Die Kohle spielt in den europäischen Energieplänen auch in Zukunft eine wichtige Rolle Foto: dpa

Ihrem Ruf als Klimakanzlerin hat Angela Merkel zuletzt nicht mehr alle Ehre gemacht. In Brüssel aber präsentiert sie sich als Klassenprimus. Die EU einigt sich auf Ziele, die Deutschland locker erfüllen kann. Und Europa sieht sich jetzt als Vorreiter in der Welt.

Brüssel - Herman Van Rompuy hält die Verantwortung für die nächste Generation bildlich in den Händen. Zu seinem letzten Europäischen Rat hat der EU-Gipfelchef seine Enkelkinder mitgebracht, eines von ihnen hält der 66-jährige auf dem Arm. So bekommt das offizielle, oft steife „Familienfoto“ der 28 Staats- und Regierungschefs seine Ursprungsbedeutung zurück. Die Kinder bringen Leben in die Bude, es wird gelacht, ein Baby weint, was auch das Herz der Kanzlerin erweicht. Zu diesem Zeitpunkt stehen Angela Merkel und ihren Kollegen nächtliche Verhandlungen zum Klimaschutz erst noch bevor. Es geht um weniger gnadenlose Ausbeutung der Erde, es geht um die Zukunft der Kinder.

Stunden später lassen die Umweltorganisationen noch in der Nacht des Klimaschutz-Kompromisses ihrer Enttäuschung freien Lauf. „Klimaschutzkanzlerin a. D.“ titelten sie ihre Presseerklärungen und schimpften wie BUND-Chef Hubert Weiger darüber, dass die EU „das Ziel aufgegeben hat, den Klimawandel einzudämmen.“ Statt 40 Prozent CO2-Abbau bis 2030 wären 60 Prozent nötig gewesen. Doch das war schlichtweg nicht drin, resümierte EU-Ratspräsident van Rompuy, als er weit nach Mitternacht eine erste Bilanz dieses Gipfels zog.

Tatsächlich hatte sich die neue polnische Ministerpräsidentin Ewa Kopacz gleich bei ihrer Brüsseler Premiere so lange quergestellt, bis sie Zuschüsse in geschätzter Höhe von 320 Millionen Euro für den Umbau ihrer Kohle-Kraftanlagen herausgeschlagen hatte. Großbritanniens Premier David Cameron lehnte eine 30-prozentige Steigerung der Energieeffizienz ab, weil er neue drakonische Vorschriften der Brüsseler Bürokratie fürchtete.

„Ich bin sehr zufrieden mit dem Fortschritt“, erklärte Merkel trotzdem nach dem Abschluss der Beratungen. „Ich habe mir zwar mehr gewünscht“, aber der Beschluss werde „Europa zu einer entscheidenden Partei machen, wenn es um die nächsten Klimaverpflichtungen bindender Art in einem internationalen Abkommen“ geht. Im übrigen seien die deutschen Ziele „ja weit strenger und insofern brauchen wir uns nicht weiter aufzuregen darüber, was Brüssel uns jetzt zuteilt“. Bei den erneuerbaren Energien liege die Bundesrepublik schon jetzt bei 25 Prozent, während die EU sich 27 Prozent bis 2030 vorgenommen habe. „Da werden wir definitiv mehr machen“.

Der Eindruck, die Brüsseler Vereinbarungen könnten Deutschland völlig kalt lassen, ist jedoch ein Irrtum. Denn einmal mehr hat Berlin in die Tasche gegriffen, um den Kompromiss zu bezahlen. So übertragen Deutschland und Frankreich jeweils zehn Prozent ihrer Quoten aus dem Emissionshandel an die ärmeren Länder anstatt sie zu verkaufen. Was das in Euro und Cent bedeutet, mochte am Freitag noch niemand sagen. „Es dürfte aber um etliche Millionen gehen“, hieß es von Experten. Für 2014 erwartet das Umweltbundesamt allein für Deutschland Bruttoerlöse von 836 Millionen Euro. Auf der Grundlage dieser Rechnung würde Berlin ab 2020 jährlich auf 83 Millionen Euro zugunsten anderer, weniger entwickelter EU-Länder verzichten.

Hinzu kommen weitere Belastungen für die Wirtschaft, die der Hauptgeschäftsführer der Bundesverbands der Deutschen Industrie, Markus Kerber, kritisierte: „Der Gipfelbeschluss setzt die europäischen Energiepreise im weltweiten Vergleich noch stärker unter Druck. Die Politik steht in der Pflicht, den Unternehmen keine zusätzlichen Klimaschutzlasten aufzubürden, die internationale Wettbewerber nicht zu tragen haben.“ Allein das Emissionshandelssystem bewirke, dass die Wettbewerbsposition der EU-Konzerne auf dem Weltmarkt „deutlich schwieriger“ sei.

Doch nicht nur die Betriebe stehen vor Zusatzlasten, sondern auch der Verbraucher, der das Klimaschutz-Paket am Ende bezahlt. Um rund fünf Prozent stiegen die Strompreise hierzulande in den vergangenen Jahren, selbst die EU weiß, dass Deutschland inzwischen überdurchschnittlich hohe Stromkosten in der Union zu schultern hat. Der Trend wird weitergehen – auch wenn die Kommission sich bemüht gegenzuhalten, indem sie auf die sinkenden Folgekosten hoher Schadstoffbelastung hinweist. Diese könnten bei einer erfolgreichen Fortsetzung des CO2-Abbaus angeblich um fünf bis acht Milliarden sinken, die bisher in die Behandlung von Krankheiten fließen.