Junger Mann mit Kameraerfahrung: David Rau ist für Stuggi-TV am Mikro Foto: Peter Petsch

Fernsehen zu bestimmten Sendezeiten war gestern. Jugendliche heute informieren sich im Internet. Und zwar über Themen, die ihre Lebenswirklichkeit betreffen. Das hat Stuggi-TV-Chef David Rau erkannt. Sein Online-Sender ist seit zwei Jahren ein Erfolgsmodell.

Stuttgart - Fernsehen zu bestimmten Sendezeiten war gestern. Jugendliche heute informieren sich im Internet. Und zwar über Themen, die ihre Lebenswirklichkeit betreffen. Das hat Stuggi.TV-Chef David Rau erkannt. Sein Online-Sender ist seit zwei Jahren ein Erfolgsmodell.

Herr Rau, was unterscheidet Stuggi.TV eigentlich von „Wissen-macht-A“ oder „Logo“?
Wollen Sie mich veräppeln? Stuggi.TV hat eine andere, etwas ältere Zielgruppe.
Keineswegs. Es sind Fernsehformate für junge Menschen.
Wir machen Programm für Jugendliche und junge Erwachsene. Das wäre in etwa so, als wenn man die Stuttgarter Nachrichten mit der Bravo vergleichen würde.
Und auf wen zielt Stuggi.TV?
Wir bedienen die Gruppe der 14- bis 26-Jährigen. Aber wir haben auch immer mehr Ältere, die unser Angebot gut finden.
Auf zum nächsten Vergleich: Was hat Stuggi.TV mit „Brigitte“ gemeinsam?
Mit der Frauenzeitschrift?
Genau.
Da muss ich passen. Sagen Sie es mir!
„Brigitte“ hat online auch das bewegte Bild entdeckt und nun erkannt, wie wichtig die Verzahnung von Wort und Video im Netz ist.
Ja, ja. Auch der SWR springt so langsam auf unseren Zug auf. Sie haben jetzt einen Internet-Sender, der genau die Zielgruppe abdeckt, die wir bedienen. Ein Artikel in Ihrer Zeitung hat sie 2012 aufgeschreckt. Sie hatten damals geschrieben, dass sich ARD und ZDF beim Kampf um junge Zuschauer fühlen, wie der Ritter von der traurigen Gestalt.
Kämpft der SWR nun erfolgreicher gegen die Windmühlen?
Na, ja. Richtig passieren tut in deren Lokalformat für junge Leute nichts. Es gibt allerdings mittlerweile eine Art Kopie von Stuggi.TV, die von viel weniger Leuten produziert wird. Hinter uns steht ein Team von 16 jungen Leuten, das sich täglich Gedanken macht, welche Themen ihre Altersgruppe interessiert.
Zum Beispiel?
Wenn das Rocker 33 schließt. Oder so polarisierende Dinge wie: Ist das Weindorf für Jugendliche cool oder langweilig?
Und wie viele leben von dieser Arbeit?
Keiner. Selbst ich als Chefredakteur studiere auf der Hochschule für Medien.
Soll der Sender jemals Profit erwirtschaften?
Bisher sind wir komplett werbefrei. Auf lange Sicht so weiter zu machen, wird schwer. Irgendwann müssen wir uns dem Markt öffnen oder mit einem Verlag kooperieren.
Gibt’s schon Angebote?
Ja, es gibt welche. Die Gespräche laufen.
Und wie deckt der Sender seine Kosten?
Die Stadt Stuttgart und die Jugendhausgesellschaft unterstützten uns. Und wir produzieren auch Imagefilme für Unternehmen, das läuft natürlich nicht über den Sender.
Haben Sie eine Vision?
Laut Helmut Schmidt müsste ich dann zum Arzt. Im Ernst: Wir wollen uns weiter professionalisieren und zu einer richtigen Marke in der Region Stuttgart werden.
