Blick auf die Stiftskirche und das Rathaus im zerstörten Stuttgart nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs 1945. Foto: dpa

Wie haben Baden-Württemberger das Ende des Zweiten Weltkriegs erlebt? Wir veröffentlichen an dieser Stelle in Auszügen Erinnerungen unserer Leserinnen und Leser. Luise Israel aus Sindelfingen erzählt vom Einmarsch der Russen im ostsächsischen Bautzen, wo sie das Kriegsende erlebte.

Stuttgart - Wie haben Baden-Württemberger das Ende des Zweiten Weltkriegs erlebt? Wir veröffentlichen an dieser Stelle in Auszügen Erinnerungen unserer Leserinnen und Leser. Luise Israel aus Sindelfingen erzählt vom Einmarsch der Russen im ostsächsischen Bautzen, wo sie das Kriegsende erlebte.

„Der Kriegslärm vom umkämpften Bautzen dringt bis in die letzte Ecke der Oberlausitz und verursacht angstvolle Gefühle bei mir, kurz vor dem 11. Geburtstag. Ich bin ja mit Kriegsgeschrei aufgewachsen, aber nun glaubt niemand mehr an einen Sieg, auch wenn Bautzen die Angreifer noch zurückdrängen kann. Das Wetter ist schön in dieser Zeit. Italiener bauen noch schnell eine Panzersperre in meiner Straße und singen mir ein Lied, weil ich zugucken muss.

Als Dresden bombardiert wird, können wir – 80 Kilometer entfernt – den feuerroten Himmel sehen. So stellt man sich die Hölle vor! Am nächsten Tag liegen bei uns überall verbrannte Papierfetzen herum, die der Wind aus Dresden hergetragen hat.

Ich kann die Flugzeuge sehen, die Bomben auf die Flüchtlingsströme aus dem Osten werfen. Das macht Angst. Meine Mutter beschließt daher: Wir gehen nicht fort! Wohin sollen wir auch gehen? Die gepackten Sachen auf Fahrrad und Leiterwagen werden in den Keller gefahren, und die für die Flucht gebackenen Plätzchen aus Rübensirup werden später gegessen.

Knapp zwei Tage dauern die Kampfhandlungen, die wir Bewohner des Amtsgerichts meist im Keller verbringen. In der Nacht zum 8. Mai 1945 fliegen wir fast von unseren Sitzen, als ein Geschütz unweit des Hauses gesprengt wird. Stille breitet sich aus.

Als wir uns wieder auf die Straße trauen, heißt es, wir haben kapituliert. Dann sind „die Russen“ da. Sprüche waren umgegangen, sie würden einem die Zunge rausreißen. Aber das Amtsgericht, in dem wir wohnen, ist ein ehemaliges Schloss: Es verbreitet Respekt. So sind die russischen Besucher am Haus friedlich und wollen nur „Urr-Urr“ – Uhren!

Nicht lange, und es heißt, der Kommandant hat eine deutsche Freundin. Ich weiß nicht, ob sie geholfen hat, dass die Heimatstadt nicht zusammengeschossen wird – obwohl Hitlerjungen noch nach der Kapitulation vom Berg auf die einziehende russische Armee geschossen haben.

Meine Freizeit habe ich danach zugebracht mit Holzsammeln, Ährenlesen und Kartoffelfelderdurchhacken, um noch unentdeckte Früchte zu finden. In der Schule bekamen wir fürchterliche Filme zu sehen über die Schandtaten der Deutschen. Mir sind noch die Bilder im Kopf, wie das Gas eingesetzt wurde – das war schrecklich. Uns wurde drastisch gesagt, dass der Krieg unsere Schuld gewesen war. Nun war eine neue Ideologie zu lernen – der Kommunismus –, und das Leben normalisierte sich, wenn auch in strengem Rahmen. Und wehe dem, der anders dachte als vorgegeben.

Mit Kindern wurde leider nicht über deren Erlebnisse gesprochen, nicht während des Krieges und auch nicht danach. Jeder hatte mit sich selbst zu tun. Das hatte schlimme Folgen für die Seele – die Bilder des Krieges saßen tief. Erst Jahre später, als ich ein Buch gelesen habe, wurde mir wieder vor Augen geführt, was ich erlebt hatte.

Hat der Mensch etwas gelernt, was den Krieg betrifft? Nein!“

Aufgezeichnet von Hanna Spanhel