Gottesdienst im Wald Foto: Bernhard Huber

Vom Ersten Weltkrieg erhoffte sich der badische Pfarrer Jakob Ebner auch eine geistige Erneuerung – und meldete sich kurz nach Kriegsausbruch freiwillig an die Front.

Albbruck - „Alleluja!!! (Ostern). Ich halte mehrere Gottesdienste. Vor der Kommunionbank liegt auf einer Bahre, mit einem Zelttuch zugedeckt, ein Pionier, Vater von 6 Kindern. Er ist gestern in der Nähe der Kirche von einer Granate getroffen worden. Es ist wieder eine furchtbare Kanonade. Die Feinde greifen überall an“, notiert Jakob Ebner am 4. April 1915, dem ersten Ostersonntag im Ersten Weltkrieg. Zwei Tage zuvor, an Karfreitag, hat der 42-Jährige vier Kameraden in französischer Erde bestattet und im Lazarett sieben weiteren das Sterbesakrament gespendet.

Ein solches Osterfest hatte sich der katholische Pfarrer aus Südbaden wohl nicht ausgemalt, als er sich am 2. August 1914 – einen Tag nach dem Kriegseintritt Deutschlands – als Freiwilliger meldete. „Ich hatte das Gefühl, dass viele Geistliche in diesem Krieg benötigt werden würden“, begründet er seinen Entschluss. Viele in seiner Gemeinde in Bietingen bei Meßkirch, wo Ebner seit elf Jahren Pfarrer ist, sind überrascht und geschockt. Tränen fließen. „Sie wollen mich zurückhalten, aber ich fühle es, ich muss gehen, die göttliche Vorsehung ruft.“ Noch am gleichen Abend bricht er auf nach Karlsruhe, wenige Tage zieht er mit den Soldaten Richtung Frankreich.

Mehr als vier Jahre wird Ebner an verschiedenen Stationen der Westfront eingesetzt sein. Nach seiner Beförderung zum Divisionspfarrer wird er mit der 29. Division, einer Art Feuerwehr, immer wieder dorthin abkommandiert, wo es am meisten brennt – unter anderem an die Somme nach Nordfrankreich, wo in einer fünfmonatigen Schlacht 1916 mehr als eine Million Soldaten getötet werden.

"Der Krieg: bester Gottfinder für die moderne Welt"

Während seines Theologiestudiums in Freiburg hatte Ebner auch einen Krankenpflegekurs besucht – als Seelsorger und Sanitäter erlebt er nun das unsägliche Leiden und sinnlose Sterben auf beiden Seiten – und protokolliert es. Jeden Abend, von wenigen Ausnahmen abgesehen, zeichnet er ihm wichtige Erlebnisse auf und schickt die Blätter mit der Feldpost zu seinen Eltern nach Unteralpfen – heute ein Ortsteil der Gemeinde Albbruck. In den 40er Jahren tippt er seine Notizen ab und lässt die 874 Seiten zu drei Bänden binden. Diese landen nach Ebners Tod 1960 auf dem Speicher seines Hauses. Dort entdeckt sie später sein Großneffe Bernhard Huber.

Als der 100. Jahrestag des Kriegsbeginns näher rückt, beschließen Huber sowie Paula Zwernemann, eine Großnichte Ebners, und Hans Göppert, früher Lehrer in Unteralpfen, das Werk des Pfarrers der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Nicht nur, um die Erinnerung an den wohl bekanntesten Sohn des 600-Einwohner-Dorfes wachzuhalten, sondern auch, weil sie zur Auseinandersetzung mit der Geschichte anregen wollen. „Ich habe das Tagebuch gelesen und bin davon kaum mehr losgekommen. Ein Tagebuch ist ja eigentlich etwas sehr Intimes. Aber dieses Tagebuch ist ein geschichtliches Zeugnis über ein Weltereignis“, erzählte Göppert kürzlich bei der Präsentation des Buches in der Linde in Unteralpfen, dem Geburtshaus Ebners.

