Obwohl er mehrfach verändert wurde, stammen einzelne Mauern des Salemer Pfleghofs noch aus der Zeit um 1200. Foto: Ines Rudel

Beim „Hauskolloquiums“ des Landesamts für Denkmalpflege referierte die Archäologin und Autorin Michaela Jansen über den Wandel der Neckarkommune um 1200 und das „neue Ideal von der Stadt“.

Esslingen - Zwischen den Jahren 777 und 1803, zwei zentralen und oft genannten Daten in der Geschichte Esslingens ist viel passiert. 777 war es der fränkische Abt Fulrad, der eine Art Klerikerzelle mit Heiligenreliquien „oberhalb des Neckars“ seinem Kloster St. Denis bei Paris zuschlug – und damit Esslingen erstmals urkundliche Erwähnung fand. Wenn man so will, waren die sogenannten Vitalis-Reliquien seinerzeit ein frühtouristischer Schachzug, der die Wallfahrer angezogen hatte und die Siedlung am Geiselbach merklich belebte. Das sollte auch die weitere Sakralentwicklung entscheidend prägen. Und 1803 endete nach langen Querelen und kriegerischen Konflikten mit den Württembergern unter der Burg die Reichsstadtherrlichkeit.

Die Stadtarchäologie als Lesebuch

Wie ein Lesebuch dessen, was sich über die Jahrhunderte in Esslingen sonst noch tat, erwies sich die Stadtarchäologie. In den 1960er Jahren galt ihr Augenmerk vor allem den Ausgrabungen unter der Stadtkirche St. Dionys. 20 Jahre später waren viele Grabungsorte über die ganze Stadt verteilt und gipfelten 2001 in einer Gesamtschau des Landesdenkmalamtes unter der Überschrift „Stadt-Findung“. Wie sich speziell der Wandel in Esslingen um 1200 manifestierte, das war jetzt Thema eines Vortrags, den die Archäologin Michaela Jansen innerhalb der Reihe „Hauskolloquium“ des Landesamts für Denkmalpflege im Alten Rathaus hielt. Jansen ist Verfasserin einer Fachpublikation mit dem Titel „Stadtumgestaltung im Hochmittelalter“, bei der Esslingen, Breisach und Zürich im Vergleich dargestellt werden.

Was die Ausgangsthese Jansens angeht, dass sich nämlich qua archäologischem Befund in Esslingen um 1200 vielfach einschneidende „Umstrukturierungsmaßnahmen“ erkennen lassen, so war man in der Schickhardt-Halle des Alten Rathauses sozusagen inmitten des betroffenen Terrains. Als eklatante Folgen dieser Umwälzungen nannte die Referentin „die Trassierung von Stadtmauern durch bestehende Bebauung oder gewaltige Landgewinnungsmaßnahmen“. Und, so der Schlenker zur Gegenwart: Es habe sich dabei um „kostspielige und administrativ höchst anspruchsvolle“ Schritte und Einschnitte gehandelt, die von vergleichbaren heutigen Stadtgemeinden in Europa – sowohl in finanzieller, als auch in rechtlicher Hinsicht – schwerlich zu meistern seien. Damals jedoch, so die Referentin, könne von einem „Massenphänomen“ gesprochen werden und es scheine so, als habe sich im Wandlungsprozess einer funktionierenden Stadtgemeinschaft „ein neues Ideal von der Stadt und ihrer Gestalt ausgedrückt“.

Esslingen war im 13. Jahrhundert eine einzige Baustelle

Für Esslingen brachte der vor allem unter den Staufern beschleunigte Aufbruch in Sachen Infrastruktur und Verwaltungsausbau viele Änderungen. „Im 13. Jahrhundert muss die Stadt eine einzige große Baustelle gewesen sein“, vermutet Michaela Jansen. Die Ansiedlung vieler Klosterpfleghöfe kann zudem als Indiz für Prosperität gewertet werden. Man baute die Innere und die Äußere Brücke, nicht nur um sich das Hochwasser vom Hals zu halten. Speziell die Pliensaubrücke, heute eine der ältesten Steinbrücken in ganz Süddeutschland, erwies sich als Teil der zollpflichtigen Reichs- und Handelsstraße zwischen Flandern und Oberitalien als wahrer Golddukatenesel.

Wer heute mit offenen Augen einen Spaziergang durch die Esslinger Altstadt unternimmt, stößt auf prachtvolle Kirchen und Baudenkmale der unterschiedlichsten Stilepochen. Aus der Zeit des Aufbruchs ins Urbane stammt etwa der Salemer Pfleghof gleich bei der Frauenkirche. Er soll Mitte des 16. Jahrhunderts auch Kaiser Karl V. als gehobene Unterkunft gedient haben.