Zwei Mal 60 Sekunden gearbeitet in einer Woche: Der Satiriker Martin Sonneborn ist seit Mai EU-Abgeordneter – ganz ernst nimmt er die Sache nicht. Foto: dpa

Martin Sonneborn sieht das EU-Parlament als Spaßveranstaltung und nimmt Kommissare aufs Korn. Andere betreiben ihre EU-kritische Propaganda eher verdeckt.

Brüssel - Martin Sonneborn hat Großes vor. Nach dem Ende der EU-Gurkenkrümmungsverordnung vor fünf Jahren drängt der ehemalige Chefredakteur der Satire-Zeitschrift „Titanic“ auf eine Neuauflage, die er kess „Waffenkrümmungsverordnung“ nennt. „Deutsche Waffen sollen nur noch dann exportiert werden dürfen, wenn ihr Lauf auf zehn Zentimeter zwei Zentimeter gekrümmt ist“, sagt der 49-Jährige, der am 25. Mai als Vertreter der deutschen Spaßpartei „Die Partei“ ins Europäische Parlament gewählt wurde. Ausgeschrieben heißt das „Partei für Arbeit, Rechtsstaat, Tierschutz, Elitenförderung und basisdemokratische Initiativen“. Es ist die Karikatur einer Partei, ein großer Spaß obendrein, jedenfalls bisher. Mit 0,6 Prozent der Stimmen errang Sonneborn einen Sitz im EU-Parlament. Das Bundesverfassungsgericht hatte die Dreiprozenthürde vor der Wahl gekippt. Und das war kein Spaß.

Sonneborn erzählt lässig, er habe in einer Woche zweimal 60 Sekunden gearbeitet

Im Parlament beschäftigt sich Sonneborn vor allem mit der „Herausforderung“, die ihm zur Verfügung stehenden Geldmittel von 33 000 Euro pro Monat auszugeben. Sein Tätigkeitsnachweis: „In der vergangenen Woche habe ich zweimal 60 Sekunden gearbeitet“, erzählt er lässig. Für ihn ist „Die Partei“ ein Projekt, das mit satirischen Mitteln arbeitet – aber mit authentischem Machtanspruch. Es sei „eine intelligente Möglichkeit zur Protestwahl“.

Im Plenarsaal sitzt der Abgeordnete im Block der Fraktionslosen. Er ist in dem riesigen Halbkreis die Nummer 694. Ein Mann mit Narrenfreiheit. Ein einsamer Clown. Einer, der sich traut, den designierten deutschen Digital-Kommissar Günther Oettinger bei der Anhörung der neuen Kommissare im Parlament zu fragen, wie er bei der Einführung des „Rechtes auf Vergessen“ im Internet verhindern wolle, dass seine „umstrittenen Äußerungen zu dem früheren baden-württembergischen Ministerpräsidenten Hans Filbinger und dessen nationalsozialistischer Vergangenheit aus Versehen gelöscht“ würden.

Sein Lieblingsprojekt musste Sonneborn allerdings zu den Akten legen. Eigentlich wollte er nur einen Monat in Brüssel beziehungsweise Straßburg bleiben und dann das Mandat an den nächsten Parteifreund weitergeben – ebenfalls nur für 30 Tage EU-Arbeit. Doch daraus wird nichts. „Es gibt da ein Gesetz, das den Entzug des Mandates vorsieht, wenn es mehrfach weitergegeben werden soll“, sagt Sonneborn. Jetzt will er 60 Leute jeweils für einen Monat als Sekretäre nach Brüssel holen und „gut bezahlen“.

Christdemokratische Abgeordnete wittern eine Unterwanderung des EU-Parlaments

Sein kritischer Zynismus reiht den inzwischen fraktionslosen Sonneborn ein in die Reihe der insgesamt sieben Vertreter von Splitterparteien, die bei der Europawahl am 25. Mai ein Mandat für die europäische Volksvertretung erringen konnten. Keineswegs alle stammen aus EU-kritischen oder rechten Vereinigungen. Dennoch ist der Groll gegen die Kollegen groß: „Denen geht es doch nur darum, die Institutionen lächerlich zu machen“, heißt es unter christdemokratischen Abgeordneten mit Blick auf die erstarkte Rechte sowie die zahlreicher gewordenen EU-Gegner aus allen Mitgliedstaaten. „Notfalls durch Unterwanderung.“

Ein Verdacht, der durchaus stimmen könnte. Beispiel: Der dänische Abgeordnete Morton Messerschmidt hatte sich um den Vorsitz der Parlamentsdelegation für Island, Norwegen und die Schweiz beworben. Dabei hatte der 34-Jährige von der rechten Dänischen Volkspartei vor wenigen Jahren im angetrunkenen Zustand nazistische Lieder in einer öffentlichen Kneipe angestimmt und den Hitlergruß gezeigt. Nun will er für die EU die Verhandlungen mit der Schweiz führen. „Undenkbar“, sagt die sozialdemokratische Abgeordnete Kerstin Westpfahl, die für sich persönliche Konsequenzen gezogen hat: „Ich fahre mit keinem Abgeordneten einer rechtsradikalen oder faschistischen Partei zusammen im selben Aufzug.“

