Erfolgreich mit Textilen: Der Gründer der Sahinler-Gruppe, Kemal Sahin. Foto: StN

Der Textilfabrikant Kemal Sahin ist als türkischer Unternehmer in Deutschland erfolgreich und macht sich für junge Migranten stark.

Stuttgart - Kemal Sahin ist türkischer Vorzeige-Unternehmer: Seine Firma hat er in Deutschland aus der Not heraus gegründet – mit Erfolg. Im Interview spricht er darüber, wie er es geschafft hat und was er jungen Leuten rät.

Herr Sahin, Sie verkörpern den Mythos vom Tellerwäscher zum Millionär – vom anatolischen Bauernsohn zum erfolgreichen Textilunternehmer. Wie kamen Sie als Ingenieur auf diese Geschäftsidee?
Nach meinem Studium wollte ich als Ingenieur in Deutschland arbeiten, erhielt aber keine Arbeitserlaubnis. In die Türkei wollte ich nicht gleich zurück, damals gab es dort eine Militärregierung. Also hab’ ich mich mit 5000 D-Mark Startkapital, das ich als Werkstudent verdient hatte, selbstständig gemacht und einen Laden für Geschenkartikel eröffnet – vom Geschirr bis zu T-Shirts.

Was waren die entscheidenden Faktoren für Ihren Erfolg?
Ich bin in schwierigen Verhältnissen aufgewachsen, komme aus einem kleinen, armen Dorf. Ich war fleißig, sehr engagiert und habe mich nach oben durchgeboxt. Durch den Laden habe ich viele Menschen kennengelernt und auch die deutsche Mentalität. Ich habe gelernt, den Kunden zu verstehen. Und um Kunden zufriedenzustellen, musste ich zuverlässig sein. Gleichzeitig habe ich meine türkischen Tugenden eingesetzt, um zu verkaufen.

Was ist typisch deutsch, was typisch türkisch?
Pünktlichkeit, Genauigkeit, Zuverlässigkeit, Disziplin – das sind typisch deutsche Eigenschaften. Die Türken nehmen vieles nicht so genau, sind dafür spontaner, improvisationsfreudiger, kontaktfreudiger, flexibel. Ich kannte beide Kulturen – das ist eine Bereicherung, privat und geschäftlich, so dass ich sowohl in Deutschland als auch in der Türkei Erfolg hatte.

Wie sind Ihre Erfahrungen als türkischer Unternehmer in Deutschland?
Ich musste deutsche Mitarbeiter überzeugen, für mich zu arbeiten. Sie wollten wissen, auf wen sie sich einlassen. Ich habe auch für eine gute Ausbildung gesorgt – sowohl für deutsche als auch türkischstämmige Mitarbeiter. Mit diesem Team konnte ich erfolgreich sein. Auch die Kunden waren anfangs skeptisch, ob wir gute Qualität anbieten und auch pünktlich liefern können. Mit Waren aus der Türkei hatten manche schlechte Erfahrungen. Irgendwann habe ich denen gesagt, ich verkaufe nicht die Türkei, sondern Produkte, die ich produziert habe. Ich habe manchen sogar gesagt: Nehmt die Ware, vergewissert euch, ob alles stimmt und zahlt später oder gebt sie mir zurück. Ich musste beweisen, dass ich zuverlässig war.

Sie beliefern große Handelsketten. Wie schaffen Sie es, gegenüber asiatischen Billigtextilien wettbewerbsfähig zu sein?
Einen Teil lassen wir auch in Asien, unter anderem in China, Indien und Bangladesch, produzieren – das Billigsegment mit langfristigen Lieferterminen. Für den US-Markt fertigen wir in unseren Fabriken in Jordanien und Ägypten. Den europäischen Markt beliefern wir aus der Türkei. Wir liefern beispielsweise Kollektionen für Zara, Prime-Markt, C&A, New Yorker, s.Oliver oder Marco Polo. Auch wenn die Türkei etwas teurer ist, haben wir einen Wettbewerbsvorteil gegenüber asiatischen Konkurrenten: Wir liefern kurzfristig, modische Artikel und gute Qualität. Wir sind auch Partner von Filmproduzenten wie Walt Disney oder Warner Bros. und beliefern mit Lizenzprodukten die wichtigsten europäischen Großabnehmer.

