Dem Lieblingsklang auf der Spur: Die Station „Tonspur“ im EINS+ALLES. Foto:  

Vier Stunden sollte man schon mitbringen für das Erfahrungsfeld der Sinne im Welzheimer Wald. Von einem Erlebnispfad über Kunst im Wald bis zur Tieroase gibt es vieles zu entdecken.

Welzheim - Nur einen kurzen Moment sitzen Milo und Chiara auf der Holzbank und schauen hinab ins Tal – auf den Fluss Wieslauf, der sich tief unten windet, und auf die Gleise der Schwäbischen Waldbahn. Dann springen die beiden auf: Wer ist schneller bei den Ziegen in der Tieroase? Michele Porcaro hat Mühe, den zweien hinterherzulaufen. Zusammen mit seinen Enkeln besucht der 60-Jährige das Erfahrungsfeld der Sinne EINS+ALLES bei Welzheim.

„Ich lebe auf dem Land, in Rudersberg, aber die beiden wohnen in der Stadt und sind nur selten in der Natur“, sagt Michele Porcaro. „Wir kommen regelmäßig her. Es ist schön für die Kinder, hier im Wald zu sein und bei den Tieren.“

Das Erfahrungsfeld EINS+ALLES wurde im Jahr 2007 eröffnet. Es umfasst den etwa 3,5 Kilometer langen Erlebnispfad „Wunderweg“, einen Spielplatz sowie einen Innenbereich mit zahlreichen Stationen. Außerdem bietet es Schafen, Ziegen, Lamas, Eseln, Hasen, Meerschweinchen und Hühnern ein Zuhause. Die Tiere werden von den Bewohnern des Christopherus-Heims versorgt, einer Lebens- und Arbeitsgemeinschaft geistig behinderter Menschen.

Heute wohnen 95 Erwachsene im Christopherus-Heim

„Das Thema Inklusion ist der rote Faden“, erklärt Daniela Doberschütz, Marketingleiterin von EINS+ALLES. „Die Behinderten werden überall integriert – in der Tieroase, dem Restaurant, der Kaffeerösterei und in der Waldwerkstatt. In vielen Bereichen sind sie die Profis – das sorgt dafür, dass die Besucher auch mal die Perspektive wechseln.“

Schon in den 1950er Jahren befand sich in dem Tal im Welzheimer Wald eine Sozialeinrichtung für Kinder mit geistiger Behinderung. Heute leben rund 95 Erwachsene im Christopherus-Heim.

Einer von ihnen ist der 25-jährige Moritz. Nach zwei Jahren in der Bäckerei darf er nun wieder in der Tieroase arbeiten. Er umarmt seine Betreuerin Steffi Tränkle und freut sich: „Die Ziegen und Esel mag ich am liebsten. Ich arbeite sehr gerne hier – das ist einfach mein Stil.“ Alle Heimbewohner, die dazu in der Lage sind, durchlaufen eine dreijährige Ausbildung im Erlebnisfeld. „Während dieser Zeit sollen sie möglichst viele der Stationen kennenlernen“, sagt Steffi Tränkle. „Damit sie hinterher entscheiden können, wo es ihnen am besten gefällt.“

Bei vielen Stadionen geht es um die Vermittlung von Sinneserfahrungen

Teils in Gruppen, teils alleine arbeiten die Behinderten auf dem weitläufigen Gelände. Einige von ihnen gehen offen auf die Besucher zu und wollen mit ihnen reden, andere sind eher introvertiert und bleiben lieber für sich. „Da hat einfach jeder seine Eigenheiten“, bemerkt Daniela Doberschütz.

Mit mehr als 80 000 Gästen pro Jahr ist das Erfahrungsfeld der Sinne inzwischen der zweitgrößte Touristik-Anbieter im Rems-Murr-Kreis. Um alles zu sehen, sollte man mindestens vier Stunden mitbringen. Aber auch ein ganzer Tag geht schnell vorbei. Ein Grund ist, dass sich hinter vielen der kunstvoll gestalteten Stationen Rätsel verbergen.

So wie beim „Kanon König“ auf dem „Wunderweg“, der den Schwerpunkt von EINS+ALLES bildet. Das Klangspiel ist von innen und außen bespielbar. Wenn man die richtige Reihenfolge erwischt, ertönt eine bekannte Melodie. „Es dauert oft lange, bis die Gäste das herausfinden“, sagt Daniela Doberschütz. „Aber gerade das macht es ja reizvoll.“ Eine Tafel vor der Station hilft den Besuchern übrigens, das Rätsel aufzulösen. Bei anderen Stationen – wie dem Barfußpfad oder dem Summstein – geht es dagegen um Sinneserfahrungen.

Rudolf Steiner glaubte, dass Menschen nicht fünf, sondern zwölf Sinne haben

Der „Wunderweg“ geht auf das „Erfahrungsfeld zur Entfaltung der Sinne“ von Hugo Kükelhaus zurück. Der Pädagoge entwarf die Erlebnisausstellung 1967 für den deutschen Pavillon der Weltausstellung in Montreal. Sie basierte auf der Sinneslehre Rudolf Steiners, der zufolge Menschen nicht nur fünf, sondern zwölf Sinne haben. Wahrnehmungen wie den Bewegungssinn, den Wärmesinn und den Gleichgewichtssinn stellte der Anthroposoph zu Beginn des 19. Jahrhunderts dem Sehen, Hören, Riechen, Schmecken und Tasten gleich.

„Der Besucher erfährt, wie das Auge sieht, das Ohr hört, die Nase riecht, die Haut fühlt, die Finger tasten, der Fuß (ver-)steht, die Hand (be-)greift, das Gehirn denkt, die Lunge atmet, das Blut pulst, der Körper schwingt“, sagte Kükelhaus über sein„Erfahrungsfeld zur Entfaltung der Sinne“.

Mittlerweile wurden schon zahlreiche Erfahrungsfelder in Deutschland, Österreich und der Schweiz gegründet. EINS+ALLES ist aber bislang das einzige, bei dem geistig behinderte Menschen mitarbeiten. Für dieses soziale Engagement wurde das Erfahrungsfeld in diesem Jahr bereits als „ausgezeichneter Ort im Land der Ideen“ in der Kategorie „Gesellschaft“ prämiert.