Der Architekt hat nicht nur den Adler, sondern auch Farbe in den Plenarsaal des Deutschen Bundestags in Bonn gebracht. Foto: Horst Rudel

Der Esslinger Architekt Christian Kandzia hat mit vielen großen Tieren zu tun gehabt. Jetzt hinterlässt er seine Farbspuren auch in der Stadt, in der er seit 25 Jahren lebt.

Esslingen - Christian Kandzia ist einfach in das Stuttgarter Naturkundemuseum gegangen und hat sich einen ausgestopften Igel, einen Fuchs und eine Maus aus dem Depot bringen lassen. Dann hat er die Tiere fotografiert und deren Umrisse nachskizziert – den „stacheligen Braunbrustigel“, den „listigen Rotfuchs“, die „süße Hausmaus“. Ihre Abbilder und Fährten schmücken jetzt, kalligrafisch ausgezeichnet, die Wände des Zentrums für psychisch belastete Kinder und Familien in der Esslinger Haldenstraße.

Die Episode verrät viel über den Anspruch, der den 76 Jahre alten Esslinger Architekten, Fotografen und Farbdesigner Christian Kandzia durch sein 50 Jahre währendes kreatives Schaffen begleitet hat. Fünf Jahrzehnte, in denen es Kandzia auch schon mit größeren Tieren zu tun gehabt hat. Als junger Architekt, damals noch Partner in der Architektengruppe des Stuttgarter Architekten Günter Behnisch, hat er unter anderem dem deutschen Bundesadler Flügel verliehen.

Das Wechselspiel von Licht und Schatten

Hinter Form und Gestalt des Wappentiers, das von der Stirnseite des Plenarsaals des Deutschen Bundestags in Bonn stumm leidend die Debatten der Parlamentarier verfolgt hat, hat Kandzia das letzte Häkchen gesetzt. Mehr noch: kurz vor der Schlussabnahme hat er die Schirmwand hinter dem Adler eigenhändig gesprüht. „Das hatte damals schon etwas Skurriles“, erinnert er sich. Nicht weniger als 45 Modelle des Adlers habe die Projektgruppe gebaut und zur Begutachtung vorgelegt. „Und als es dann an die Umsetzung gegangen ist, hat sich keiner mehr drum gekümmert. Da bin ich alleine mit der Farbpistole auf dem Gerüst gestanden und habe die Wand mit fünf hintereinander liegenden Akustikfarben gespritzt“, sagt er. Durch die aufwendige Prozedur machte die Fläche, von den Abgeordnetenrängen aus betrachtet, den Eindruck, als fiele Tageslicht von oben auf sie.

Die Wirkung von Farbe im Wechselspiel von Licht und Schatten hat Kandzia schon immer fasziniert. Als für die Schlussabnahme verantwortlicher Architekt hat er nicht nur den Adler, sondern auch Farbe in den Bonner Plenarsaal gebracht. Die Anfertigung der blauen Sitzbezüge hat er in einer Färberei in der Schweiz selbst überwacht, ebenso, wie er die farbliche Abstimmung der Teppiche im Plenarsaal, in der Lobby und im Bundestagsrestaurant verantwortet hat.

Kandzia, der in den 1960er Jahren an der Berliner Hochschule für Bildende Künste Architektur studierte, inzwischen als freier Architekt arbeitet und immer noch eine Honorarprofessur für Ästhetik an der Westsächsischen Hochschule in Zwickau innehat, ist es bei seiner Arbeit nicht nur um das große Ganze gegangen. „Jedes Detail erfordert besondere Aufmerksamkeit“, so lautet sein Leitspruch. Nicht nur der Form und dem Material, sondern vor allem auch den Farben galt seine Aufmerksamkeit. So saßen nicht nur die Abgeordneten in Bonn, sondern auch die Besucher der Olympiahalle in München auf Stoff, dessen Struktur und Farbe er festgelegt hat.

Zusammenarbeit mit Andy Warhol

Überhaupt: München, Olympische Spiele 1972. Günter Behnisch war der Chefplaner, Kandzia seine rechte Hand. „Im Büro haben wir Mitarbeiter keine Reichtümer verdient. Aber wir hatten einen tollen Job und die Chance, uns einen Namen zu machen“, sagt Kandzia, der die Öffentlichkeitsarbeit für Behnisch gemacht hat. Dabei hat er Architekturkollegen, die aus aller Welt nach München gereist waren, die Idee erklärt, die hinter dem lichten Zeltdach-Entwurf und dem organisch in die Umgebung eingebetteten Olympiagelände steht. Und er hat mit den Künstlern verhandelt, die auf Hallen, Gebäude und Stadien das ästhetische i-Tüpfelchen setzen sollten. „Uns standen damals fünf Millionen Mark für Kunst am Bau zu Verfügung. Weil Behnisch damit nichts anfangen konnte, habe ich das gemacht“, sagt Kandzia. Herausgekommen sind nicht immer bahnbrechende Kunstwerke, aber viele interessante Kontakte. „Andy Warhol und Gerhard Richter waren noch keine Stars. Das waren lustige junge Kerle. Mit ihnen zu arbeiten hat Spaß gemacht“, erinnert er sich.

Nach dem Olympiaauftrag hat Kandzia selbst reihenweise Akzente in Licht und Farbe gesetzt. Er hat die Zentralbibliothek der Katholischen Universität in Eichstätt entworfen, die Fachklinik für Chronisch Kranke in Bad Tölz, die Albert-Schweitzer-Schule in Bad Rappenau und das Deutsche Postmuseum in Frankfurt. Nebenbei hat er sich als Architekturfotograf profiliert. „Mit meinen Aufnahmen habe ich versucht, dass sich darin, über das reine Abbilden hinaus, immer auch der Geist und die architektonischen Ideale der Gebäude wiederfinden“, sagt er.

Der Architekt hinterlässt Spuren

Auch in Esslingen hat Kandzia inzwischen seine Farbspuren hinterlassen. Vor der Gestaltung der Privatklinik in der Haldenstraße hat er für das Farbkonzept der Tagesklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie am städtischen Klinikum Esslingen und für den Innenausbau des Ecovent-Veranstaltungszentrums an der Maillebrücke verantwortlich gezeichnet.

Die Stadt, in der er seit 25 Jahren lebt, beschäftigt ihn auch im Unruhestand immer wieder. Am Sonntag, 7. Februar, ist Kandzia im Kulturzentrum Dieselstraße zu Gast. Im Rahmen einer politischen Matinee widmet sich der Architekt der Esslinger Stadtentwicklung aus der Perspektive des Fußgängers. Sein Vortrag zum Thema „Fußgänger, nein danke?!“ beginnt um 11 Uhr. Der Eintritt ist frei.