Wenn Sie mal einen Vergleich ziehen: War es früher einfacher, als Türke in Deutschland Fuß zu fassen und Karriere zu machen?
Früher war der Anfang in Deutschland schwieriger für einen Türken oder Ausländer überhaupt, weil die Deutschen die Ausländer ausschließlich nur als Gastarbeiter gesehen haben. Viele Gastarbeiter kamen von bildungsfernen Familien aus Anatolien oder Sizilien, beherrschten die Sprache nicht gut. Die Akzeptanz war beiderseits schwierig. Mittlerweile gibt es in Deutschland 80.000 türkischstämmige Unternehmen in unterschiedlichsten Branchen mit rund 400.000 Mitarbeitern. Auch Nicht-Deutsche können gute Unternehmer sein – sie sind vor allem in den Dienstleistungsbranchen sehr erfolgreich. Nur sind heute die Nischen kleiner. In der heutigen globalisierten Wirtschaftswelt werden gut ausgebildete und qualifizierte Arbeitnehmer mit Migrationshintergrund in großen und mittelständischen Unternehmen sehr geschätzt.

Aber viele junge Türken leben in Deutschland ohne Perspektive. Was ist das Haupthemmnis der Integration?
Es ist nicht mehr die Sprache, die meisten sind ja in Deutschland aufgewachsen. Es sind Bildung und Ausbildung. Das hängt unter anderem mit dem Elternhaus zusammen. Viele Familien stammen aus bildungsfernen und armen Gebieten der Türkei, konnten ihren Kindern kein Vorbild sein und sie nicht motivieren. Viele Eltern sind überfordert, wenn ihre Kinder in der Schule ein Problem haben. Selbst bei meinen eigenen Kindern war es nicht anders. Wir müssen uns um sie kümmern, egal wo sie in die Schule gehen. Es gibt aber auch Verständnisprobleme und Vorurteile bei manchen Lehrern. Die demografische Entwicklung stellt aber Deutschland vor große wirtschaftliche und gesellschaftliche Probleme. Heute haben 35 Prozent der in Deutschland neugeborenen Kinder einen Migrationshintergrund. Unsere Gesellschaft kann es sich nicht leisten, diese Kinder durch die Nichtmobilisierung vorhandener Potenziale von der gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Teilhabe auszuschließen. Deshalb haben wir 2012 – mit Persönlichkeiten aus Wirtschaft, Politik und Gesellschaft – die Stiftung Bildung!Egitim ins Leben gerufen, um die Ausbildung von Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund zu fördern.

Wie kann man Vorurteile abbauen?
Man muss sie mit Aufklärung bekämpfen – in Schulen, Behörden, Institutionen, in Verbänden. Man muss Migranten ein Willkommensgefühl geben, so nach dem Motto: Özil, du bist ein Teil von uns. Man muss auch in Unternehmen mehr Mitarbeiter mit Migrationshintergrund in höheren Ebenen einfordern, um zu zeigen, die deutsche Gesellschaft ist multikulturell. Im politischen Bereich funktioniert das schon.

Was raten Sie jungen Migranten in Deutschland?
Erst einmal rate ich den Eltern, ihren Kindern einen möglichst hohen Bildungsabschluss zu ermöglichen, denn nur dann – egal wo in der Welt – haben sie eine Perspektive. Den Kindern rate ich neben einer möglichst guten Ausbildung auch in Vereine oder Verbände zu gehen, denn Networking ist wichtig. Auch Türken können gute Manager sein. Beispielsweise ist der Chef von Coca-Cola, Muhtar Kent, ein Türke. Ich kann mir gut vorstellen, dass ein Türke beziehungsweise ein Migrantenkind auch einmal Chef von Siemens oder Mercedes sein wird.