EU-Handelskommissar De Gucht glaubt noch an das Abkommen TIPP Foto: Piechowski

Das angestrebte Handelsabkommen mit den USA (TTIP) hat viele Kritiker. EU-Handelskommissar Karel De Gucht wehrt sich gegen den Vorwurf, die USA wollten EU-Standards aufweichen.

Das angestrebte Handelsabkommen mit den USA (TTIP) hat viele Kritiker. EU-Handelskommissar Karel De Gucht wehrt sich gegen den Vorwurf, die USA wollten EU-Standards aufweichen.

Herr De Gucht, ermüdet es Sie, für das Freihandelsabkommen mit den USA zu kämpfen?
Mache ich einen müden Eindruck?
Eher einen verschnupften.
Das liegt aber an meiner Erkältung, nicht an TTIP.
Dabei hat das Abkommen viele Kritiker. Die Menschen haben Angst, die Amerikaner könnten Hormonfleisch und genmanipulierte Lebensmittel auf unseren Markt bringen.
Ich habe wiederholt gesagt, dass es kein Hormonfleisch auf dem EU-Markt geben wird. Wir werden auch die EU-Gesetzgebung zu genmanipulierten Lebensmitteln nicht antasten. Das Gleiche gilt für Klonfleisch. Wir diskutieren bei TTIP nicht über unsere Gesundheit- und Sicherheitsstandards. Wir öffnen die Märkte dort, wo es möglich ist.
Die Menschen befürchten, dass mächtige Konzerne wie Monsanto ihren Einfluss nutzen, um eben doch unsere Standards zu drücken.
Wie soll ich mich gegen solche Anschuldigungen verteidigen? Wenn sich die Menschen damit befassen würden, was wir wirklich tun, würden sie sehen, dass wir sie nicht in Gefahr bringen.
Sie könnten die Bürger stärker einbeziehen. Warum kommen fast alle Interessenvertreter, die Sie zu TTIP anhören, aus der Wirtschaft?
Zu den TTIP-Interessenvertretern zählen nicht nur Konzerne. Es gibt auch öffentliche Interessenvertreter wie Nichtregierungsorganisationen, die sich um Umwelt, Gesundheit und Sicherheit kümmern.
Aber rund 80 Prozent der Vertreter haben einen wirtschaftlichen Hintergrund.
Das mag sein. Wir verhandeln hier ja auch ein Handelsabkommen, bei dem es um wirtschaftliche Interessen geht. Einige Menschen tun so, als wäre Wirtschaft etwas Schmutziges. Dabei versuchen wir, mehr Wachstum und mehr Arbeitsplätze zu schaffen.
Und zwar, indem Sie Handelshemmnisse abbauen. Wie können die Menschen sicher sein, dass nur unproblematische Barrieren beseitigt werden? Die Vertragstexte sind geheim.
Alles, was wir verhandeln, muss vom Europäischen Parlament verabschiedet werden. Wir informieren das Parlament regelmäßig. Wir können aber nur so viel Information weitergeben, wie es unser Verhandlungspartner akzeptiert. Wenn ich die ganze Kritik über die vermeintliche Intransparenz der TTIP-Verhandlungen höre, bekomme ich den Eindruck, die Kritiker würden am liebsten rechts und links von mir am Verhandlungstisch sitzen. Das ist unmöglich.
 
