Deutsche Apotheken sollen flächendeckend eine Versorgung mit Medikamenten gewährleisten. Das hat seinen Preis. Foto: dpa

Apotheken aus der EU sind nicht der deutschen Preisbindung unterworfen – ein Urteil mit unklaren Folgen.

Stuttgart - Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat entschieden, dass die deutsche Preisbindung für rezeptpflichtige Medikamente gegen EU-Recht verstößt. Apotheker sehen ihr Geschäftsmodell in Gefahr. Ein Überblick über ein komplexes System.

Wie funktioniert die Medikamenten-Preisbindung in Deutschland?
Pharmahersteller können die Preise, zu denen sie ihre Produkte an Pharma-Großhändler und Apotheken verkaufen, grundsätzlich selbst festlegen. Großhändler und Apotheken erheben dann auf ihren Einkaufspreis einen gesetzlich festgeschriebenen Aufschlag. Der Großhändler darf 3,15 Prozent plus 0,70 Euro für rezeptpflichtige Medikamente aufschlagen, der Apotheker drei Prozent plus 8,35 Euro je Packung. Hinzu kommt für den Apotheker noch ein Notdienstzuschlag von 0,16 Euro. Die Einzelheiten sind in der Arzneimittelpreisverordnung geregelt.
Wie wird die Preisbindung begründet?
Die Preisbindung soll sicherstellen, dass Arzneimittel in Deutschland nicht zu teuer werden, weil dies das Solidarsystem Krankenversicherung überfordern könnte. Für Patienten bedeutet die Preisbindung, dass sie für ein verschreibungspflichtiges Medikament überall den gleichen Betrag zahlen, egal ob sie in Stuttgart, Rostock oder Köln in eine Apotheke gehen. Die Preisregulierung soll zudem faire Wettbewerbsbedingungen für die Apotheken garantieren und so letztlich dafür sorgen, dass es eine flächendeckende Versorgung mit Apotheken gibt.
Worum ging es im Streit vor dem EuGH?
Die Selbsthilfeorganisation Deutsche Parkinson Vereinigung (DPV) war eine Kooperation mit der niederländischen Versandapotheke Doc Morris eingegangen. DPV-Mitglieder kamen so in den Genuss von Boni, wenn sie bei Doc Morris rezeptpflichtige Präparate gegen Parkinson orderten. Nach Ansicht der deutschen Zentrale zur Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs verstößt das aber gegen die in Deutschland gesetzlich vorgeschriebene Festlegung eines einheitlichen Apothekenabgabepreises. Der EuGH hält nun die deutsche Preisbindung nicht mit dem freien Warenverkehr in Europa für vereinbar.
Welche Argumente führt der EuGH in seiner Entscheidung an?
Die Luxemburger Richter erklärten, die Preisbindung stelle eine nicht gerechtfertigte Beschränkung des freien Warenverkehrs dar. So würden beispielsweise ausländische Apotheken beim Zugang zum deutschen Markt behindert. Gerade für Versandapotheken sei die Preisgestaltung ein wichtiger Wettbewerbsfaktor im Vergleich zu ortsansässigen Apotheken, die ihren Kunden eine individuelle Beratung anböten und in denen Arzneien sofort zu erhalten seien.
Was bedeutet das Urteil für deutsche Patienten?
Patienten, die ihre Medikamente online im Ausland bestellen, dürfen sich freuen – sie können sparen. Doc-Morris-Chef Olaf Heinrich wandte sich nach dem Urteil in einer Mitteilung vor allem an chronisch kranke Kunden „mit einem hohen und regelmäßigen Medikamentenbedarf“. Sie könnten jährlich „um mehrere Hundert Euro entlastet“ werden. Schon bisher habe man den Kunden „Boni auf Rezepte stets zulasten unserer eigenen Marge gewährt“, sagte Heinrich. Der Patient spare, das Gesundheitssystem werde nicht belastet, so der Doc-Morris-Chef. Dagegen ändert sich für die meisten Patienten in Deutschland, die sich ihre verschreibungspflichtigen Pillen, Salben und Tinkturen in der Apotheke holen, durch das Urteil zunächst einmal gar nichts. Die Preisbindung ist nur für ausländische Versender gekippt, für deutsche Apotheken bleibt es in Kraft.
Was sind mögliche Folgen für die flächendeckende Versorgung mit Apotheken?
Langfristig ist nicht auszuschließen, dass deutsche Patienten die Luxemburger Entscheidung zu spüren bekommen. Der Wettbewerbsvorteil für ausländische Versandapotheken könnte nämlich zur Folge haben, dass es hierzulande immer weniger Apotheken gibt, wenn die Kunden nun massenhaft online im Ausland bestellen. Gesundheitsminister Hermann Gröhe sagte, er sei fest entschlossen, das Notwendige zu tun, damit die flächendeckende Arzneimittelversorgung auf hohem Niveau durch ortsnahe Apotheken gesichert bleibe.