Wer sich weiterbildet, profitiert davon beruflich und privat Foto: Erwin Wodicka

Um gering Qualifizierte für Weiterbildung zu gewinnen, sind bessere Angebote nötig, sagt Josef Schrader, Direktor des Deutschen Instituts für Erwachsenenbildung (DIE).

- Herr Schrader, eine Pisa-Studie für Erwachsene zeigt, dass sich auch viele Erwachsenen schwertun mit dem Lernen. Hat Sie das überrascht?
Die PIAAC-Studie, die Sie erwähnen, hat in der Tat gezeigt, dass die Erwachsenen in Deutschland bei grundlegenden Kompetenzen des Lesens, der Alltagsmathematik und der EDV-Nutzung im internationalen Vergleich nur im Mittelfeld liegen. Gleichzeitig zeigen solche Studien, wie schon die Pisa-Schülerstudie, dass Herkunft Zukunft bestimmt – bis ins hohe Alter. Das bedeutet auch, dass geringer Qualifizierte sich seltener weiterbilden. Überraschend waren die Ergebnisse nicht, schon in den 90er Jahren gab es ähnliche Befunde. Aber damals hat sich noch kaum jemand dafür interessiert.
Wie sieht es denn heute mit der Lust auf lebenslanges Lernen aus?
Das lebenslange Lernen wird wohl eher als Notwendigkeit denn als Lust empfunden. Seit den 70er Jahren hat sich die Beteiligungsquote verdoppelt, heute besuchen etwa 50 Prozent der Erwachsenen mindestens einmal jährlich eine Weiterbildung. Gleichzeitig sieht man deutliche Unterschiede je nach Vorbildung oder beruflicher Stellung.
Inwiefern?
Oft nehmen gerade jene nicht an Weiterbildung teil, die sie am dringendsten benötigen. Das gilt zum Beispiel für die etwa 15 Prozent der Erwachsenen, denen basale Lesekompetenzen fehlen, die also einfache Texte wie Zeitungsartikel oder Beipackzettel nicht richtig verstehen. Sie bräuchten Weiterbildung, tun sich aber schwer damit. Und auch die Weiterbildungsanbieter tun sich schwer, diese Gruppen zu erreichen.
Was tun?
Oft heißt es: Auf den Anfang kommt es an. Das ist sicher zutreffend, denn viele empirische Studien zeigen, dass ein guter Schul- und Berufsabschluss eine wichtige Voraussetzung ist für lebenslanges Lernen. Eine demokratische Gesellschaft hat aber auch die Pflicht, jene zu unterstützen, die nachholen wollen, was sie in der Schule versäumt haben. Dazu braucht es entsprechende Angebote, vor allem auch öffentlich finanzierte Einrichtungen. Auch die Betriebe und die Arbeitsverwaltung sind hier gefordert.
Gibt es Modelle, die Schule machen können?
Wir haben im Deutschen Institut für Erwachsenenbildung gute Erfahrungen in Projekten gemacht, die etwa eine stadtteilbezogene, aufsuchende Bildungsarbeit erproben und Weiterbildungsanbieter anregen, mit Migranten-Organisationen zusammenzuarbeiten. Wenn es gelingt, solche Gruppen zur Teilnahme zu ermuntern, kann man sehen, dass sie im Anschluss auch eigenständig weitere Angebote wahrnehmen. Hilfreich wäre sicher auch, wenn Bildungseinrichtungen mehr Migranten beschäftigen würden – diese sind im gesamten Bildungsbereich unterrepräsentiert.
Hat sich die Gesellschaft zu wenig um die „Bildungsfernen“ gekümmert?
Dieses Problem wurde zu lange ignoriert, aus verschiedenen Gründen. Dass alternde Gesellschaften mit dem Fachkräftemangel rechnen müssen, ist zwar seit langem bekannt, aber Betriebe haben wie die Politik erst reagiert, als der Arbeitsmarkt sie zwang. Und erst dann sind auch die weniger gut Qualifizierten und Bildungsfernen in den Blick geraten. Ein anderer Grund hat damit zu tun, dass in der Weiterbildung gut qualifizierte Mitarbeiter arbeiten, denen es leichter fällt, Angebote für ihresgleichen zu entwickeln als für Gruppen, die ihnen eher fremd sind.
