlingen und der Einwanderungspolitik in Deutschland das größte Problem.

Um die Nähe der AfD-Anhänger zu rechtsradikalem Gedankengut zu ermitteln, wurden den Befragten Aussagen vorgelegt, denen sie voll und ganz, weitgehend oder eher nicht zustimmen konnten. Danach kann etwa knapp die Hälfte der AfD-Sympathisanten selbst dem Nationalsozialismus noch positive Aspekte abgewinnen: 47 Prozent stimmten voll und ganz oder weitgehend zu, dass der Nationalsozialismus damals in erster Linie die Interessen der Deutschen vertreten habe. Und 57 Prozent meinen, dass die deutschen Soldaten im Zweiten Weltkrieg eher Opfer als Täter gewesen seien. 75 Prozent der AfD-Anhänger halten Asylbewerber generell für Sozialschmarotzer, 76 Prozent glauben an den Gesinnungsterror linkslastiger Medien, und 67 Prozent finden, dass Menschen, die nicht arbeiten wollen, zur Arbeit gezwungen werden sollten. Forsa-Chef Manfred Güllner: „Insgesamt kann bei den hohen Zustimmungsraten zu den einzelnen Aussagen eine hohe Affinität der AfD-Anhänger zu rechtsradikalem Gedankengut angenommen werden.“

Derweil hat die AfD in dieser für sie heiklen Sache auch einen empfindlichen juristischen Rückschlag hinnehmen müssen. Sie wollte sich nicht nachsagen lassen, dass sie eine rechtsradikale Partei sei.

Im Mai hatte sie deshalb beim Landgericht Frankfurt „der äußersten Dringlichkeit wegen“ eine einstweilige Verfügung gegen Güllner und Forsa beantragt. Er sollte bei Androhung eines Ordnungsgelds von 250 000 Euro unterlassen, weiterhin Folgendes zu behaupten: „Die AfD wird von Männern präferiert, weil rechtsradikale Parteien schon immer Männerbünde waren.“ – „Rechtsradikale Parteien“ ist dabei im Text hervorgehoben – um diesen Vorwurf ging es also.

In der Begründung führte die AfD, vertreten durch den Bundesvorstand Bernd Lucke, Frauke Petry und Konrad Adam aus, dass sie sich „von politischen Ansichten, die dem rechtsradikalen beziehungsweise rechtsextremen Spektrum zuzuordnen sind“, distanziere. Nun hat sie den Antrag auf einstweilige Verfügung mit einem zweizeiligen Schreiben vom 5. Juni zurückgenommen. Für Güllner-Anwalt Till Dunckel ist die Sache damit klar: „Ganz offenbar ist das Gericht der Auffassung, dass man die AfD sehr wohl als rechtsradikal bezeichnen kann, und hat ihr das auch angezeigt.“