Warum veröffentlichen Sie keine Vertragstexte, damit alle sehen, worum es bei TTIP geht?
Weil es noch keine Vertragstexte gibt. Sobald wir sie haben, veröffentlichen wir sie.
Wann wird das sein?
Das weiß ich noch nicht.
Glauben Sie noch an eine Unterzeichnung des Abkommens bis spätestens 2015?
Technisch ist es möglich, dass wir bis zum Ablauf der Legislaturperiode 2014 einen fertigen Vertragstext vorliegen haben. Das hängt aber von vielen Faktoren ab, die nicht in meiner Hand liegen.
Wie zum Beispiel, ob der amerikanische Präsident Obama beschleunigte Verhandlungsvollmachten erhält, um das Abkommen durch den Kongress zu bekommen.
Ich vertraue darauf, dass er die Vollmacht bekommen wird. Wir können bei den Verhandlungen unmöglich alle Karten auf den Tisch legen, wenn wir nicht sicher sind, ob das Abkommen von den Amerikanern auch abgesegnet wird. An der Stelle müssen die Amerikanern liefern.
Das Verhältnis der Europäer zu den Amerikanern ist wegen der NSA-Aktivitäten angespannt. Was muss geschehen, damit das Vertrauen wiederhergestellt werden kann?
Vor kurzem kam heraus, dass die Amerikaner auch Handelsinstitutionen und Organisationen innerhalb der EU ausspionieren. Das ist inakzeptabel und muss aufhören.
Unterbrechen Sie sonst die Verhandlungen?
Nein. Denn die Spionageaktivitäten der USA haben nichts mit TTIP zu tun. Dort geht es nicht um Freundschaft. Es geht darum, unsere Interessen zu verteidigen. Das setzt keine Freundschaft voraus.
Die Amerikaner haben ein anderes Verhältnis zu Hygienestandards. Sie reinigen beispielsweise Hühnchen in Chlor. Das ist bei uns verboten. Werden Sie bei TTIP Kompromisse auf Kosten der EU-Bürger machen müssen?
Chlorhühnchen kann es auf dem europäischen Markt nur geben, wenn das Parlament zustimmt. Und daran zweifle ich. Als Verhandlungsführerin kann die EU-Kommission nicht einseitig die Standards herabsetzen.
 
Wenn sich durch TTIP nichts ändert, wozu brauchen wir das Abkommen dann?
Wir wollen den Markt zwischen den USA und der EU innerhalb der europäischen Gesetze weiter öffnen, indem wir unnötige Handelshemmnisse abbauen. Wir wollen der EU Wachstum und Jobs bringen. Außerdem geht es uns darum, bei der Definition von weltweiten Normen und Standards in Zukunft den Ton anzugeben.
Sie sagen, TTIP könnte jeder Familie ein zusätzliches Einkommen von jährlich rund 500 Euro bescheren. Wie funktioniert das?
Wenn wir mehr wirtschaftliche Aktivität haben, können wir mehr exportieren. Das steigert die Produktion, und wir können mehr Menschen beschäftigen. Wenn wir Jobs schaffen, schaffen wir Einkommen.
Baden-Württemberg ist eine Region mit vielen mittelständischen Unternehmen, die insbesondere im Maschinenbau stark sind. Wie kann diese Region von TTIP profitieren?
Nehmen wir Stihl als Beispiel. Für dieses Unternehmen wäre es eine große Erleichterung, wenn etwa Sicherheitsvorschriften für Teile und Komponenten sowohl auf dem amerikanischen als auch auf dem deutschen Markt gelten würden. Die baden-württembergischen Firmen könnten durch TTIP ihre Produktionsprozesse optimieren. Außerdem sollen durch TTIP die restlichen tarifären Handelshemmnisse verschwinden. Die Firmen könnten ihre Produkte auf dem US-Markt günstiger anbieten – das wäre ein weiterer Vorteil für die Verbraucher.
Warum sollten die Firmen ihre Einsparungen an den Verbraucher weitergeben, statt ihre Gewinne zu erhöhen?
Weil sich die Firmen im Wettbewerb mit anderen Herstellern befinden. Durch TTIP hätten wir mehr Wettbewerb in einem einheitlicheren transatlantischen Markt.
Welche Fehler wurden gemacht, dass die Menschen auf TTIP so emotional reagieren?
An welchen Fehler denken Sie?
Sie haben den Prozess nun teilweise gestoppt und starten eine weitere Anhörung zum Thema Investitionsschutz. Hätten Sie dies schon eher machen sollen?
Wir haben eine zweite öffentliche Anhörung zum Investitionsschutz eingerichtet. Dieser Punkt macht aber nur einen geringen Teil von TTIP aus. In allen anderen Bereichen gehen die Verhandlungen mit Volldampf weiter.
Also glauben Sie noch an TTIP?
Ich glaube an Politik. Und diese Verhandlungen sind eine sehr politische Sache, auch wenn es dabei um wirtschaftliche Interessen geht. Von Zeit zu Zeit bekommt man zwar eine Erkältung, aber das kann jedem passieren – sogar Journalisten.