Neben seinen vielen Talenten hat der Theatermacher Werner Schretzmeier auch das Zeug zum Alleinunterhalter. Foto: Horst Rudel

Werner Schretzmeier lotst das Theaterhaus in Stuttgart seit mehr als 30 Jahren erfolgreich durch die Untiefen des Kulturbetriebs. Die Gäste von „StZ im Gespräch in Esslingen“ wissen nun, wie ihm der Spagat zwischen Kunst und Knete immer wieder gelingt.

Esslingen - Wie viel Kultur passt denn überhaupt in ein einziges Leben? Werner Schretzmeierist Gründer und Leiter des Stuttgarter Theaterhauses, das er seit dem Jahr 1985 erfolgreich durch alle Untiefen des Kulturbetriebs lotst. Er ist Regisseur und Autor. Er hat Dokumentarfilme gedreht und ein Plattenlabel gegründet. Er hat Jazzbands aus der Taufe gehoben, stand als Kabarettist auf der Bühne und hat als fester freier Mitarbeiter für den damaligen SDR erfolgreich Fernsehserien produziert.

Die unvollständige Aufzählung zeigt: Werner Schretzmeier, Jahrgang 1944, ist in der Welt der Schausteller und der Verrückten zu Hause wie kein anderer. Und doch hat er sich in dieser Welt, die der Kabarettist Hanns Dieter Hüsch einmal als die der „seitwärts Umgeknickten“ bezeichnet hat, den Ruf erarbeitet, einer der wenigen Aufrechten im Kulturbetrieb zu sein.

Werner Schretzmeier – die Wand

„Ich arbeite gerne und viel. Als Ausgleich darf ich dann auch mal meine Klappe aufmachen“, sagt er. Aber auch als „Lautsprecher“ hat Schretzmeier immer die Interessen des Theaterhauses im Blick. „Ich sehe mich als die Wand, an die sich unsere Mitarbeiter anlehnen können. Ich bin immer für jeden und jede da“, so beschreibt er denn auch sein Selbstverständnis als Chef der Kompanie. Am Donnerstag war er nur für die Leserinnen und Leser der Stuttgarter Zeitung da. Nicht immer, aber immerhin gut zwei Stunden lang. Zwei Stunden, nach denen jeder und jede zufrieden und um viele Eindrücke reicher nach Hause gegangen ist.

„StZ im Gespräch in Esslingen“ heißt die Reihe, in deren Rahmen Werner Schretzmeier als der mittlerweile 20. Gast der Einladung des Redaktionsleiters Kai Holoch gefolgt war. In den Zeitungsräumen über dem Palmschen Bau in Esslingen hat der Theatermacher dem Journalisten Rede und Antwort gestanden. Um der Wahrheit die Ehre zu geben: Es war mehr Rede denn Antwort gewesen an diesem unterhaltsamen Abend – nicht unbedingt zum Nachteil des Publikums.

Das hat aus erster Hand erfahren, was bisher wohl in keiner Schretzmeier-Biografie nachzulesen ist. Dass er zwar auf sein Lebenswerk, das inzwischen am Pragsattel residierende Theaterhaus, mächtig stolz ist. Dass er aber genauso stolz ist auf eine Leistung, die er einst, als Industriekaufmann-Lehrling, im Keller eines Geradstetter Unternehmens abgeliefert hat. „Da habe ich Ordnung in die chaotische Registratur der Käser Industriefußböden GmbH gebracht“, erzählt Schretzmeier. Offensichtlich mit großem Erfolg, denn das von ihm in den 60er Jahren angelegte Ordnungssystem gibt es heute noch, sagt er.

Das Theaterhaus-Konzept war ursprünglich für Berlin entwickelt

Auch das Stuttgarter Theaterhaus, das Schretzmeier im März 1985 aus der Taufe gehoben hat, gibt es heute noch. Eigentlich habe er, der damals schon die Manufaktur in Schorndorf gegründet hatte, die Konzeption für die freie Theaterszene in Berlin ausgearbeitet. Der dortige Kultursenator habe dem „langhaarigen Schwaben“ aus der Provinz jedoch nicht über den Weg getraut. Zurück in Stuttgart, hat Schretzmeier dann in Wangen die für sein Theaterhaus-Projekt gesuchte leer stehende Fabrik und im Rathaus mit dem damaligen Oberbürgermeister Manfred Rommel den Bruder im Geiste gefunden – auch wenn sich die beiden, der eine eher links, der andere stramm rechts gestrickt, häufig aneinander gerieben haben.

Jetzt, zwei Oberbürgermeister später, steht auf dem Stuttgarter Pragsattel ein Kulturzentrum, das auf 12 000 Quadratmeter Nutzfläche drei Theatersäle, einen Konzertsaal, eine Sporthalle, Proberäume, Werkstätten, ein Restaurant und einen Biergarten bietet. In den beiden Abteilungen Tanz und Schauspiel und dem notwendigen organisatorischen Umfeld sind, bei einem Jahresetat von rund elf Millionen Euro, mittlerweile 110 Mitarbeiter beschäftigt.

Arbeiten in einer angstfreien Zone

Schretzmeier, der Arbeitgeber, sagt, dass es ihm immer wichtig gewesen sei, dass sich die Menschen in ihrer Arbeit selbst verwirklichen könnten – und das in einer angstfreien Zone. Vielleicht, weil er den eigenen Start der Bühnenkarriere alles andere als angstfrei erlebt hat. Beim Piraten-Sketch auf der Faschingsfeier des TSV Schorndorf war das. Keiner seiner Mitstreiter auf der Bühne habe den Text richtig gelernt gehabt. „Wir hatten das Gefühl, so richtig versagt zu haben, und das vor 600 leicht angeschickerten Leuten“, sagt Schretzmeier. Das trotzige „so kann es nicht enden“ führte dann zur Gründung der Kabarettgruppe Die Widerständler, deren Karriere vom Nebenzimmer des Schorndofer Ochsen aus schnell Fahrt aufnahm, „mit Muttis Leintuch als Vorhang“, wie sich Schretzmeier erinnert. Viele Lebensstationen und noch mehr Anekdoten später wird der Schausteller aus Überzeugung und Theaterverrückte aus Leidenschaft von den StZ-Lesern mit begeistertem Applaus entlassen. In den baldigen Ruhestand? „Nein“, beruhigt er. Aber selbst dann, für überübermorgen, sagt er, habe er auch schon einen Plan.