Es kann jeden treffen: Ersthelfer bei einem Unfall Foto: dpa

Der Mann, der am Freitag eine fieberhafte Suche der Polizei auslöste, ist weiter unbekannt. Man hatte befürchtet, dass er sich als Ersthelfer bei einem Unfallopfer mit Aids angesteckt haben könnte. Trotz Entwarnung: Der Fall aus Sindelfingen ist ein Lehrstück für alle Unfallretter.

Sindelfingen/Stuttgart - Das Drama beginnt am Donnerstag um 21.50 Uhr, als ein 37-Jähriger eine Fußgängerfurt in der Hanns-Martin-Schleyer-Straße bei Rot zu überqueren versucht. Der Leichtsinn lässt ihn vor den VW Golf eines 18-Jährigen geraten, der nicht mehr ausweichen kann und mit dem Passanten kollidiert. Der 37-Jährige bleibt blutüberströmt auf dem Asphalt liegen, mehrere Ersthelfer versuchen ihn zu reanimieren – vergebens.

Mit dem Tod des 37-Jährigen beginnt ein zweites Drama, ein Wettlauf mit der Zeit. Denn von dem Unfallopfer könnte eine Gefahr ausgehen. Die Polizei kennt ihn: Ein Drogensüchtiger, der nach eigenen Angaben mit dem Aidsvirus infiziert war. Unbekannt ist der Polizei dagegen ist einer der Ersthelfer, der sich laut einer Zeugin um ihn mit Mund-zu-Mund-Beatmung gekümmert hatte. Ein 50-Jähriger, dunkle Haare, Bart. Er sollte sich dringend ärztlich untersuchen lassen, ob er sich womöglich mit dem Virus infiziert hat: „Eine reine Vorsichtsmaßnahme“, sagt Polizeisprecher Peter Widenhorn. Doch er wird vergeblich gesucht.

Der Fall löst Betroffenheit aus: Schließlich kann es jeden treffen, in eine solche Situation zu geraten. Dann lieber gar nicht helfen, um nicht auch noch aidskrank zu werden?

Dr. Andreas Zsolnai von der Stuttgarter Drogen-Schwerpunktpraxis beruhigt: „Die Wahrscheinlichkeit geht gegen null“, sagt er. Damit das HI-Virus in die Blutbahn eines anderen könne, müssten schon viele ungünstige Umstände zusammenkommen. Unter Medikamenten könne eine Kranker zu diesem Zeitpunkt sogar virusfrei sein.

Eine Übertragung von HI-Viren über den Speichel hält Dr. Martin Priwitzer vom Sachbereich Infektionsschutz im Gesundheitsamt gar für gänzlich ausgeschlossen: „Da müsste man schon eimerweise Speichel austauschen“, sagt er. Um sich über das Blut anzustecken, müsste ein Ersthelfer selbst mindestens eine große und frische Wunde haben. „Das Risiko ist faktisch sehr klein“, sagt Priwitzer. Es gebe keinen Grund, Erste-Hilfe-Maßnahmen nur aus Angst vor einer Infektion zu unterlassen.

Die Polizei würde den unbekannten Ersthelfer dennoch gerne über die Situation informieren – doch trotz Aufruf in Rundfunk und Internet meldet er sich nicht. Warum hat er überhaupt die Unfallstelle verlassen, ohne seine Personalien zu hinterlassen? Fühlte er sich gar nicht so sehr ins Geschehen verwickelt? Will er nur seine Ruhe? Dafür hellen andere Ersthelfer, die an der Unfallstelle tätig waren, die Situation ein wenig auf. Es wird bezweifelt, ob der etwa 50-jährige Mann tatsächlich eine Mund-zu-Mund-Beatmung vorgenommen hat.

Vielleicht, womöglich? Sollte jemand tatsächlich Opfer einer Übertragung mit dem HI-Virus geworden sein, ist Eile geboten. Der Klassiker: Wenn sich medizinisches Personal bei einer Blutabnahme eines Aidskranken versehentlich mit der Nadel sticht. Innerhalb von 24 Stunden sollte eine medikamentöse Behandlung beginnen – um das Virus vorbeugend einzudämmen. Infektionsmediziner nennen das Postexpositions-Prophylaxe, kurz PEP.

In den ersten zwei Stunden ist die Behandlung am effektivsten. Nach 72 Stunden dagegen ist die Behandlung sinnlos geworden. Freilich: Bei tiefen Stichen und der Übertragung von virenreichem Blut ist die Behandlung notwendig – nicht aber, wenn ein Ersthelfer nur mit seiner intakten Haut Kontakt mit Blut oder Speichel eines HIV-Kranken gehabt hatte. Die PEP hat nämlich auch gesundheitliche Nebenwirkungen.

Die Unfallermittler haben eine Blutprobe des 37-jährigen Unfalltoten im Labor untersuchen lassen. Am Freitag in den Mittagsstunden ist klar: Bei dem 37-Jährigen sind keine HI-Viren vorhanden – alle können also aufatmen. Auch der unbekannte Helfer, sollte er überhaupt von seiner Lage wissen.

Der Aids-Vermerk stand lediglich aufgrund früherer Aussagen des 37-Jährigen in den Polizeiakten. „So etwas wird nicht extra medizinisch überprüft“, sagt Polizeisprecher Widenhorn. Der Eintrag im internen Informationssystem stehe deshalb immer unter Vorbehalt. Warum der 37-Jährige mutmaßlich falsche Angaben machte, wird unklar bleiben müssen.

Gleichwohl wäre der Polizei große Sucharbeit erspart geblieben, hätte sich der Ersthelfer nicht einfach aus dem Staub gemacht. Zeugen sollte normalerweise am Ort bleiben. Bei dringenden Terminen sei es aber auch möglich, sich bei einem Polizisten abzumelden, sagt Widenhorn: „Man sollte wenigstens seine Personalien hinterlassen.“