Das war der Plan: Ältere Frauen sollen für die geleistete Erziehungsarbeit bei der Rente belohnt werden Foto: dpa

Eine 84-Jährige Frau , die in den 60er und 70er Jahren zwei Kinder erzog und bei der Mütterrente leer ausging, zieht in Stuttgart vor Gericht.

Berlin - Kurt K. will es noch einmal wissen: Er ist 82, fast blind und wohnt irgendwo in Baden-Württemberg. Seine Augen sind so schwach, dass er nur mit Hilfe einer Lupe lesen kann.

Zum Beispiel den Rentenbescheid seiner Frau Annemarie. Was er im Bescheid vom 21.8.2014 lesen musste empört ihn. Obwohl die große Koalition doch im Juli 2014 die so genannte Mütterrente eingeführt hatte, und seine heute 84 Jährige Frau zwei Geburten vor 1992 vorweisen konnte, ging sie so gut wie leer aus. Ihre monatlichen Bezüge sollten um gerade einmal 4,12 Euro steigen. Dabei war es doch der erklärte Wille der Politik gewesen, dass die Erziehungsleistung der älteren Mütter finanziell besser gewürdigt wird: Je Kind, das vor 1992 geboren wurde, sollten sie einen Zuschlag bei der Rente um je 28,61 Euro im Monat bekommen.

Geht es da mit rechten Dingen zu? Kurt K. glaubt Nein und klagt im Auftrag seiner Frau dagegen beim Sozialgericht in Stuttgart. Trotz seines Alters und seiner Sehbehinderung hat er keinen Anwalt beauftragt. Der ehemalige Bankangestellte macht alles selbst. Die wichtigsten Zahlen hat er im Kopf, die zwölfstellige Versicherungsnummer seiner Frau spult er auswendig herunter.

Grenzwerte spielen eine Rolle

Das Gerechtigkeitsgefühl von Kurt K. ist verletzt. Er zitiert einen Satz, den er in einer Broschüre der Rentenversicherung gefunden hat: „Wenn Sie Kinder erziehen, bekommen Sie Pflichtbeiträge in der Rentenversicherung gutgeschrieben und erhalten für diese Zeit später mehr Rente.“ Und was ist mit seiner Frau? „Wo ist ihre Mütterrente geblieben?“

Klar ist: Es handelt sich nicht um ein Versehen. Der Bescheid der Rentenversicherung ist richtig. Das Sozialgesetzbuch VI (§ 93) sieht vor, dass es bei gleichzeitigem Bezug von Leistungen aus einer gesetzlichen Unfallrente und einer Altersrente zu einer Minderung der Rentenzahlung kommen kann. Wenn beide Renten zusammen einen bestimmten Grenzwerte überschreiten, wird die Zahlung der Rentenversicherung gekappt.

Kurt K. kennt sich bestens mit der Rechtslage aus und bestätigt, dass der Fall seiner Frau genau so gelagert ist: Sie bekomme 600 Euro im Monat Unfallrente von der Berufsgenossenschaft sowie seit ihrem 65. Lebensjahr eine Altersrente von derzeit knapp 700 Euro monatlich ausgezahlt. Der Rentner will sich mit der gesetzlichen Regelung aber nicht abfinden. Er hat sich zum Ziel gesetzt, sie zu kippen.

Grenzwert wird um 50 Euro überschritten

Im Gespräch mit unserer Zeitung sagt der Ehemann der Klägerin: „Die Unfallrente meiner Frau ist doch eine personenbezogene Entschädigung wegen der Minderung ihrer Erwerbsfähigkeit.“ Die Unfallrente habe doch mit der Altersrente und der Mütterrente nichts zu tun.

In der Praxis ist diese rechtliche Betrachtung aber gang und gäbe: Dabei gelten keine pauschalen Grenzwerte, wenn Unfallrente und Altersrente zusammen kommen. Sie werden vielmehr in jedem Einzelfalleigens ermittelt. Im Fall von Frau K. liegen die Dinge so: Der in ihrem Fall gültige Grenzwert würde bei voller Wirkung der Mütterrente um gut 50 Euro überschritten.Daher muss sie eine Kürzung ihrer Altersbezüge um diesen Betrag hinnehmen. Kurt B. kann es nicht fassen: „Stellen Sie sich vor, meine Frau hätte vier Kinder erzogen, sie würde dennoch bei der Mütterrente leer ausgehen. Das kann doch nicht gerecht sein.“

Das Rentnerehepaar bereitet sich sorgfältig auf die juristische Auseinandersetzung vor. Schon einmal hat Kurt K. bewiesen, dass er vor Gericht für die Rechte seiner Frau kämpfen und Erfolge erzielen kann: Seine Frau musste Ende der 50er Jahre aus dem Erwerbsleben ausscheiden, nach dem bei ihr eine schwere Tuberkulose-Erkrankung ausgebrochen war. Ihr Gesundheitszustand war so dramatisch, dass ihr eine Niere entfernt werden musste. Seitdem leidet sie unter gravierenden gesundheitlichen Beeinträchtigungen. Kurt K. war sich damals sicher: „Die Infektion hat sich meine Frau 1947/48 zugezogen, als sie ihrer Arbeit als Krankenschwester nachging.“ Die zuständige Berufsgenossenschaft sah es anders und weigerte sich, die Erkrankung als Berufskrankheit anzuerkennen und ihr eine Unfallrente zu zahlen. Nach sieben Jahren gerichtlicher Auseinandersetzung bekamen die B.s Recht.