Für Dirk Wittmacher, den Chef der mit den Arbeiten betrauten Firma, ist die Sanierung des Rutschhangs „eine echte Herausforderung“.Foto: Horst Rudel Foto:  

Das Nürtinger Bauamt und der Bauherr waren im Vorfeld des Unglücks über Schäden an dem im Ortsteil Zizishausen abgesackten Hang offenbar informiert. Die Verwaltung beruft sich auf die Einschätzung eines Geologen, der „keine Gefahr“ erkannt habe.

Nürtingen - Der Hangrutsch in Nürtingen-Zizishausen (Kreis Esslingen) hat sich offenbar schon längere Zeit angekündigt. Darüber, dass das Erdreich oberhalb der Panoramastraße im Bereich eines ehemaligen Steinbruchs in Bewegung ist, sollen laut Anwohnern sowohl der Bauherr als auch die Nürtinger Stadtverwaltung im Vorfeld des Unglücks informiert gewesen sein. Entsprechende Maßnahmen zur Sicherung des steilen, dem Landesamt für Geologie, Rohstoffe und Bergbau als „gefährdeter Rutschhang“ bekannten Geländes seien jedoch ausgeblieben oder zu spät veranlasst worden.

Die Verwaltung weist eine Verantwortung von sich. Sie habe sich auf das Urteil eines vom Bauherrn beauftragten Geologen verlassen, der „keine akute Gefahr“ erkannt habe, heißt es in einer Stellungnahme. Zudem sei für die „technisch einwandfreie und standsichere Herstellung“ der in der Nacht zum Mittwoch abgesackten Terrasse die Baufirma beziehungsweise der Bauleiter verantwortlich gewesen.

Der Sachbereich Gewerbe und Umwelt der Reutlinger Polizei ermittelt indes in alle Richtungen wegen des Verdachts der Baugefährdung. Denn der Hang sei für den Bau der Terrasse „vermutlich nicht ordnungsgemäß gesichert“ gewesen, sagt der Polizeisprecher Michael Schaal.

Haarrisse im Fliesenboden

In der Nachbarschaft zu dem betroffenen Grundstück waren laut Anwohnern, die unserer Zeitung bekannt sind, aber nicht namentlich genannt werden wollen, schon vor rund vier Wochen erste Schäden wie Haarrisse in einem Fliesenboden, ein Sprung in einer Fensterscheibe und ein etwa zehn Zentimeter breiter Spalt im Garten bemerkt worden. Auch von leichten Stromschwankungen berichten sie. Über die möglicherweise durch den Neubau verursachten Schäden sei zunächst der Bauherr des zurzeit im Rohbau befindlichen Gebäudes informiert worden. Doch der von ihm beauftragte Geologe habe die Situation als „unbedenklich“ eingestuft und empfohlen, den Riss im Erdreich mit Compactonit-Quelltonpellets zu befüllen. Was allerdings keinen Erfolg gezeitigt habe, die Risse seien „immer größer“ geworden.

Am Donnerstag, 2. Juni, seien Schäden auch dem Nürtinger Bauamtsleiter Walter Haußmann geschildert worden. „Wir empfanden die Situation inzwischen als bedrohlich“, erklärt eine Anwohnerin. Ein von der Verwaltung sofort nach Zizishausen beorderter Baukontrolleur, habe die Risse als „nicht so gut, aber unbedenklich“ bezeichnet. Doch unternommen worden sei zunächst nichts, außer dem Vorschlag, noch einmal Compactonit in die Risse zu kippen. Wenige Tage vor dem Hangrutsch sei sogar eine Baumwurzel mit einem lauten Knall gerissen. Am Montag habe sich an der Terrasse das Geflecht der Gabionenwand verformt, und eine Natursteinwand auf einem Nachbargrundstück habe sich verschoben.

Entlastungsmaßnahme greift offensichtlich zu spät

Schließlich sei die Stadtverwaltung gemeinsam mit dem Bauherrn zu dem Schluss gekommen, der Hang müsse entlastet und deshalb die Erde vor der Terrasse abgetragen werden. Mit den Baggerarbeiten sei am Dienstagmittag begonnen worden, was offensichtlich zu spät gewesen sei, erklärt eine Anwohnerin. Denn bereits am Abend lösten sich erste kleinere Steine, und im Laufe der Nacht brachen immer größere Brocken heraus, bis der gesamte Hang ins Rutschen geriet. Gegen 1.30 Uhr habe die Polizei geklingelt und darum gebeten, die Häuser so schnell wie möglich zu verlassen, erzählen die Anwohner.

Inzwischen sind bis auf drei Häuser unterhalb des Hangs alle wieder freigegeben – auch die Nachbargebäude, die laut den Experten ebenso standfest sind wie der dreigeschossige Rohbau oberhalb des Rutschhangs.

Die Stadtverwaltung bestätigt, am Donnerstag, 2. Juni, von zwei Anwohnerinnen über Risse im Gelände informiert worden zu sein. Kenntnis über Schäden an Gebäuden habe sie nicht. Der Amtsleiter Haußmann habe den Baukontrolleur sogleich in die Panoramastraße geschickt, wo dieser zufällig den Bauherrn angetroffen habe. Der habe erklärt, der von ihm beauftrage Geologe sehe „keine akute Gefahr“ für den Hang. Auch der zuständige Bauleiter habe diese Aussage bestätigt und betont, es sei „keine Gefahr in Verzug“, erklärt Haußmann in der Stellungnahme. Noch am vergangenen Dienstagabend habe ihm der Bauherr per E-Mail mitgeteilt, er sei mit einem Geologen und einem Grundbaustatiker vor Ort gewesen, der Verwaltung gingen die Informationen über Maßnahmen zur Sicherung des Hangs „in den folgenden Tagen“ zu. Wozu es freilich nicht mehr kam. Der Bauherr habe sich am Mittwochabend bei den Anwohnern entschuldigt, schreibt die Verwaltung.

Aufräumarbeiten sind eine „echte Herausforderung“

Inzwischen hat die mit den Sicherungsarbeiten betraute Wolfschlugener Garten- und Straßenbaufirma Schneider-Gruppe den Hang weitgehend abgetragen und das Erdreich auf die Panoramastraße geschoben, von wo die rund 1000 Tonnen Material mit Lastwagen abtransportiert wurden. Der Chef Dirk Wittmacher berichtet, er habe bei den Arbeiten die ganze Nacht über „nicht nur einmal“ kritische Situationen in dem steilen und matschigen Gelände erlebt. Er sei dabei froh gewesen, dass er sich mit seinem Baggerlöffel im Erdreich habe „festhalten oder abstützen“ können. Die Arbeit bezeichnet Wittmacher als „echte Herausforderung“, zumal die Erde auf dem schwierigen Terrain extrem aufgeweicht und schmierig sei. Um diesen Zustand nicht noch zu verschärfen, wurden zudem Planen ausgelegt, um ein weiteres Vollsaugen des Hangs zu vermeiden.