Welche Rolle spielt Geld?
Der Gesamtbereich der Weiterbildung ist deutlich unterfinanziert. Das gilt für die öffentlichen, aber auch für die privaten Aufwendungen. Gewerkschaften versuchen gerade, Weiterbildung zum Thema von Tarifverhandlungen zu machen. Das ist ein richtiger Weg. Aber auch die Adressaten selbst müssen sich umstellen. Nicht nur in Baden-Württemberg schließen viele Menschen Bausparverträge ab, aber kaum jemand einen Bildungssparvertrag. Das muss selbstverständlicher werden.
Dank des neuen Bildungszeitgesetzes können auch im Land Mitarbeiter künftig fünf Arbeitstage pro Jahr zur Weiterbildung nutzen . . .
. . . das ist ein wichtiges bildungspolitisches Signal für den Stellenwert von Weiterbildung, auch wenn die Teilnahmequoten voraussichtlich nicht drastisch ansteigen werden – das zeigen Erfahrungen aus anderen Bundesländern.
Was bringt die Nationale Strategie für Alphabetisierung und Grundbildung Erwachsener, die Bund und Länder 2011 vereinbart haben?
Allein dass es eine solche Strategie gibt, in die viele Akteure eingebunden sind, ist schon ein bemerkenswerter Erfolg. Wenn man bei der großen Herausforderung in der Alphabetisierung und Grundbildung aber wirklich vorankommen will, benötigt man eine koordinierte und längerfristig angelegte Strategie. Dazu gehören eine differenzierte Problembeschreibung sowie die Entwicklung und Erprobung gezielter Maßnahmen, schließlich die Bereitschaft, diese breit zu implementieren, wenn sie sich bewährt haben. Zudem braucht man ein regelmäßiges Monitoring, um zu sehen, was sich verändert, ob zum Beispiel der Anteil von Personen mit zu geringer Grundbildung sinkt oder nicht. Von einem solchen koordinierten Vorgehen sind wir leider noch weit entfernt.
Brauchen wir eine andere Lehrerbildung?
Aus der Forschung wissen wir, dass die Qualität des Unterrichts entscheidenden Einfluss darauf hat, ob Schüler lernen, was sie sollen – deshalb ist Lehrerbildung zentral. Aber wir wissen noch relativ wenig darüber, welche Modelle der Lehrerbildung wie erfolgreich sind. Im Weiterbildungsbereich ist das noch schwieriger, weil es den Beruf des Dozenten ja nicht gibt. Man schätzt, dass es in Deutschland etwa 300 000 bis 400 000 Lehrkräfte gibt, oft ohne pädagogische Qualifikation. Diese Beschäftigten brauchen dringend Unterstützung, um sich weiterbilden zu können. In diesem Feld engagiert sich das DIE derzeit sehr stark. Die Dozenten in der Weiterbildung „finanzieren“ übrigens einen Teil der Expansion der Weiterbildung dadurch mit, dass sie unter oft schwierigen Beschäftigungsbedingungen arbeiten, ohne angemessene Bezahlung.
Die Wirtschaft setzt teils eher auf Fachkräfte aus dem Ausland als auf Nachqualifizierung. Wie viel kann jemand dazulernen, der aus der Schule wenig mitbringt?
Das Fachkräfteproblem über Zuwanderung zu lösen ist für Wirtschaft und Politik die scheinbar einfachere Strategie. Nachqualifizierung scheint dagegen aufwendiger. Man wird das eine brauchen und darf das andere nicht lassen. Menschen brauchen immer wieder die Chance, weiter zu lernen und sich weiterzuentwickeln. Und das lohnt sich ja auch. Wer sich weiterbildet, ist beruflich erfolgreicher, lebt zumeist gesünder, ist sozial besser integriert und so weiter. Davon profitiert der Einzelne, aber auch die Gesellschaft. Nehmen Sie die EDV: Hier hat in den letzten Jahrzehnten eine bemerkenswerte informationstechnische Alphabetisierung stattgefunden. Ohne Weiterbildung wäre das nicht möglich gewesen.