Der serbische Premier Ivica Dacic Foto: dpa

Am Dienstag beginnt das Balkanland offiziell die Beitrittsverhandlungen mit der EU. Deutschland pocht auf Lösung des Kosovo-Problems.

Belgrad - „Überlegen Sie es sich gut, ob Sie Ja ankreuzen, wenn es denn so weit ist“, ruft der Gast aus Kroatien. Der große Saal der Kunstgalerie am Platz der Republik, erste Adresse des bürgerlichen Belgrad, ist brechend voll geworden. Der Mann aus dem Nachbarland Serbiens, das seit dem letzten Jahr EU-Mitglied ist, hat aus Europa nichts Schönes zu berichten.

Er spricht von den Banken, die alle in ausländischer Hand sind, vom Arbeitsrecht, das nach dem „Diktat aus Brüssel“ kaum mehr seinen Namen verdiene. Das Publikum hört aufmerksam zu. Viele ältere Gesichter sind zu sehen, tapfere Frauen und Männer, die in den kriegerischen 90er Jahren zum „Belgrader Kreis“ kamen, einer Runde von Intellektuellen, die gegen Slobodan Milosevic und seinen Krieg auftraten. Europa war damals eine ferne Hoffnung. Jetzt, wo sie konkret wird, sieht sie aus wie eine Bedrohung.

Skepsis, aber auch viel Wohlwollen weht durch den Saal, wenn der junge Zagreber Philosoph Srecko Horvat, Galionsfigur der neuen Jugo-Linken, das vertraute Pathos des Widerstands kultiviert. Europa sei „von Anfang an“ ein „neoliberales Projekt“ – und für seinen Mitstreiter Rade Dragojevic ist es sogar eine „rechte Idee“.

Beitrittsverhandlungen beginnen am Dienstag

Am Dienstag beginnt Serbien offiziell seine Beitrittsverhandlungen mit der EU. Den Anfang machen kritische Kapitel: Justiz, Menschenrechte, Kosovo. Entsprechend dem Diktum von Bundeskanzlerin Angela Merkel, nach dem Beitritt Kroatiens im vorigen Jahr müsse es bei der Osterweiterung eine „längere Pause“ geben, wird mit einer Aufnahme erst in zehn Jahren gerechnet. Jedenfalls werde kein anderes Land früher beitreten, sagt Premierminister Ivica Dacic.

In Serbien wirft die europäische Zukunft allerdings schon ihre Schatten voraus: Die letzten Banken in serbischer Hand stehen zur Privatisierung an. Heftig diskutiert das ganze Land ein neues Arbeitsrecht. Die Arbeitslosigkeit liegt bei 25 Prozent. Die Regierung will mit mehr Flexibilität mehr Beschäftigung erreichen: Bei Urlaub und Krankheit soll nicht mehr voll bezahlt werden, Nacht-, Feiertags- und Überstundenzuschläge fallen ganz weg,

Die Wogen gehen hoch. Der Wirtschaftsminister beschwichtigt und spricht von „flexicurity“. Aber an das Versprechen in dem Kunstwort, die Sicherheit, glaubt niemand: Die Gewerkschaften sind schwach, die Arbeitsgerichte noch schwächer – vor allem in den Betrieben der Kriegsgewinnler kann man mit Arbeitnehmern machen, was man will. Unter Europäisierung hatte man sich etwas anderes vorgestellt.

Die „Bangladeschisierung“ Serbiens

Was jetzt kommt, sei die „Bangladeschisierung“ Serbiens, sagt der Publizist Milos Vasic, ebenfalls ein alter Milosevic-Gegner. Wo sich die Pro-Europäer von einst zu Euro-Skeptikern gewandelt haben, ist die politische Elite den umgekehrten Weg gegangen: Die drei mächtigsten Männer im Land, Vizepremier Aleksandar Vucic, Präsident Tomislav Nikolic, Premier Ivica Dacic, waren, als Milosevic seine Kriege führte, Informationsminister, Vizepremier, Parteisprecher. Sie machten kehrt, als ein Volksaufstand Milosevic 2000 stürzte, erst langsam, dann ganz schnell. Nach ihrem Wahlsieg 2012 stieß auch die von Vucic geführte Fortschrittspartei die Tür auf und schaffte als Erstes das größte Hindernis für Serbiens Weg nach Europa beiseite: die Kosovo-Frage. Kein Jahr verging, da einigten sich Belgrad und die Kosovo-Regierung in Pristina im Grundsatz darauf, den ungeklärten Status der früheren Provinz erst mal auszuklammern.

Vor allem auf deutschen Druck hin wird das Thema aber auch in den Verhandlungen präsent bleiben: Zu jedem Kapitel gibt es eine Verbindung zum Kosovo, und am Ende soll ein „rechtlich bindendes Abkommen“ stehen, das die Statusfrage löst. In der serbischen Öffentlichkeit ist das Thema allerdings durch. Einziges Problem sind die Serben im Nord-Kosovo, die in das Abkommen nicht einbezogen waren und jetzt sogar mit der Aufstellung einer Truppe drohen, um „die serbische Verfassung mit allen legitimen Mitteln durchzusetzen“. Vor kurzem wurde in Mitrovica ein Stadtrat erschossen. Die wenigen, die in Belgrad noch vom Kosovo als der „Wiege des Serbentums“ schwadronieren, sammeln sich um Ex-Präsident Vojislav Kostunica, den Mann, der einst die Opposition gegen Milosevic anführte.

Was Europa wohl bringt? Die Diskussion im Saal der Kunstgalerie ist rasch zu Ende; Ratlosigkeit macht sich breit. Zum Schluss will eine Frau im Publikum wissen, warum das Buch, das Srecko Horvat hier präsentiert, denn so teuer ist – 1700 Dinar, fast 15 Euro, kaum erschwinglich für die meisten hier. Tja, sagt der Philosoph, das gehe leider nicht anders. „In Kroatien verdienen die Drucker eben deutlich mehr als hier.“ Und so weht dann doch noch leise ein lauer Hauch Europa über den Platz der Republik.