Der neue Gestaltungsbeirat der Stadt, der aus externen Experten besteht, hat sich am Dienstag die Vogelsangschule angesehen. Hier gibt es Erweiterungspläne. Foto: Lichtgut/Achim Zweygarth

Experten des neuen Gestaltungsbeirats sollen die architektonische Qualität in Stuttgart heben – dazu gibt es genügend Gelegenheit. Der acht Köpfe zählende Gestaltungsbeirat der Stadt hat am Dienstag erstmals Bauvorhaben begutachtet.

Stuttgart - Der neue Gestaltungsbeirat, in anderen Städten längst Standard, hat am Dienstag vier Bauvorhaben beurteilt. Seine Hinweise sollen die architektonische Qualität verbessern. Verbindlich sind sie nicht, doch wenn der Vorsitzende Patrick Gmür sagt, dass das Gremium sich freuen würde, einen Entwurf nach der Überarbeitung wieder zu sehen, darf das als eindeutige Aufforderung angesehen werden.

Die Gruppe um Gmür, der bis 2016 sieben Jahre Direktor des Städtebauamts in Zürich war, will alle vier Vorhaben nochmals sehen. Je eine halbe Stunde nahm sich der Beirat für die Projekte samt Kurzvorstellung zur öffentlichen Debatte Zeit. Die Premiere im Literaturhaus litt allerdings unter den technischen Unzulänglichkeiten einer offenbar nicht funktionsfähigen Lautsprecheranlage und miserabler Ausleuchtung der Leinwandpräsentationen. Hier muss die Geschäftsstelle des Beirats dringend nachbessern, sie hat zwei Monat Zeit. Wer eine öffentliche Debatte anregen will, muss die Vorhaben zudem ins Netz stellen.

Premiere litt unter technischen Unzulänglichkeiten

Projekt 1: Die stadteigene Wohnungsbaugesellschaft SWSG will in der Jakobstraße 4 im Leonhardsviertel im denkmalgeschützten Umfeld ein nicht denkmalgeschütztes Wohnhaus aus dem 19. Jahrhundert abreisen. Begründung laut SWSG-Technikvorstand Helmuth Caesar: Pilz- und Hausschwammbefall, marode Statik, nur maximal 2,20 Meter hohe, hellhörige Räume, schiefe Böden. Der Neubau mit zeitgemäßen Deckenhöhen würde höher, wegen des nötigen Abstands zum Nachbarn aber weniger tief, ergo gewinnt der Hinterhof Fläche, „was der Sache gut tut“, sagte Caesar.

Das leuchtete dem Gremium nicht ein. „Warum wird das Haus wesentlich kleiner? Sie verzichten auf Fläche, das überzeugt nicht“, sagte Beirat Johannes Kister, Professor für Entwerfen am Bauhaus Dessau. Schaffe man mit dem Abriss nicht einen Präzedenzfall?, gab Vanessa Carlow, Professorin an der TU Braunschweig, zu bedenken. Ein Drittel der Fläche benötige man für das Treppenhaus, man schaffe nur Ein-Zimmer-Wohnungen. Die passten wohl ins Viertel, sagte der Vorsitzende Patrick Gmür, aber ein kleineres Haus sei „eine verpasste Chance“. Und die vertikal statt zuvor horizontal betonte Fassade mit tiefen Fenstern passe nicht ins Bild. Herwig Spiegel aus Wien fasste zusammen: „Uns liegt am Erhalt des Bestandes.“ Die SWSG erhält wie alle einen schriftlichen Bericht, sie soll Nacharbeiten.

Maßstäbe im Städtebau beachten

Projekt 2: Der Fritz-Campus, benannt nach der gleichnamigem Spedition, soll in Zuffenhausen am Übergang zwischen Wohnen und Gewerbe an der Schwieberdinger Straße mit fünf fünf- und sechsgeschossigen Büroblöcken entstehen, mit breiterem Grünstreifen zum kleinteiligen Wohnbestand und einem baumbestandenen Campus in der Mitte. 39 500 Quadratmeter Bürofläche und 600 Stellplätze in der Tiefgarage seien „kaufmännisch erforderlich“, sagte der Eigentümer. „Idealer wäre“, sagte Johannes Kister, wenn am Übergang zur Wohnbebauung auch Wohnhäuser entstünden. Die Büros wirkten „sehr massiv zur Wohnlage, da prallen Maßstäbe aufeinander“, erklärte Vanessa Carlow, zur Straße könne ein Bürohaus auch höher werden. Das fand auch Gmür.

Projekt 3: In den Hochbunker in Steinhaldenfeld, Zuckerbergstraße 80, sollen vier je 120 Quadratmeter große Wohnungen eingebaut werden. Die bis zu 1,80 Meter dicken Wände würden zur Neckar-Aussichtsseite mit viel Glas geöffnet, das Zeltdach mit einem Fensterband gehoben oder flach. Der „Nazibunker“ könne ein Flachdach erhalten, „die Landschaft braucht kein Krönchen“, befand Carlow. „Die Öffnungen sollten viel kleiner sein, man sollte daraus nichts Gewöhnliches machen“, sagte Andreas Cukrowicz (Bregenz). „Die Zipfelmütze ist prägend, das Dach sollte weit auskragen“, riet Gmür. Die trutzige Wirkung müsse erhalten bleiben, so der Landschaftsarchitekt Axel Lohrer (München). Die Bauherren, selbst Architekten, müssen noch viel Sorgfalt auf das Zeltdach verwenden.

Eine Schule unter Raumnot

Projekt 4: An der Vogelsangschule, Paulusstraße 30, im Westen ist die Stadt Bauherr. Das Frühwerk (1959) des hoch angesehenen, 2010 verstorbenen Stuttgarter Architekten Günther Behnisch soll um Mensa, Klassen- und Verwaltungsräume ergänzt werden, ohne Eingriff in die denkmalgeschützte Substanz. Die Stadt fokussiert zwei Baufelder: am Hang hinter dem Hauptbau oder, der besseren Anlieferung wegen, an der Straße. Der Beirat regte einen Flächentausch im Altbau für die Mensa und einen Anbau an die Sporthalle an, sonst müsse man ja „zwischen Pest und Cholera“ wählen , sagte PatrickGmür, das wolle man nicht.