Scheiden tut weh: Londons EU-Botschafter Barrow (l.) übergibt EU-Ratspräsident Tusk das britische Austrittsgesuch in Brüssel. Foto: AFP

Mit einem sechsseitigen Schreiben hat Premierministerin May die britische EU-Mitgliedschaft aufgekündigt. In London knallen die Sektkorken, doch es gibt auch nachdenkliche Stimmen.

London/Brüssel - Der eine, der britische EU-Botschafter Tim Barrow, lächelt verkrampft. Der andere, EU-Ratspräsident Donald Tusk, bemüht sich gar nicht erst um gute Miene, als er den Abschiedsbrief aus London entgegennimmt. Im Hintergrund hängen die Fahnen Großbritanniens und der EU schlapp herunter.

Diese Bilder von dem Tag, an dem London die Trennung offiziell macht, werden in Erinnerung bleiben. Tusks Stab setzt diesen Tweet ab: „Nach neun Monaten liefert das Vereinigte Königreich. #Brexit.“ Wenige Minuten später tritt der Pole vor die Presse und sagt: „So, hier ist es.“ Er hat das sechs Seiten lange Schreiben mitgebracht, mit dem Premierministerin Theresa May den Austrittswunsch Londons offiziell erklärt. Es gebe keinen Grund vorzugeben, dass dies ein guter Tag sei, sagt Tusk und beschwört dann die Einigkeit der EU der 27. Es gebe paradoxerweise auch etwas Gutes – der Brexit habe die 27 Mitgliedstaaten zusammengeschweißt, sie seien so „entschlossen“ und „geeint“ wie nie zuvor.

Zumal nach dem jüngsten Gipfel in Rom sei er sehr zuversichtlich, dass sich daran auch während der Austrittsverhandlungen nichts ändern werde, so Tusk. Die EU-Kommission und er hätten ein starkes Mandat, um die Interessen der 27 zu verteidigen. Er macht allerdings auch deutlich: „Es gibt für keinen der beiden Beteiligten etwas zu gewinnen.“ Es gehe nur um Schadensbegrenzung. Die Kosten, die Bürger, Unternehmen und Mitgliedstaaten durch den Brexit entstehen, müssten möglichst gering gehalten werden.

Ende April soll das EU-Verhandlungsmandat stehen

Der nächste Schritt im Scheidungsdrama kommt am Freitag. Da wird Tusk seinen Vorschlag für die Leitlinien, denen die EU-Seite bei den Verhandlungen folgen soll, veröffentlichen und in die Hauptstädte schicken. Diese Leitlinien werden zunächst zwischen den Mitgliedstaaten diskutiert, Ende April sollen sie beim EU-Gipfel in Brüssel beschlossen werden. Sie werden dann das Mandat, mit dem der Chefunterhändler der EU-Kommission, Michel Barnier, die Gespräche mit Großbritannien aufnimmt.

Nach wenigen Minuten ist der Auftritt von Tusk vorbei. Er lässt keine Fragen zu, endet mit den Worten: „Was kann ich noch sagen? Wir vermissen euch jetzt schon. Danke und Good Bye!“

Am Abend zuvor hatte Theresa May in der britischen Regierungszentrale den Brief unterzeichnet, mit dem das Vereinigte Königreich die EU-Mitgliedschaft aufkündigt. Sie saß unter einem Porträt Sir Robert Walpoles, des ersten britischen Premierministers, der ein prüfendes Auge auf die Szene warf. „Lieber Präsident Tusk“ – so war der Brief überschrieben, den ein Bote Mays in Begleitung eines Wachmanns über Nacht im Eurostar nach Brüssel brachte.

Zur gleichen Zeit, als Botschafter Barrow das Schreiben an Tusk überreicht, setzt May in London das Parlament in Kenntnis. Ihre Regierung habe der EU erklärt, „dass wir nun wieder unsere eigenen Entscheidungen fällen und unsere eigenen Gesetze machen werden“. London wolle „die Kontrolle übernehmen über all die Dinge, die uns am meisten am Herzen liegen“. Zu den „großen Wendepunkten der nationalen Geschichte“, sagt May, zähle dieser Schritt. „Mit seiner stolzen Geschichte und seiner strahlenden Zukunft“, meint sie weiter, wolle das Vereinigte Königreich nun wieder „eine wahrhaft globale Nation“ werden.

May ist um versöhnliche Töne bemüht

Zugleich müht sich die Premierministerin um versöhnliche Töne. Selbstverständlich, beteuerte sie, wolle Großbritannien „der beste Freund und Nachbar unserer europäischen Partner“ bleiben. Man wünsche der EU Erfolg und Wohlstand – auch ohne die Briten. Vorsichtig meldet sie einen Verhandlungswunsch an: nämlich dass über ein künftiges Handelsabkommen parallel zu den Gesprächen über die Austrittsbedingungen verhandelt werden könne.

Höhnisches Gelächter auf den Oppositionsbänken löst sie allerdings mit der Bemerkung aus, dass „die Welt jetzt vielleicht mehr denn je Europas liberale, demokratische Werte braucht – Werte, die wir im Vereinigten Königreich teilen“. Auch Jonathan Freedland, Kommentator der Zeitung „Guardian“, kann über diese Logik nur den Kopf schütteln: „May will Sicherheit, Freihandel, liberale Werte: Genau das, was wir jetzt wegwerfen.“

Ganz anders ist die Stimmung im Lager der Brexiteers, der Befürworter des EU-Austritts. Der Sekt steht vielerorts bereits am Morgen kalt. Boris Johnson kann ein breites Grinsen nicht unterdrücken, als er die Frühsitzung des Kabinetts in No. 10 Downing Street verlässt. Seine Kabinettskollegin Andrea Leadsom, eine der prominentesten Brexit-Wortführerinnen im Vorjahr, erklärt, sie freue sich „ganz besonders“ auf diesen Tag. Und Nigel Farage strahlt geradezu auf dem Rasen von Westminster. Es sei „eine lange Reise“ gewesen seit jenen Jahren, in denen die Kampagne für Austritt aus der EU „nur ein Minderheitensport“ war, sagte der frühere Vorsitzende der Anti-EU-Partei Ukip, der noch immer das bekannteste Gesicht der britischen Rechtspopulisten ist. „Aber hey, jetzt sind wir da, wo wir immer hinwollten. Jetzt passiert es wirklich.“

Gefragt, wie er den Tag zu feiern gedenke, antwortet Farage: „Ich geh’ wohl ins Pub.“