Untersuchungen belegen das: Mahlzeiten mit Mama und Papa fördern das körperliche und seelische Wohl ihres Nachwuchses. Foto:  

Das Essen steht bereit, die Familie sitzt um den Tisch – das klingt nach besten Voraussetzungen für eine angenehme gemeinsame Zeit. Aber ausgerechnet zu Tisch geht es in vielen Familien ganz und gar nicht gemütlich zu.

München - Einmal am Tag, so predigen es Ernährungswissenschaftler, Psychologen und Erziehungsexperten, sollte man gemeinsam am Tisch sitzen und essen. Das tut nur gut. Untersuchungen belegen das: Mahlzeiten mit Mama und Papa fördern das körperliche und seelische Wohl ihres Nachwuchses. Kinder und Jugendliche, die mindestens dreimal in der Woche mit ihrer Familie essen, ernähren sich gesünder und haben weniger Gewichtsprobleme als andere. Ohne die Familienmahlzeit fehlt den Kindern zudem einer der wichtigen Momente am Tag, in dem sie sich von ihren Eltern Zuspruch holen können.

Also wird der Tisch gedeckt, das Essen aufgetragen und die Kinder zusammengetrommelt. Doch statt Harmonie zeigt sich wenig später folgendes Bild: Das Kleinkind schmiert die zermatschten Kartoffeln neben den Teller, die Mittlere mäkelt am Essen herum und die pubertierende Älteste checkt unterm Tisch ihre Smartphone-News.

Fragt man nun Experten, was bitte schiefgelaufen ist, erhält man unter anderem diese Antwort: Die Eltern sind’s oft, die solche Szenen provozieren – ganz unbewusst: „Wir Erwachsenen bringen viel Unruhe mit an den Tisch, und das überträgt sich auf die Kinder“, sagt Mathias Voelchert, Leiter von Familylab, einem Beratungszentrum für Familien in München. Der Kopf ist noch in der Arbeit, es müssen schnell ein paar Mails gelesen werden, in Gedanken wird schon mal die Einkaufsliste für den nächsten Tag aufgestellt.

Experten raten, den Alltagsstress nicht mit an den Tisch zu nehmen

„Wir haben gelernt, uns trotz unserer Unruhe zu bändigen. Doch Kinder können das nicht und zeigen unser Stresslevel an“, sagt Voelchert. Die Kinder nun zu maßregeln sei kontraproduktiv. Sein Rat: Den Alltagsstress nicht mit an den Tisch nehmen und bewusst einen Gang zurückschalten. Dann seien automatisch auch die Kinder ruhiger.

Also gut, dann wird das Smartphone außer Reichweite gelegt und sich ganz auf den Nachwuchs konzentriert. Doch das entspannte Tischgespräch mag oft trotzdem nicht so recht in Gang kommen. „Gibt’s etwas Neues?“ – „Nö.“ – „Wie war’s in der Schule?“ – „Schön.“ Je intensiver die Fragen der Eltern, umso einsilbiger werden die Antworten.

Bei maulfaulen Teenagern erst einmal selbst vom Tag erzählen

Kein Wunder, sagt da Voelchert. „Die Kinder haben in der Kita oder in der Schule so viel Input bekommen, dass sie erst einmal eine Pause brauchen.“ Die Fragen der Eltern blocken sie deshalb ab. „Stattdessen sollten die Eltern ‚über Bande spielen‘ und erst einmal von ihrem eigenen Tag berichten“, sagt Voelchert. Das bringt das Gespräch in Gang und nimmt der Situation den Charakter eines Verhörs.

Doch so weit kommt’s schon nicht mehr: Die Mittlere hat mit Todesverachtung den Brokkoli gegessen und will nun zur Belohnung in ihr Zimmer gehen. Musikhören. Warten, bis die anderen ebenfalls fertig sind? Kommt nicht infrage. Auch hier raten Experten zur Gelassenheit: „Kämpfe am Tisch gibt es, wenn Eltern zu starre Regeln bei den Mahlzeiten durchsetzen wollen, wenn sie ständig korrigieren, ermahnen und belehren“, sagt Rainer Hilbert vom Familienberatungszentrum in Kassel. „Da ist es wichtig, eine Lösung zu finden, die allen gerecht wird.“

Auch Eltern sollen sich Tischregeln verordnen

Auch die Jüngsten könnten schon lernen, gewisse Regeln am Tisch einzuhalten. Im Gegenzug sollten sich auch die Eltern Tischregeln verordnen, sagt Hilbert. Dazu gehöre beispielsweise der Grundsatz: „Beim Essen werden keine Konfliktgespräche geführt.“

Obacht auch bei der Essensauswahl: Familienmahlzeiten prägen, was Menschen ihr ganzes Leben lang gerne mögen, sagen Ernährungswissenschaftler. „Kinder lernen Ernährung durch Vorbilder“, sagt Mathilde Kersting vom Forschungsinstitut für Kinderernährung in Dortmund. Wenn die Eltern Fast Food lieben, werden sich die Kinder kaum für Rohkost begeistern. Aber eine vernünftige Mischkost sei gar nicht so aufwendig: „Das kann auch ein kaltes Abendessen mit Brot, Milch, Wurst und Käse, einem Salat und etwas Obst sein“, sagt Kersting.

Kinder müssen nicht alles mögen – aber zumindest probieren

Aber wenn alles liebevoll zubereitet auf dem Tisch steht, geht oft die Mäkelei los: Das Gemüse wird verschmäht, die Rinde vom Brot ist viel zu hart, und die Nachbarskinder dürfen statt Wasser immer Limo trinken. Auch Streit um die Frage, was gegessen oder zumindest probiert werden muss, belastet die Atmosphäre bei Tisch. „Kinder müssen nicht alles mögen“, sagt Mathilde Kersting. „Aber sie sollten lernen zu probieren.“

Der Streit ums Essen sei in Wahrheit oft ein Machtkampf, sagt Kinder- und Jugendlichen-Psychotherapeut Rainer Hilbert: „Kinder merken schon früh, wenn dem Essen – egal aus welchem Grund – eine besondere Bedeutung beigemessen wird.“ Wird es verschmäht, empfänden Eltern das als Kränkung – und die Stimmung am Tisch rutscht in den Keller.

„Wenn die Kinder das Essen nicht mögen, dürfen die Eltern das nicht persönlich nehmen“, sagt auch Familiencoach Voelchert. Ebenso wenig sollte jeden Tag das Lieblingsessen der Kinder auf dem Tisch stehen – in der Hoffnung, dass die Kleinen dann lieb und freundlich sind. „Kinder durchschauen solche Manipulationen.“

Erfolgversprechender für gute Laune am Familientisch sei ein anderer Weg, sagt Voelchert. Wenn es den Eltern schmeckt, wenn sie sich wohlfühlen und das auch zeigen, dann steckt das die Kinder an. Na dann: Guten Appetit!