Dorothea Sick erinnert sich anlässlich des Abrisses des Alten Schulhauses an ihre Kindheit. Foto: privat

Die Kunde vom Abriss des Alten Schulhauses in Plieningen ist bis ins Badner Land vorgedrungen. Dorothea Sick hat als Kind in dem Gebäude an der Scharnhauser Straße gelebt. Viele Jahre später hat sie ihre Erinnerungen an diese Zeit aufgeschrieben.

Plieningen - Dorothea Sick ist in Plieningen aufgewachsen und verbrachte hier einen Teil ihrer Kindheit. Die Liebe brachte sie als Erwachsene später ins Badner Land. Heute lebt Sick in Denzlingen bei Freiburg. Die Autorin hat aber immer noch Freunde in Plieningen, mit denen sie regelmäßig in Kontakt ist. Von ihnen erhielt sie den Zeitungsartikel über den Abriss des Alten Schulhauses. Die Lektüre habe ihre Erinnerungen wieder aufgefrischt. „Das musste ich einfach aufschreiben“, sagt sie. Das hat sie für uns getan.

Erinnerungen in einem Brief

„Ein schöner Bau war es nicht, das alte Plieninger Schulhaus. Aber praktisch! Drei Klassenräume für die ersten Grundschulklassen und zwei geräumige Lehrerwohnungen mit je fünf Zimmern. So war es, als mein Vater als Landwirtschaftlicher Berufsschullehrer 1937 die Wohnung im ersten Stock als Dienstwohnung zugewiesen bekam. Ich war damals zwei Jahre alt und verlebte bis 1946 Kindheit und Grundschulzeit in diesem Haus. Morgens wachte ich auf mit dem Kanon „Froh zu sein bedarf es wenig“, den Lehrer Kopf jeden Morgen am Beginn des Unterrichts singen ließ. Das Kopfende des Ehebetts, in dem ich schlief, als mein Vater im Krieg eingezogen war, berührte die dünne Wand des Klassenzimmers der dritten Klasse. Man verstand auch das Aufsagen auswendig gelernter Sprüche und Gedichte. Zum Unterricht im Erdgeschoss, erste Klasse, rutschte ich auf dem Treppengeländer mit Haarnadelkurve. Abends fand in diesem Klassenzimmer für Kinder nationalsozialistischer Eltern Weltanschauungsunterricht statt und am Morgen lasen wir neugierig, aber scheu von der Tafel, was da im Gegensatz zu dem, was die Mehrheit im Religionsunterricht lernte, an der Tafel stand, von Wotan, Donar und der Weltenesche. Jeden Montag wurde vor dem Schulhaus die Fahne aufgezogen und wir sangen. „Die Fahne hoch“ . . ., und niemand hatte uns erklärt, was es bedeutet: „Kameraden, die Rotfront und Reaktion erschossen“, aber auswendig kann ich die Zeilen heute noch.

Der Anschlag war an der Schulhauswand

Nachmittags trafen sich auf dem asphaltierten Schulplatz alle Kinder der Nachbarschaft. Wir spielten Ball gegen die Wand des Schulhauses, zum Beispiel „Deutschland-England“: Jedes Kind nahm sich einen Ländernamen, es musste den Ball fangen, wenn der Name aufgerufen wurde und der Ball von der Wand herunter kam. Inzwischen waren die anderen Kinder weggerannt und mussten abgeschossen werden. Murmelspiel war beliebt und Hüpfen auf Feldern, die mit einem Stück Kreide auf den Asphalt gezeichnet waren. „Verstecken“, der Anschlag war an der Schulhauswand. Auch bei dem Spiel „Wie viel Schritte gibst Du mir?“ ,„ Drei Hühnerdäpperle“ oder anderen. „Mariechen saß auf einem Stein“, „Machet auf das Tor“ und viele andere solche Gruppenspiele spielten wir auf dem Schulplatz. Ich hatte als privilegiertes Lehrerkind eine Holzradelrutsch der Marke Steiff, die alle Kinder nacheinander benutzten auf dem Sträßchen herab von der Kirche, so lange, bis die beiden Scheiben der Metallräder sich voneinander lösten, kein Fahren mehr möglich war, und weil auch kein neuer Roller gekauft werden konnte, denn es war ja Krieg.

Nachts trafen sich bei Fliegeralarm alle Nachbarn zum Schutz vor Bombenangriffen im gewölbten Keller des Schulhauses, weil er als sicher galt. Die Kinder wurden in die Mitte genommen, fassten Vertrauen zu den erwachsenen Nachbarn und besuchten diese dann auch tagsüber. Zum Glück fiel in Plieningen keine Bombe, aber Splitter fanden unsere „Buben“ aus der Klasse doch im Gelände und brachten diese stolz zum Unterricht mit. Während der Bombenangriffe auf Stuttgart sah man vom Kellerabgang aus die Leuchtkugeln am Himmel, die für die Bomber das Ziel markierten. Nach Stunden kamen dann die lang gezogenen Sirenentöne der Entwarnung, und die übermüdeten Nachbarn suchten wieder ihre Häuser auf, während wir nur die Treppe hinauf ins Bett huschten. Oben auf der geräumigen „Bühne“ standen Eimer mit Sand und Wasser und ein Schild mit der Inschrift „Gegen Feuer und Brand hilft nur Wasser und Sand“, die erklärte, warum. So lernte man lesen.

Dünger aus der Grube der Schülerklos

Den großen Schulgarten darf ich nicht vergessen. In ihm standen auch die Plumpsklos. Alle Lehrer hatten einen Gartenteil und bauten ihr Gemüse selbst an. Gedüngt wurde mit dem, was aus der Grube der Schülerklos geschöpft wurde. So fand man auch manches Stück Zeitungspapier zwischen den Pflanzen. Kein Wunder, dass wir ab und zu Würmer hatten, sowohl Spul- als auch Madenwürmer.

Im Sandkasten trafen sich die Nachbarskinder wieder an der Schaukel. Diese flog so hoch, dass man sich wie im siebten Himmel vorkam. Natürlich gab es nur ein Brett, und man musste sich geduldig anstellen, bis man an der Reihe war.

Und obwohl in diesen Jahren, die ich im Alten Schulhaus in Plieningen verlebt habe, Krieg war, der uns wie gesagt hier nicht direkt getroffen hat, aber in dem Schulkameraden ihre Väter verloren haben, waren es glückliche Kinderjahre – dank der großzügigen Räume und der Freiheit, die wir beim Spielen hatten. Autos gab es auf der Scharnhäuserstraße so gut wie keine.“