Die Autorin Wagenknecht wurde von Bürgermeister Markus Raab interviewt Foto: Horst Rudel

Die Politikerin Sahra Wagenknecht (Die Linke) war am Donnerstag zu Gast bei den 22. Literaturtagen.

Esslingen - Es ist eine verdrehte Welt, in der wir leben. Mit ihrem neuesten Buch „Reichtum ohne Gier: Wie wir uns vor dem Kapitalismus retten“ war die Ikone der Linkspartei, Sahra Wagenknecht, am Donnerstag zu Gast bei den 22. Literaturtagen LesArt. Im ausverkauften Neckarforum sprach sie vor 920 Gästen mit dem Esslinger Kulturbürgermeister Markus Raab. Dieser las Wagenknecht unter anderem Passagen aus alten CDU-Programmen vor, ohne diese als solche zu kennzeichnen. Die studierte Volkswirtin konnte dem, was sie hörte, viel abgewinnen.

Es wird Politik für kleine Minderheiten gemacht.

Was heute unter Marktwirtschaft und Kapitalismus verstanden werde, sei nicht mehr jenes Wirtschaftssystem, das nach dem Zweiten Weltkrieg für viel Wohlstand gesorgt habe. Das Problem sei nicht die Marktwirtschaft, sondern dass es in einigen Bereichen überhaupt keinen funktionierenden Markt mehr gebe. Eine kleine Minderheit von Monopolisten und Oligopolisten machten ihren Einfluss auf Verbraucher und Politiker geltend und schotte sich gegenüber jeglicher Konkurrenz ab. Dass es bis heute keine Finanztransaktionssteuer gebe, sei ein Beleg dafür. Es werde oft Politik für kleine Minderheiten gemacht. Auch die Internetökonomie werde von einigen wenigen Firmen dominiert. „Das ist ein Widerspruch zur Marktwirtschaft“, verdeutlichte Wagenknecht.

Die Folgen der Schieflage, in die die Marktwirtschaft geraten sei, sind vielfältig. Seit den 90er-Jahren wachse die soziale Ungleichheit. Davon betroffen seien auch viele Kinder, die es in Deutschland schwerer als in anderen Ländern hätten, der Armut zu entkommen. Gleichzeitig gebe es wohlhabende Familien, die immer reicher werden und ihren Nachkommen gigantische Vermögen vererben könnten. Das sich sowohl der Reichtum als auch die Armut über Generationen vererbe, nannte Wagenknecht feudal. „Wollen wir das“, fragte sie rhetorisch.

Armut und Reichtum werden über Generationen vererbt

Das Versprechen der Marktwirtschaft, durch eigene Leistung zu Wohlstand zu gelangen, werde schon lange nicht mehr eingehalten. Die Spaltung der Gesellschaft werde zunehmend zu einer Gefahr für Deutschland und andere westliche Demokratien. Die Wahl Donald Trumps in den USA, der Brexit in Großbritannien oder womöglich eine französische Präsidentin Marine Le Pen seien deutliche Anhaltspunkt dafür, dass viele Menschen mit der Entwicklung unzufrieden seien. Der Erfolg rechter und populistischer Parteien und Politiker liege nicht in deren Programme.

Ein Schritt, um die Lebensumstände vieler Menschen zu verbessern, sieht Wagenknecht in einem neuen Wirtschaftssystem. Staaten und Gesellschaften täten ferner gut daran, für Rahmen zu sorgen, in denen die Märkte wieder funktionierten. Dass dies in einer globalisierten Welt nicht gelinge, glaubt sie nicht. „Das ist ein Vorwand für Politiker, die sich nicht gegen die Wirtschaft stellen wollen“, sagte sie und erntete dafür großen Applaus. Die Globalisierung wie sie heute sei, sei die Folge von politischen Entscheidungen und diese könnten verändert werden.

„Ich will Ihnen nicht die Häusle wegnehmen“, sagte sie launig. Es gehe ihr nicht um eine Neuverteilung des Privateigentums oder die Verstaatlichung eigentümergeführte Betriebe, sondern beispielsweise um das wirtschaftliche Eigentum an Großkonzernen. Unternehmen mit vielen tausend Mitarbeitern seien keine Privatangelegenheit mehr. Schließlich hafteten die Manager der Konzerne auch nicht wie der Klein- oder Mittelständler mit ihren Privatvermögen für ihre Firmen. Großunternehmen sollten den Menschen gehören, die dort arbeiteten, meinte Sahra Wagenknecht in Esslingen.