Mehr Professionalität könnte aber den bisherigen Charme rauben – das Unverkrampfte und Unverbrauchte, das Stuggi.TV ausmacht.
Richtig. Deshalb sage ich auch immer, dass wir die Anlaufstelle für die jungen Medienmacher bleiben müssen. Da wollen wir zur ersten Adresse werden. Denn der SWR kann nichts Vergleichbares bieten. Außerdem kommt man da nur schwer rein.
Und wie sieht es bei Stuggi.TV aus?
Die Leute, die Radio oder Fernsehen machen wollen, rennen uns die Tür ein. Alleine in den vergangenen zwei Monaten bekamen wir 78 Bewerbungen. Es ist der Wahnsinn.
Was würden Sie dem SWR empfehlen, um mehr junge Zuschauer zu gewinnen?
Die haben wunderschöne Arbeitskreise, in denen dann 52-jährige Programmdirektoren sitzen, die zu wissen glauben, was 18-Jährige interessiert. Tatsächlich wissen sie es nicht. Diejenigen, die es wirklich wissen, sind die jungen Leute. Und die arbeiten bei uns. Das ist das Problem des Südwestrundfunks.
Das hört sich fast nach einer Bewerbung an.
Ich bin hier ganz zufrieden.
Wohin geht der Weg? Wie verändert sich der Medienkonsum in Zukunft?
Jeder, der morgens mit der Bahn fährt, bekommt die Antwort. Die jungen Leute sitzen vor ihrem i-Phone oder i-Pad und konsumieren Nachrichten. Darin liegt die Zukunft der Medien. Und das Fernsehen muss in Zukunft mit dem Internet kompatibel sein.
Und die Zeitung?
Muss sich dem bewegten Bild öffnen.
Wie das?
Nehmen Sie das Beispiel Thomas Hitzlsperger. Sein Outing als Homosexueller hat Ihr Autor auf der Seite 3 Ihrer Zeitung wunderbar und hintergründig aufgearbeitet. Aber wenn ich dazu auf ihrer Internetseite oder einer künftigen Digitalausgabe auch ein Video von Hitzlsperger sehen könnte, wäre das ein Mehrwert zum Text. Ich sehe seine Regungen, höre seine Stimme. Das macht die Sache viel attraktiver.
Mit Verlaub, unser Kolumnist KNITZ bietet auf Facebook immer wieder nette Videos.
Stimmt, er macht das gut. Aber das ersetzt nicht das bewegte Bild, das OB Kuhn bei der Schließung des Fernsehturms abgibt. Es ist eine reale Erweiterung des Kopfkinos, das der Zeitungsautor in Worte ankurbelt.
Bleiben wir bei Facebook. Wichtig für Sie?
Eminent wichtig. Weil die meisten jungen Leute ihre Informationen über Facebook abrufen und von dort aus auf externe Seiten gelangen.
Auf welche Beiträge sind Sie besonders stolz?
Auf das erste Interview, das Milky Chance gegeben hatte. Da hatten wir 100 000 Zugriffe. Aber wir waren auch bei der Berichterstattung der Facebook-Party 2012 in Backnang die Ersten vor RTL. Und wir hatten das erste Interview mit Fritz Kuhn nach dessen Wahl zum OB.
Mit was überrascht Stuggi.TV demnächst?
Mit einer 72-Stunden-Live-Reportage eines jungen Mannes, der drei Tage am Stück wach bleibt und dabei alle Sehenswürdigkeiten von Stuttgart abklappert.
Apropos junger Mann. Wie alt sind Sie?
23.
Okay, und wie lange sind Sie noch jung genug, um den Nerv Ihrer Zielgruppe zu erspüren?
Mit 26 oder 27 könnte Schluss sein.
Und dann? Wechseln Sie zum SWR und werden Programmdirektor?
(Grinst) Oh, da wäre ich viel zu jung für die. Aber wenn es so kommt, bekommen Sie dann das erste Interview von mir.