Damit sich Kinder im Kindergarten wohlfühlen, brauchen sie gute Erzieherinnen - und gutes Essen Foto: dpa

Bildung ist Mehrwert, sagen die Erzieherinnen und gehen auf die Straße. Sie fordern, dass ihre Arbeit nicht länger nur in Sonntagsreden gelobt, sondern endlich auch angemessen bezahlt wird.

Stuttgart - Wo finde ich Hilfe, damit meine Tochter nachts nicht mehr schreit? Mein Sohn will nicht schlafen gehen – soll ich ihn dennoch um acht ins Bett legen? Wie kann ich mein Kind für Bilderbücher interessieren? Fast jeden Tag wenden sich Eltern ratsuchend an Petra K. oder ihre Kolleginnen. Manchmal können die Erzieherinnen weiterhelfen, mitunter fühlen sie sich von den Fragen der Eltern aber auch überfordert.

Der Kindergartenalltag habe sich sehr verändert, sagt Daniela Hatzenbühler, Leiterin eines Kindergartens im Zollernalbkreis. „Die Erwartungen und Anforderungen an die Erzieherinnen haben deutlich zugenommen.“ Als sie vor 25 Jahren ihre Ausbildung begann, galten Kindergärten vielen noch als eine Art Aufbewahrungsanstalt für Kinder, deren Mütter arbeiten „mussten“.

Heute seien sie Bildungseinrichtungen. Damals kamen Kinder häufig erst mit vier, fünf Jahren in den meist halbtägigen Kindergarten. Der Ruf vieler Eltern nach einer besseren Kinderbetreuung, um Familie und Beruf leichter vereinbaren zu können, blieb oft ungehört. Das änderte sich erst, als die Bundesregierung 1996 einen Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz einführte.

Wie Erzieherinnen und Kindergartenleiterinnen bezahlt werden
Tätigkeit Tarif-
gruppe
Anfangs-
gehalt
End-
gehalt*
Durch-
schnitts-
gehalt
LeiterIn Kita (ab 180 Plätzen) S17 3102 4748 3891
LeiterIn Kita (ab 130 Plätzen) S16 3024 4455 3729
LeiterIn Kita (ab 100 Plätzen) S15 2913 4318 3589
LeiterIn Kita (ab 70 Plätzen) S13 2879 4048 3460
LeiterIn Kita (ab 40 Plätzen) S10 2589 3973 3211
Koordinierende ErzieherIn S9 2578 3749 3085
ErzieherIn mit schwieriger
Tätigkeit; HeilpädagogIn
S8 2478 3732 3036
LeiterIn Kita (bis 40 Plätzen) S7 2405 3318 2841
ErzieherIn S6 2366 3289 2811
KinderpflegerIn mit schwieriger
Tätigkeit
S4 2154 2879 2568
Quelle: GEW       *nach
18 Jahren

Einige Jahre heizte der Pisaschock eine Diskussion um Frühförderung an. Dass ein Fünftel der 15-Jährigen in Deutschland nur auf Grundschulniveau lesen, schreiben und rechnen konnte, führten die Experten vor allem darauf zurück, dass sie in ihren Familien und im Kindergarten zu wenig Anregungen erhalten hatten.

Manchem Politiker dämmerte, dass die Sprachförderung von Kindern mit einer anderen Muttersprache als Deutsch nicht weiter dem Zufall überlassen werden sollte. 2005 beschloss die CDU-FDP-Koalition einen Orientierungsplan für Erziehung und Bildung in den Kindergärten. Die Entwicklung jedes einzelnen Kindes sollte beobachtet und auch dokumentiert werden, Kinder bei Bedarf rechtzeitig gefördert werden, um nicht zurückzubleiben. Manche Einrichtungen wurden zu Eltern-Kind-Zentren, andere – mit Unterstützung von Bund und Wirtschaft – zu „Häusern der kleinen Forscher“.

Beim Thema Orientierungsplan sind vor allem erfahrene Erzieherinnen gespalten. „Dass wir wahrnehmen, was Kinder können und was nicht, war keine neue Erfindung“, sagt eine Endfünfzigerin. Neu sei, dass es jetzt aufgeschrieben werde. Das sei gut für Gespräche mit den Eltern und den Grundschullehrerinnen, binde aber auch viel Zeit, die sie lieber den Kindern widmen würde: Für Singen oder Vorlesen bleibe angesichts der vielen Vorgaben zu wenig Gelegenheit.

Chance, dem Beruf wieder die frühere Anerkennung zu verschaffen

Eine Kollegin sieht darin allerdings auch eine große Chance, dem Beruf wieder die frühere Anerkennung zu verschaffen. Zeitweise klagten Einrichtungen und Fachschulen darüber, dass ein Teil ihrer Schülerinnen sich weniger aus Liebe zu Kindern für den Beruf entschieden habe, sondern weil ihnen nichts besseres eingefallen sei. Arbeitsämter rieten Schülerinnen teilweise dazu, besser Grundschullehrerin zu werden – da würden sie besser bezahlt.

Diese Entwicklung machte sich sträflich bemerkbar, als die Bundesregierung auch für Kinder unter drei Jahren einen Rechtsanspruch auf Betreuung ab August 2013 beschloss. Noch immer fehlen Fachkräfte – die Berechnungen liegen zwischen 7000 und 9000 im Land – je nachdem, ob die bisherigen Öffnungszeiten bleiben oder ausgeweitet werden. Das wünschen viele Eltern.