Ebners Aufzeichnungen geben wichtige Einblicke in Ereignisse und das Denken seiner Zeit. Wie die meisten Deutschen hält er den Krieg für gerecht – Deutschland sei „von allen Seiten von neidischen Feinden bedrängt“, sagt er bei der Beerdigung eines Soldaten. Doch diejenigen, die im Sommer 1914 mit Hurra in den Krieg gezogen sind und darauf bauten, den Erbfeind wie beim Deutsch-Französischen Krieg 1870/71 schnell in die Knie zu zwingen, werden bald eines Besseren belehrt.

Nach anfänglichen Erfolgen entwickelt sich der Kampf zu einem Stellungskrieg. Die feindlichen Heere liegen sich in schwer befestigten Stellungen gegenüber. Durch den enormen Einsatz von Artillerie sowie neue Waffen wie Giftgas und Panzer versuchen beide Lager, die feindliche Linie zu durchbrechen. Deshalb kommt es oft an denselben Stellen immer wieder zu schweren Kämpfen. Schon am Tag nach Ebners Ankunft an der Front stirbt der erste Soldat in seinen Armen. „Ich höre kurz seine Beichte, indem ich lang gestreckt neben ihm liege“, schreibt er am 19. August 1914. „Ich spende ihm auch die Sterbesakramente. Er kann mir noch seine Adresse angeben und stirbt.“

Sätze, die immer wieder und immer öfter auftauchen. Fast 500 Soldaten wird er im Lauf des Krieges die letzte Ölung geben, fast 1000 beerdigen. Vielen Müttern, Vätern und Ehefrauen wird er die letzten Worte oder Wünsche der Verstorbenen übermitteln und für seine tröstenden Briefe zahlreiche Dankesschreiben empfangen. Weil es den Soldaten oft nicht möglich ist, zu den Gottesdiensten in die Kirche zu kommen, geht Ebner zu ihnen in die Nähe der Frontlinien, in die Schützengräben und Lazarette, um mit ihnen zu beten, die Beichte zu hören oder sie von ihren Sünden loszusprechen, bevor sie in den Kampf ziehen.

Kontakt zu französischen Pfarrhäusern

Regelmäßig erstattet er seiner Kirche Bericht über seine Arbeit. Auch an einen Redakteur des „Heuberger Boten“ schreibt er wiederholt, weil er die Menschen in der Heimat auf dem Laufenden halten und zum Durchhalten ermutigen will.

Frankreich, wo Kirche und Staat seit 1905 getrennt sind, gilt damals vielen Katholiken als gottloses Land. Diese Einstellung habe Ebner nicht daran gehindert, die Nöte der französischen Bevölkerung zu sehen und zu lindern, sagt Zwernemann. Dass er ihre Sprache beherrscht, erleichtert Kontakte.

Immer wieder berichtet Ebner über die freundliche Aufnahme in französischen Pfarrhäusern – sein erster Gang, wenn er an einen neuen Ort kommt. „Der französische Pfarrer holt aus dem Keller einen 1893er Bordeaux-Wein. Unser Herrgott segne diesen Pfarrer. So einen guten Wein habe ich in meinem Leben noch nicht getrunken“, schreibt er einmal. Französische Nonnen stellen für deutsche Soldaten „neue Unterhosen und Socken“ zur Verfügung, „die Schwestern geben gern, wenn ich sie darum bitte“. An einer anderen Stelle erwähnt er einen französischen Kollegen, der „mit höchster Hochachtung vom religiösen Sinn der deutschen Soldaten“ spricht.