So mancher rechte Politiker aber hat sich mittlerweile in den Parlamentsalltag integriert – und nimmt dort eine zumindest befremdliche Rolle ein. So sitzt der deutsche NPD-Politiker Udo Voigt ausgerechnet im Parlamentsausschuss für bürgerliche Freiheit, Justiz und Inneres. Die Chefin des französischen Front National, Marine Le Pen, ist in den Handelsausschuss eingezogen, wo das TTIP-Abkommen mit den USA ausgehandelt wird. „Sie blockiert einfach jeden Punkt“, sagen andere Ausschussmitglieder. „Die Beratungen sind unglaublich schwer geworden.“

Bei der Rede einer AfD-Abgeordneten gibt es fraktionsübergreifend Beifall

Die meisten Vertreter deutscher Splitterparteien haben ihre politische Heimat in großen Fraktionen gefunden – wie der frühere Universitätsprofessor Klaus Buchner von der ÖDP, der zu den Grünen ging und dort mit der Abgeordneten Julia Reda von der Piraten-Partei zusammensitzt. Die Vertreterin der Freien Wähler, Ulrike Müller, gehört zu den Liberalen. Stefan Eck von der Tierschutzpartei kam bei der Vereinigten Linken unter. Und Arne Gericke, der für die Familienpartei ins Parlament einzog, landete bei den Konservativen und Reformisten. Dieser Gruppe gehören nicht nur der britische EU-Gegner Nigel Farage mit seiner Ukip an, sondern auch die Abgeordneten der Alternative für Deutschland (AfD), die sich bei den Anhörungen der künftigen Kommissare schon fleißig profiliert haben. Im EU-parlamentarischen Alltag verschwimmen Parteigrenzen ohnehin ziemlich schnell. Als sich die AfD-Politikerin Beatrix von Stoch offen über die Einladung der Grünen an die österreichische Dragqueen Conchita Wurst aufregte, weil „Europa wahrlich größere Probleme“ habe, war der Beifall fraktionsübergreifend.

Dass die meisten Abgeordneten auf Dauer die Ernsthaftigkeit des Projektes EU-Parlament lernen, lässt sich an vielen politischen Biografien ablesen. Und noch nicht einmal Chefsatiriker Martin Sonneborn bestreitet das: „Das Video von meiner Frage an Oettinger wurde auf You Tube über 230 000-mal angeklickt. Ich merke, dass wir viele junge Leute ansprechen und deren Interesse wecken können.“ Wer satirisch zuspitzen wolle, um Missstände zu entlarven, könne das nur, wenn er sich vorher mit dem Thema befasst habe.

Dass auch er eines Tages zum Abgeordneten wird, der mit Akten unterm Arm von einem Ausschuss zum nächsten hetzt, hält der einstige „Titanic“-Chef allerdings für unwahrscheinlich: „Bei Dingen, bei denen es auf Schnelligkeit ankommt, werde ich das Skateboard benutzen.“ Abseits solcher ironischer Äußerungen aber wird der Mann inzwischen sogar von manchen Kollegen geschätzt. „Weil er auch das Treiben der Rechten sieht und aufs Korn nimmt“, sagt ein Abgeordneter aus der sozialdemokratischen Fraktion, der an der Kritik, die Sonneborn äußert, manches richtig findet.

Zum Beispiel wenn der Satiriker sagt: „Ich orientiere mich bei meiner Tätigkeit in den Ausschüssen stark an der ehemaligen FDP-Abgeordneten Silvana Koch-Mehrin. Die hat es geschafft, eineinhalb Jahre lang stellvertretende Ausschussvorsitzende zu sein, ohne sich ein einziges Mal sehen zu lassen. Diesen Rekord will ich brechen.“

Was Sonneborn und andere Kritiker ärgert, ist die Machtlosigkeit des Parlamentes, dem zur Vollwertigkeit ein wichtiges Instrument fehlt: die Möglichkeit, Gesetze nicht nur zu bearbeiten, sondern auch anzustoßen. „Hier wird nur abgenickt, was die Kommission vorsetzt“, heißt es von den EU-Gegnern. In den großen Fraktionen denken viele so, betonen aber eben auch ihre Macht, wenn es darum geht, Vorstöße der Kommissare abzuändern oder gar zu stoppen. Als Beispiel wird gerne das umstrittene Acta-Abkommen über Urheberrechte genannt, das im Sommer 2012 vom EU-Parlament abgelehnt wurde.

„Man muss Europa kritisieren, dann aber besser machen und nicht ins Lächerliche ziehen“, sagt ein hoher Vertreter des Hauses. „Ich hoffe wirklich, dass auch das zum Lernprozess der verschiedenen Volksvertreter gehört.“