Die Architekten Katrin Kussina und Hansjörg Schwarz haben hier einen markanten Stadteingang geschaffen. Foto:  

Dieter Blum bietet 30 Statisten auf, um die neue Geschäftsstelle von Südwestmetall zu fotografieren.

Esslingen - Ein 80 Jahre alter Mann rennt über die Mettinger Straße, klettert eine maultierpfadähnliche Steige in die Weinberge. Schaut in den Sonnenuntergang, nimmt sein Handy. Hinter ihm ein Podest mit einem weiteren Fotografen. Der Wind zerreißt die Wolkendecke, Sonne lasiert den Himmel in Gelbblau. Doch das Schauspiel der Natur über der Geschäftsstelle von Südwestmetall passt jetzt nicht.

Denn der Esslinger Fotograf Dieter Blum hat seine eigene Choreografie. Für diese Choreografie hat er rund fünf Stunden gearbeitet, etwa 30 Statisten bei Laune gehalten, die zwei Architekten in seine Arbeit eingebunden und seine eigenen Mitarbeiter in Stellung gebracht. Etwa vier Wochen braucht er, um die Bilder für die Image-Broschüre des Arbeitgeber-Verbands Südwestmetall zu fotografieren. Mit dieser Broschüre stellt der Verband die neue Geschäftsstelle in Esslingen vor. Das Haus ist bereits bezogen, am Freitag wird es offiziell eingeweiht.

Vier Wochen fotografieren für ein einziges Gebäude? Das Haus war es ihm wert. „Eigentlich mache ich keine bezahlten Aufträge mehr“, sagt Dieter Blum, der unter anderem mit seinen Marlboro Cowboys Ikonen der Fotografie geschaffen hat, die zum festen Inventar des westlichen Bildergedächtnisses gehören. Aber nicht nur Werbe-Fotografie ist sein Metier. Beim „Stern“ gehörte er in den siebziger und achtziger Jahren zu den Star-Fotografen des Hamburger Magazins.

Dieter Blum lässt nicht zu, dass irgendeine Form von Mittelmäßigkeit in seine Arbeit eindringt. Wenn ihn jemand versucht zu gängeln, dann kann er ihn ausdauernd kritisieren, wie jene Esslingerin, die ihm vorschrieb, wie er einen Esslinger Bildband zu machen hatte.

„Ich bin hier der Regisseur“, sagt er. Aber wie geht das, als Auftragsarbeiter keine Kompromisse zu machen? „Der Fotograf muss genau wissen, was er macht“, antwortet er. Jetzt schimpft er sein Laptop an, weil es nicht tut, was er will, dann vergisst er es und holt aus einem Karton die Aufnahmen der vergangenen Wochen. „Sind sie nicht großartig?“, fragt er. „Nur das Beste“, sagt er, „nur die besten Drucker, nur das beste Papier.“

Der Drang zum Perfektionismus hat auch die beiden Architekten Katrin Kussina und Hansjörg Schwarz beseelt. Sie haben gemeinsam nichts weniger geschaffen als das beste moderne Gebäude in Esslingen. Es sticht aus der umgebenden Schuhkarton-Architektur heraus wie eine Orchidee aus einem Heuhaufen. Es hat dynamische Linien, ohne verspielt zu wirken, es führt die Augen des Betrachters über die Fassade, ohne sie zu verwirren. Wenn die Architekten eine dynamisches Gebäude für den dynamischten Wirtschaftszweig Esslingens hätten schaffen wollten – dann haben sie genau das geschafft, und noch dazu auf einem schwierigen dreieckigen Grundstück. „Wir wollten die Linien der Weinberge in das Haus aufnehmen“, erklärt Katrin Kussina bescheiden. Aber die Bescheidenheit ist hier fehl am Platz. Die Geschäftsstelle dürfte genauso zu einer Ikone in Esslingen werden, die wie Bilder Dieter Blums vom Stuttgarter Ballett. Noch dazu, wo die Inneneinrichtung mit den geschwungenen Tischen, mit dynamischen Theken und Treppen genau dem architektonischen Programm der Fassade entspricht.

Die Aufgabe des Regisseurs ist es jetzt, gute Laune zu verbreiten. Dieter Blum scherzt mit den Statisten, die er nachher in die Fenster stellen wird, um das Gebäude zu beleben, der Beleuchter bekommt seine Anweisungen. Zwei junge Mädchen, Musikstudentinnen, haben sich hübsch gemacht, die älteren Herren ihre Boss-Jacken angelegt, die älteren Damen Schminke. Er zeigt ihnen Bilder auf seinem Iphone. „Wenn ich keine gute Laune habe, dann geht es nicht“, sagt er. Und wenn er keine gute Laune hat, und es nicht geht? „Ich habe immer gute Laune“, antwortet er.

Drei Kameras sind von den Weinbergen aus auf das Gebäude gerichtet. Dazu kommt eine Drohne, die rotblinkend auf den Einsatz wartet. Auf seinem Iphone zeigt Dieter Blum einen weiblichen Akt. Die Frau liegt am Meer, die Umrisse ihres Körpers sind im groben grauem Sand nachgezogen. „Ich überhöhe die Wirklichkeit, das ist meine Fotografie“, sagt Dieter Blum.

Er wartet. Die Drohne steigt, die Statisten gehen in Position. Dämmerung flutet das Neckartal, sickert durch die Weinberge, dunkelt die schneeweißen Flanken des Südwestmetallgebäudes ab. Jetzt ist es soweit: Klick.