Nur wenn wie hier Trauben gewachsen sind, kann die Weinrebe Ertrag bringen – egal wie grün der Rest der Pflanze wuchert. Foto: Gottfried Stoppel

Zwei Frostnächte im April haben einen enormen Schaden angerichtet. Das Waiblinger Landratsamt schätzt die Ernteausfälle im Wein- und Obstbau auf mindestens 18 Millionen Euro.

Rems-Murr-Kreis - Der Kälteeinbruch in den Nächten vom 19. bis 21. April hat im Obst- und Weinbau gravierende Schäden hinterlassen. Das wird jetzt immer deutlicher. Das Landratsamt schätzt die Ernteausfälle im Rems-Murr-Kreis zum jetzigen Zeitpunkt unter dem Strich auf mehr als 18 Millionen Euro. „Nicht zuletzt vor dem Hintergrund der ohnehin schwierigen wirtschaftlichen Situation bestehen bei einigen Familienbetrieben gravierende Existenzängste“, heißt es in einer Stellungnahme des Landrats Richard Sigel auf eine Anfrage der FDP-Kreistagsfraktion.

Zwölf Millionen Euro Verluste im Weinbau

Mit gut zwölf Millionen Euro im Wein-, knapp sechs Millionen im Obst- und mehr als 300 000 Euro im Ackerbau schlägt die späte Rückkehr von Väterchen Frost nach einer zuvor extrem milden Wetterperiode im Frühjahr voraussichtlich zu Buche. Etwa 1200 Hektar Fläche im Weinbau und mehr als 400 Quadratmeter im Obstbau wurden nach Erkenntnissen des Landratsamts buchstäblich eiskalt erwischt.

Neben den Trauben wird man vielerorts vor allem Äpfel vergebens suchen. Auf rund 285 Hektar Fläche haben die Minustemperaturen den Großteil der frisch geöffneten Blüten zerstört. Bei Birne, Süßkirsche und Zwetschge sieht es nicht viel besser aus. Bei früh blühenden „Exoten“ wie etwa Pfirsichen muss wohl mit Totalausfällen gerechnet werden.

Noch sind die Zahlen freilich nur grobe Schätzungen. Für eine detaillierte Feststellung des finanziellen Schadens sei es zu früh, die genauen Auswirkungen könnten erst zum Zeitpunkt der Ernte beziffert werden, heißt es in der Einschätzung des Landratsamts. Anträge auf direkte finanzielle Hilfen, die das Land in Aussicht gestellt hat, könnten deshalb wohl auch erst frühestens von September an gestellt werden. Bis Ende Juli indes könnten Betroffene Anträge auf eine Stundung von Steuern einreichen. Die Wengerter und Obstbauern im Rems-Murr-Kreis sind in ihrem Schicksal keineswegs allein: baden-württemberg-weit wird mit Schäden im dreistelligen Millionenbereich gerechnet.

Gut hundert Tage dauert es noch, bis die Weinlese beginnt. Und erst wenn die Trauben im Keller sind, lässt sich wirklich abschätzen, welche Folgen der Aprilfrost für die Erzeuger hatte. Im ersten Schock war beispielsweise in Fellbach und Kernen von bis zu 80 Prozent Ernteausfall durch erfrorene Reben die Rede gewesen. Inzwischen pendeln sich die Schätzungen bei etwa 50 Prozent ein. Die Natur hat sich ein stückweit selbst geholfen. Welchen Reifegrad die nachtreibenden Trauben im Wettrennen um die Oechslegrade noch erreichen, steht allerdings auf einem anderen Blatt – und macht die Qualitätsfrage im Herbst noch spannender als in normalen Jahren.

Wengerter werden zur Rede gestellt

Arbeit freilich haben die Wengerter trotz der absehbaren Einbußen wie üblich. Ausgeizen und Einschlingen heißt die Devise, um das Blattwerk nach der abgeschlossenen Blüte luftig zu halten und auf den Spritzmitteleinsatz so weit wie möglich verzichten zu können.

Bemerkenswert ist beim Dauereinsatz in den Rebhängen, dass die Wengerter immer wieder von Spaziergängern zur Rede gestellt werden. So mancher, wie etwa Thomas Seibold, der Vorstandschef der Fellbacher Weingärtner, gerät mitunter in Erklärungszwänge:„Für Laien ist nicht unbedingt nachvollziehbar, dass Blätter und Triebe in rasendem Tempo wachsen und wir von Ernteeinbußen sprechen“, sagt Seibold. Dass der Trieb trotz vieler Blätter nur Frucht bringt, wenn Trauben dran hängen, ist offenbar nicht allen Kappelberg-Gästen klar. Auch Markus Heid hat jüngst sein Leid geklagt, dass der Aufwand im Rebhang auch im Frostjahr nicht kleiner wird: „Du wirst wahnsinnig, wenn du ständig an Trieben entlang schaust, an denen nicht eine Traube hängt“, sagt er.