Haejun Jo thematisiert seine Erfahrungen aus seiner Heimat Südkorea. Foto: Ines Rudel

Kurz vor Weihnachten eröffnet am Sonntag in der Villa Merkel die Ausstellung „Dicker als Wasser – Konzepte des Familiären in der zeitgenössischen Kunst“.

Esslingen - Alle Jahre wieder versammelt sich die Familie um den Weihnachtsbaum. Ein zwanghaftes Ritual, Relikt einer Gesellschaftsordnung, die heute, in Zeiten von Lebensabschnittsgemeinschaften und Patchworkfamilien, kaum noch etwas zu sagen hat? Warum dann dieses unbedingte Festhalten am Geschenkeaustausch, so als wolle man sich unbedingt beweisen, wie sehr man sich liebt, auch wenn es 364 Tage im Jahr wieder keine Gelegenheit gab, sich dies zu zeigen? Zwischen den festlichen Mahlzeiten schiebt man Süßigkeiten in sich hinein, hat sich schon wieder nichts mehr zu sagen und landet vor dem Fernseher. Eine Kulturlosigkeit ersten Ranges.

Frauen projezieren ihre Sehnsüchte in Katzen und Hunde

Die Villa Merkel bietet einen Ausweg. Pünktlich am Sonntag vor Weihnachten, an einem Tag also, an dem ihr keiner Konkurrenz macht, eröffnet sie die Ausstellung „Dicker als Wasser“, die zwar nicht am 24. und 25. Dezember, aber doch am zweiten Weihnachtsfeiertag und auch an Neujahr geöffnet ist. Nach zwei Tagen Familienklausur nicht nur eine exzellente Gelegenheit, die eigenen Räume zu verlassen. Denn es geht um Familienbande. Die wechselnden Versuchsanordnungen der 14 beteiligten Künstlerinnen und Künstler eröffnen einen Weg, sich aus den scheinbar unwandelbaren Vorstellungen vom Familienleben heraus zu begeben, die einem nur einmal im Jahr erträglich erscheinen.

Wer nach zwei Tagen familiärer Enge erst einmal einen Befreiungsschlag braucht, sollte mit der Videoinstallation von Ragnar Kjartansson anfangen. Seit 2000 trifft sich der isländische Künstler einmal im Jahr im elterlichen Wohnzimmer mit seiner Mutter, einer Schauspielerin, die ihm ins Gesicht spuckt. Schon etwas schwerer zu ertragen sind die hunderte von Fotos, die das Kollektiv Neozoon aus dem Netz gefischt hat. Sie zeigen, wie junge Frauen vor der Kamera all ihre Sehnsüchte, ihre Liebe, ihre mütterlichen Instinkte in ihre Hunde und Katzen projizieren. Wer will kann die Ausstellung als Therapieangebot begreifen und sich etwa ansehen, wie die Eltern von Tobias Yves Zintel damit fertig werden, dass sein autistischer Bruder ihr Haus in Brand gesetzt hat. Oder sich anhören, was zwei pubertierende Söhne im Video von Gillian Wearing über ihre Mutter sagen und umgekehrt – allerdings mit vertauschten Rollen, sodass beide jeweils aus der Sicht der anderen über sich selbst sprechen. Das kann umwerfend komisch sein, aber auch hart an die Nieren gehen.

Ereignisse des Arabischen Frühlings verarbeitet

Wie wichtig Familie dagegen gerade dann werden kann, wenn sie durch Migration auseinandergerissen wird, zeigen die sehr aufschlussreichen Arbeiten von Haejun Jo, Fadma Kaddouri, Nina Katchadourian und Byung Chul Kim. In Kaddouris Familie aus dem marokkanischen Rif-Gebirge spielten mangels guter Telefonverbindung besprochene Kassetten eine wichtige Rolle.

Jo wiederum erzählt seinem Vater am Telefon von den Ereignissen des Arabischen Frühlings, die er in Zeichnungen umsetzt, die auch etwas von seinen eigenen Erfahrungen in der südkoreanischen Demokratiebewegung verraten.

Kim, der in großformatigen Zeichnungen das Verhältnis zu seinem Vater und seiner Großmutter thematisiert, wird zur Eröffnung am Sonntag, 18. Dezember, von 11 Uhr an auch eine Performance aufführen. Die Ausstellung dauert bis zum 26. Februar. Die Villa Merkel, Pulverwiesen 25, ist geöffnet dienstags von 11 bis 20 Uhr und mittwochs bis sonntags von 11 bis 18 Uhr.