Um dem Fachkräftemangel zu begegnen und den Beruf attraktiver zu machen, beschloss die grün-rote Landesregierung 2012, neben der Fachschulausbildung eine praxisintegrierte Ausbildung (Pia) einzuführen, bei der die Auszubildenden von Anfang an teils im Kindergarten arbeiten. Dafür werden sie vom ersten Tag an bezahlt, bei der schulischen Ausbildung hingegen erst im vierten Jahr, dem Anerkennungsjahr.

Bezahlung macht den Beruf auch für Abiturienten interessant

Die Bezahlung macht den Beruf auch für Gruppen interessant, die sich dafür kaum (noch) interessierten: Für Menschen mit Abitur oder einem Berufsabschluss oder auch Wiedereinsteigerinnen nach eine Familienphase. Etwa jeder sechste Auszubildende ist ein Mann, das sind deutlich mehr als an den Fachschulen.

Leiterin Hatzenbühler hätte das Modell gern auch in ihrem Kindergarten erprobt. Dafür hätten aber bisherige Mitarbeiterinnen ihre Arbeitszeit reduzieren müssen, weil die Pia-Auszubildenden auf den Stellenschlüssel angerechnet werden. Das wollte sie nicht.

Grün-Rot habe in Sachen Kinderbetreuung viele Versäumnisse aufgeholt, sagt Kultusstaatssekretärin Marion von Wartenberg (SPD). Die Zahl der Einrichtungen hat sich seit 2011 um rund 380 auf 8625 erhöht. Im nächsten Jahr fließen 795 Millionen Euro in die Kleinkindbetreuung, 2011 waren es 151 Millionen. Die Sprachförderung wurde ausgebaut.

Warnstreik: Rund 700 Kitas blieben zu

Das Land übernimmt 68 Prozent der Betriebskosten für Kinder unter drei Jahren, bei den Einrichtungen für die Drei- bis Sechsjährigen sind es 63 Prozent. Auch habe sich der Betreuungsschlüssel weiter verbessert.

Die Bertelsmann-Stiftung kürte Baden-Württemberg kürzlich zum Vorbild bei der Kleinkindbetreuung. Mit durchschnittlich 2,9 Kindern pro Fachkraft sei die Situation im Südwesten bundesweit am besten. In anderen Ländern kommen auf eine Fachkraft bis zu sechs Kinder.

Manche Erzieherinnen reiben sich ob der Zahlen verwundert die Augen, weil es in ihren Einrichtungen nicht so gut aussieht. Aus ihrer Sicht wäre ein anderer Berechnungsschlüssel nötig, um die notwendigen Kräfte zu bekommen.

Mehr als 11 000 Erzieherinnen gingen auf die Straßen

Doch noch mehr beschäftigt sie derzeit ein anderes Thema: die Bewertung ihrer Arbeit. Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaften und die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi haben Ende 2014 den Tarifvertrag zur Entgeltordnung für den Sozial- und Erziehungsdienst mit der Vereinigung kommunaler Arbeitgeberverbände gekündigt.

Zu einem Warnstreik am Montag kamen mehr als 11 000 Erzieherinnen, Sozialarbeiter und Sozialpädagogen, rund 700 Kitas, darunter fast alle in Stuttgart – blieben geschlossen. „Die Aufgaben sind schwieriger und komplexer geworden, die Verantwortung der Erzieherinnen ist gestiegen“, sagt Verdi-Landesfachbereichsleiterin Dagmar Schorsch-Brandt.

Deshalb müssten die Beschäftigten in den Kindertageseinrichtungen in höhere Entgeltgruppen eingestuft werden, Erzieherinnen etwa von S 6 nach S 10. Ärgerlich findet sie auch, dass Sozialarbeiter und -pädagogen sowie die Kindheitspädagogen, die seit einigen Jahren an den Pädagogischen Hochschulen studieren, häufig als Erzieherinnen eingestellt werden und damit deutlich schlechter bezahlt werden, als ihrem Abschluss entspricht.

Absurde Regelungen zur Eingruppierung

„Wenn das Bruttogehalt einer Erzieherin um 600 Euro unter dem durchschnittlichen Bruttogehalt aller Beschäftigten liegt, dann stimmt etwas nicht“, meint auch Doro Moritz, Landesvorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW).

Wie absurd die Regelungen zur Eingruppierung seien, zeige sich etwa, wenn Kitas mehr Kinder unter drei Jahren oder mit Behinderungen aufnehmen. In der Regel wird dann die Zahl der Plätze verringert, um weiter gute Betreuungsqualität zu garantieren. „Dies kann dazu führen, dass die Leitung trotz der höheren Anforderungen weniger verdient“, weil ein Kriterium die Zahl der belegten Plätze in der Einrichtung sei, sagte Moritz.

Der Verband der kommunalen Arbeitgeber lehnt eine Höherstufung aller Beschäftigten ab. Denkbar sei, Erzieherinnen in Projekten zur Sprachförderung oder zur Inklusion ein bis zwei Stufen anzuheben. Das komme 30 bis 40 Prozent der Beschäftigten zugute. Die Gewerkschaften lehnen das ab.