Der türkische Ex-Premier Ahmet Davutoglu galt als Garant für die Annäherung der Türkei an Europa. Doch jetzt ist er von der Bildfläche verschwunden Foto: EPA

Ankara erfüllt längst nicht alle Bedingungen für die Reisefreiheit in die EU. Doch es habe keinen Rabatt für die Türkei gegeben, beteuert die EU-Kommission. Daran gibt es allerdings Zweifel.

Stuttgart - Die CSU-Europa-Abgeordnete Monika Hohlmeier äußert beim Streitpunkt Visafreiheit für die Türkei schwere Bedenken. Im Herbst wolle die Regierung in Ankara, wie mit der EU-Kommission vereinbart, biometrische Pässe einführen. „Wir brauchen dann aber auch ein Überprüfungssystem, wie es im Rest Europas Standard ist“, fordert die Europa-Politikerin. Das sei mit dem alten Premier Ahmet Davutoglu so vereinbart worden. „Aber gilt das auch unter der neuen Regierung?“, fragt sie. Unter den 72 Bedingungen für die visumfreie Einreise von Türken in die EU ist die Fälschungssicherheit von Ausweisen ein wesentlicher Punkt. Den hat die Kommission gerade von „teilweise erfüllt“ auf „fast erfüllt“ hochgestuft. Also erledigt? „Die Dinge dürfen nicht nur auf dem Papier stehen“, sagt Hohlmeier.

Hat die Kommission bei ihren Bedingungen zuletzt Abstriche gemacht, um den von Kanzlerin Angela Merkel ausgehandelten Türkeideal – Reisefreiheit gegen den Stopp des Flüchtlingsstroms – rasch über die Bühne zu bekommen? Noch im März listete die Kommission fünf Punkte als „nicht erfüllt“ und 18 als „teilweise erfüllt“ an, acht Wochen später gelten weiterhin fünf als nicht erfüllt, aber nur noch zwei als teilerfüllt.

EU-Kommissar Oettinger weist den Verdacht weit von sich

EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker und EU-Parlamentspräsident Martin Schulz wollten sich zu diesem Themenkomplex nicht äußern. Kommissar Günther Oettinger hingegen weist den Verdacht einer Aufweichung der Kriterien weit von sich: „Das waren sehr intensive, arbeitsreiche Tage zwischen unseren Fachleuten und der türkischen Regierung.“ Die Türkei habe auch ein großes Interesse daran, diese Vereinbarungen zu erfüllen.

Doch die Ergebnisse von Recherchen unserer Zeitung wecken daran Zweifel. Ein Beispiel: der Umgang der Türkei mit Zypern. Eigentlich müsste die Türkei alle EU-Bürger visumfreie einreisen lassen. Bisher verweigert Ankara dies aber Zyprioten, darüber hinaus auch Belgiern und Österreichern. Die Regierung versprach jetzt die Einhaltung der Bedingung – für den Zeitpunkt, von dem an für Türken Reisefreiheit in der EU gilt. Auch hat die Türkei neuerdings eine Asylbehörde, Zehntausende alte Asylanträge warten aber weiter auf Bearbeitung.

Intelligente Diplomatie

Der FDP-Europa-Abgeordnete Alexander Graf Lambsdorff fände es besser, wenn die Visafreiheit erst schrittweise für Forscher oder Geschäftsleute eingeführt würde. Damit „aus den Bürgerkriegsgebieten Kurdistans im Südosten der Türkei nicht eine neue Flüchtlingswelle nach Europa schwappt“. Daniel Caspary, CDU-Europaparlamentarier, kritisierte Parlamentspräsident Schulz scharf, der verhinderte, dass sich die Abgeordneten mit dem Thema überhaupt befassten. „Schulz ist genauso wenig allmächtig wie Präsident Erdogan.“ Der Parlamentschef solle das EU-Parlament seine Arbeit machen lassen. Caspary glaubt aber fest an eine Einigung mit der Türkei, wenn diese sich an das Vereinbarte hält: „Das ist durch eine intelligente Diplomatie möglich.“