Ebner hofft, dass der Krieg auch zu einer Rückbesinnung auf den Glauben führt. „Der Krieg ist der beste Gottsucher und Gottfinder geworden für die moderne Welt“, meint er. „Soldaten, die seit Jahren kein religiöses Zeichen mehr gaben, erklären ihren Kameraden gegenüber, dass sie bei glücklicher Rückkehr den Sonntag wieder heilig halten und das religiöse Leben offen betätigen wollen.“

Die Kriegserlebnisse hätten seinen Großonkel sehr geprägt, erzählt Bernhard Huber, der bis zu dessen Tod im April 1960 viel Zeit mit ihm verbrachte. Er habe oft darüber gesprochen. Dass „ein empfindsamer und schöngeistiger Mensch“ wie Ebner die Gräuel aus-gehalten habe, führt Göppert auf seine Fähigkeit zurück, sich in „Dinge“ zu versenken und daraus Kraft zu schöpfen. Dazu zählten Naturschönheiten und seine Liebe zu Bienen, Heimatverbundenheit, sein Sinn für Kunst und Kultur, aber auch sein festes Gottvertrauen. „Heute hatte ich einen guten Schutzengel, denn wäre ich durch die hintere Tür gegangen, wäre ich gerade in eine Granate gelaufen“, heißt es in einem Eintrag.

Tanzwut, Kaisersturz, Nachkriegswirren

Seine Hoffnung auf eine geistige und moralische Erneuerung erfüllt sich nicht. Nach Kriegsende stellt Ebner fest, dass der Krieg eher demoralisiert hat. „Nicht viele Soldaten im Gottesdienst. Es ist alles durcheinander. Man bringt die Leute nicht mehr zusammen!“, schreibt er im Dezember 1918. Er notiert die Klage eines Vikars, „dass eine förmliche Tanzwut eingekehrt sei“. Auch die Adventszeit werde nicht mehr berücksichtigt. Der Sturz des Kaisers und die politischen Auseinandersetzungen beunruhigen den Pfarrer, der auf die katholische Zentrums-Partei setzt, ebenfalls.

Doch es wird noch viel schlimmer kommen. 1934 wird Ebner – inzwischen Zuchthauspfarrer in Bruchsal – entlassen, weil ihn ein Häftling wegen einer kritischen Bemerkung über Hitler denunziert hatte.

Zehn Jahre später, mittlerweile lebt er wieder in Unteralpfen, verhaftet die Gestapo mit fadenscheinigen Argumenten Gemeindepfarrer Max Graf. Dieser war einigen Nazis im Dorf seit langem ein Dorn im Auge, weil er ihnen untersagt hatte, am Kirchturm einen Lautsprecher anzubringen. Am 25. April 1945 stirbt Pfarrer Graf im Konzentrationslager Dachau an Typhus. Vor dem Pfarrhaus in Unteralpfen, das schon lange keinen eigenen Pfarrer mehr hat, erinnern zwei Kreuze an die beiden Geistlichen.

Info: Die Kirchen und der Krieg

Info: Die Kirchen und der Krieg

Als Deutschland am 1. August 1914 den Krieg gegen Russland erklärte, kam von den christlichen Kirchen kaum Kritik. Viele Bischöfe waren der Auffassung, dass Christen Untertanen ihrer rechtmäßigen Obrigkeit seien und dieser auch im Falle eines Krieges gehorchen müssten. In allen Ländern forderten die Kirchen ihre Gläubigen auf, Kriegsdienst zu leisten, wie ihn die jeweilige Regierung verlangte.

Anlässlich des 100. Jahrestags des Kriegsbeginns bekannten sich 2014 die Katholische Deutsche Bischofskonferenz und die Evangelische Kirche in Deutschland zu einer Mitverantwortung. Viele Kirchenmänner hätten das Leid der Opfer nicht hinreichend wahrgenommen und seien nationaler Verblendung gefolgt.

Die Aufzeichnungen von Jakob Ebner sind unter dem Titel „Mein Tagebuch – 1. Weltkrieg 1914–1918“ unter der ISBN-Nummer 978-3-00-046077-7 erschienen. Das Buch kostet 29,50 Euro.

In Ebners Geburtshaus, dem Gasthaus Linde in Albbruck-Unteralpfen, hat der Verein Badische Heimat eine „Heimatstube“ für Ebner eingerichtet, in der sich neben seiner Schreibmaschine auch seine Bücher finden. Ebner verfasste mehrere Ortschroniken und Sachbücher. 1947 ernannte ihn die Universität Freiburg zum Ehrendoktor. ööööööö