Aufräumen nach dem Bombenanschlag auf das deutsche Generalkonsulat am vorigen Donnerstagabend in Masar-i-Scharif: Selbst in der Nähe des Bundeswehrlagers herrscht keine Sicherheit mehr. Foto: AFP

In Erwartung einer größeren Anzahl von Abschiebungen nach Afghanistan bewertet das Bundesinnenministerium die Sicherheitslage vor Ort als „ausreichend kontrollierbar“. Die Linksfraktion im Bundestag rügt diese Haltung als „Zynismus pur“.

Stuttgart - Trotz des Autobombenattentats auf das deutsche Generalkonsulat vor einer Woche im afghanischen Masar-i-Scharif sieht das Bundesinnenministerium keine Verschlechterung der Sicherheitslage im gesamten Land. Polizei und Militär gelinge es „nach afghanischen Angaben“, die meisten urbanen Zentren mit der Mehrzahl der Provinzhauptstädte „ausreichend zu kontrollieren“, versichert das Ministerium. Die Bedrohungslage für afghanische Zivilisten habe sich gegenüber dem Vorjahr insgesamt nicht verändert, heißt es in einer Antwort auf eine Kleine Anfrage der Linksfraktion im Bundestag, die dieser Zeitung vorliegt.

Die innenpolitische Sprecherin der Linksfraktion, Ulla Jelpke, kritisiert „den Versuch, sich die Sicherheitslage in Afghanistan schönzureden“, als „erbärmlich“. Dass das Ministerium den Angriff der Taliban Anfang Oktober in Kundus als „mögliche zeitweise Verschlechterung“ bewerte, sei „Zynismus pur“. Bei gerade fünf Prozent ausreisepflichtigen Afghanen mit abgelehntem Asylantrag seien die permanenten Forderungen nach umfangreichen Abschiebungen zudem „reiner Populismus“, so Jelpke. Konkret beziffert das Ministerium 12 539 afghanische Staatsangehörige als ausreisepflichtig, davon 3214 aus Baden-Württemberg. Davon haben aber 11 543 eine Duldung – wegen Minderjährigkeit oder mangels Dokumenten, aus familären oder medizinischen Gründen.

Mehr als jeder Dritte ist minderjährig

Insgesamt leben laut Innenministerium hierzulande 246 954 afghanische Staatsangehörige – 91 359 von ihnen sind unter 18 Jahren (Stand Ende September). Baden-Württemberg bietet 23 623 Afghanen eine Bleibe – nur Bayern, Nordrhein-Westfalen und Hessen sind stärker frequentiert. Von allen Afghanen im Bundesgebiet haben 6,6 Prozent einen unbefristeten Aufnahmestatus, fast 23 Prozent einen befristeten Titel und 48 Prozent eine Duldung.

An den Hindukusch abgeschoben wurden in diesem Jahr erst 27 Afghanen – wohin, ist offen. Im gesamten Vorjahr waren es neun. Laut Linksfraktion hat sich aber die Anerkennungsquote verschlechtert. Die „bereinigte Schutzquote“ betrug von Januar bis September 52,4 Prozent – 2015 noch 77,6 Prozent. Da es die Sicherheitslage nicht rechtfertige, den Schutz zu versagen, liege der Verdacht nahe, dass das Bundesmigrationsamt (Bamf) bei seinen Entscheidungen „politischen Vorgaben folgt“.

Rückkehr aus Frust – trotz positiven Asylbescheids

Anfang Oktober hatten die EU und die Bundesregierung mit Afghanistan vereinbart, die Abschiebung zu erleichtern. Viel mehr Afghanen gehen freiwillig zurück: 2969 bewilligte Ausreisen wurden von Januar bis Ende September 2016 im Rahmen der Rückkehr-Förderprogramme (Reag/Garb) gezählt. Es handelt sich nicht nur um Ausreisepflichtige. Sogar enttäuschte Afghanen mit positivem Asylbescheid oder Geduldete befinden sich darunter. Im gesamten Vorjahr waren es lediglich 308 freiwillige Heimkehrer.

In der Rangliste der Rückkehrländer führt nach Angaben der Internationalen Organisation für Migration (IOM) Albanien (13 828) mit Abstand vor Serbien (5247), Irak (4696), Kosovo (4502), Mazedonien (3752) und eben Afghanistan an sechster Stelle. Das IOM unterstützt mit den von Bund und Ländern finanzierten Rückkehrprogrammen die freiwillige Heimkehr logistisch und finanziell. So wird afghanischen Ausreisewilligen die Reise bezahlt, zudem gibt es Reisebeihilfen von 200 Euro pro Person und Starthilfen von 500 Euro in bar (Kinder unter zwölf die Hälfte). Die Linksfraktion rügt, dass die Rückkehrprogramme für die meisten Ausreisepflichtigen nicht attraktiv seien: Maximal 2500 Euro seien es nicht wert, sein Leben aufs Spiel zu setzen. Und neue Programme seien nicht geplant.