Matthias Baumann besucht die Familie eines Sherpas, der ums Leben gekommen ist Foto: privat

Der Esslinger Arzt Matthias Baumann hat die Lawinen-Katastrophe vor zwei Wochen auf dem Mount Everest aus nächster Nähe miterlebt. Nun will er den Hinterbliebenen der Opfer helfen.

Der Esslinger Arzt Matthias Baumann hat die Lawinen-Katastrophe vor zwei Wochen auf dem Mount Everest aus nächster Nähe miterlebt. Nun will er den Hinterbliebenen der Opfer helfen.

Katmandu/Esslingen - Dämmeriges Licht umhüllt den Raum im Haus der Sherpa-Familie. Die andächtige Stille unterbrechen nur die buddhistischen Mönche mit ihren Gebeten. Mit ihren Trommeln und ihren Dungs, den traditionellen Blasinstrumenten, mit denen sie in der engen Berghütte den Toten des Lawinenunglücks vor rund zwei Wochen am Südhang des Mount Everest gedenken.

Matthias Baumann erlebt hautnah mit, wie die Familie eines gestorbenen Bergführers in diesem Ritual um ihren Vater und Ehemann trauert. „Sein Kind kam uns vier Stunden lang entgegen, um uns zum Haus zu führen“, erzählt der 42 Jahre alte Oberarzt an einer Esslinger Klinik. In diesem Augenblick, als er den Trauernden in die Augen sieht, die um ihre Existenz bangen, festigt sich sein Entschluss, den er schon auf dem Abstieg vom höchsten Berg der Welt wenige Tage zuvor gefasst hatte: Er will den Familien helfen, deren Ernährer bei dem Unglück ums Leben gekommen sind.

Tage vorher gegen 6.30 Uhr morgens schlägt Baumann in seinem Zelt im Basislager des Bergs im Himalaja die Augen auf. Er ist als Expeditionsarzt mit einem Team der Bergsteiger Damian und Guillermo Benegas unterwegs. „Ich habe mir dafür meinen gesamten Jahresurlaub genommen“, sagt der in Tübingen wohnende Chirurg. Doch den Gipfel des Mount Everest soll die Expedition nicht erreichen. „Kurz nachdem ich aufwachte, hörte ich ein Grollen“, erinnert sich Baumann. „Lawinen sind häufig in diesem Gebiet, aber diese war viel lauter als die bisherigen, und wir wussten sofort, dass etwas passiert sein musste.“

In den frühen Morgenstunden passieren besonders viele Bergsteiger den Khumbu-Eisbruch, den Baumann und sein Team am Vortag schon hinter sich gebracht haben. Ein Feld aus gigantischen Eisbrocken, das die Bergsteiger „Popcorn-Feld“ nennen, weil es aus der Luft aussieht wie von einem Riesen ausgeschüttetes Popcorn. „Dort ist es sehr gefährlich, weil diese hängenden Gletscher immer wieder abbrechen.“ Als an diesem 18. April ein besonders großes Stück abbricht, begräbt es viele Menschen unter sich. 16 Sherpas kommen ums Leben.

„Gemeinsam mit anderen Ärzten habe ich im Zelt der Himalaya Rescue Association ein internationales Team gebildet“, erzählt Baumann. Die Verständigung klappte hervorragend. „Das ist das einzig Positive, das ich von diesem Tag mitnehme“, erinnert er sich. Vor allem aber bleibt in Erinnerung, wie er sich mit den anderen Ärzten um zahlreiche Verletzte kümmerte.

Sie nähten Schnittwunden, verarzteten Brüche und suchten nach inneren Verletzungen. Schwerverletzte kamen sofort mit dem Rettungshubschrauber in die Klinik nach Kathmandu. Die leichter Verletzten mussten warten oder konnten zu Fuß den Abstieg antreten. Bald darauf folgte Baumann ihnen.

Den Gipfel des Mount Everest erreichte er nicht mehr, weil die Sherpas, die um ihre verunglückten Kollegen trauerten, für den Rest der Saison streikten. Trotz der schlimmen Erfahrungen: Auf den Mount Everest will Matthias Baumann irgendwann zurückkehren. Schon als er im Stuttgarter Westen auf das Friedrich-Eugens-Gymnasium ging, faszinierte ihn der Sport, den ihm sein Vater vermittelte.

„Ich liebe diese Freiheit, die man hoch in den Bergen spürt“, sagt er. Jetzt zählt für ihn aber erst einmal, dass die Hinterbliebenen der Lawinenopfer wieder eine Perspektive haben. Dafür ist er fast pausenlos unterwegs. Seit einer Woche ist er wieder in Deutschland. Nach seiner Arbeit an der Klinik kümmert er sich pausenlos um die Spendenaktion, die er ins Leben gerufen hat. Nach einer Woche hat er schon rund 15 000 Euro zusammen. „Das ist toll, aber wir wollen noch viel mehr sammeln“, sagt er.

Der Verein Himalayan Project führt bei der Kreissparkasse Biberach ein Spendenkonto, IBAN DE45 6545 0070 0007 0581 89, Kennwort: Sherpa Lawinenopfer.