Erdogan verhängt einen dreimonatigen Ausnahmezustand. Foto: AP

Das Innenministerium erkennt noch keine Trendwende bei den Asylzahlen aus der Türkei. Union und Linke rechnen aber fest damit, dass mehr Schutzsuchende vom Bosporus nach Deutschland kommen.

Berlin - In der Unionsfraktion im Bundestag wächst die Sorge, dass der repressive Kurs, den der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan nach dem gescheiterten Militärputsch eingeschlagen hat, den Andrang von Flüchtlingen und Asylbewerbern aus der Türkei erheblich vergrößern wird. „Wenn Erdogan so weitermacht, müssen wir uns auf einen erheblichen Anstieg der Asylbewerberzahlen aus der Türkei einstellen“, erklärte der Lörracher Innenpolitiker und CDU-Abgeordnete Armin Schuster gegenüber der Stuttgarter Zeitung. „Bisher sind die Zahlen verschwindend gering, aber es wird den Druck auf die Asylzahlen dramatisch steigern, wenn Kurden und Aleviten für sich keine Zukunft mehr in der Türkei sehen.“ Auch der innenpolitische Sprecher der Unionsfraktion, Stephan Mayer (CSU) schließt nicht aus, dass es zu einem Anstieg der Bewerberzahlen kommt. „Bund und Länder müssen jetzt die erforderlichen Voraussetzungen dafür treffen“, ergänzte er.

Bisher begehren nur wenige Menschen aus der Türkei hierzulande Schutz und Asyl

Damit gehen die beiden Unionspolitiker über die Aussagen des Innenministeriums hinaus, das zuletzt lediglich herausstellte, dass der Putschversuch und die Reaktion darauf sich in den bisherigen Zahlen noch nicht niedergeschlagen hat. Der Sprecher von Innenminister Thomas de Maizière (CDU) erklärte unter Berufung auf den aktuellen Stand, es sei „nicht so, dass wir eine signifikante Veränderung erkennen, und zwar weder in Bezug auf das Einreisegeschehen noch in Bezug auf die Stellung von Asylanträgen von Menschen, die aus der Türkei stammen“. Eine ähnlich vorsichtige Einschätzung vertritt der SPD-Innenpolitiker Burkhard Lischka. „Für eine konkrete Lageanalyse fehlen uns hinreichend Informationen aus der Türkei“, sagte Lischka. Zur Zeit gehe er nicht davon aus, „dass sich die Asylbewerberzahlen aus der Türkei signifikant erhöhen werden“.

Die Zahl der in Deutschland Schutzsuchenden aus der Türkei fällt in den einschlägigen Statistiken des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge bisher kaum ins Gewicht. 2015 kamen insgesamt rund 1,1 Millionen Menschen nach Deutschland. 1767 Menschen aus dem Herkunftsland Türkei stellten laut Auskunft des BAMF im vergangenen Jahr einen Asylantrag; von den bereits entschiedenen 887 Anträge von Menschen mit türkischem Pass seien lediglich 14,7 Prozent (das entspricht 130 Fällen) positiv entschieden worden - also mit einer Anerkennung als Asylberechtigte, Flüchtling oder durch die Gewährung von subsidiärem Schutz. Die Statistiken über die Entwicklung des ersten Halbjahres 2016 belegen allerdings, dass der harte Kurs Erdogans gegenüber Oppositionellen und Kritikern seiner Politik schon vor dem Putschversuch Wirkung zeigte: In den ersten sechs Monaten wurden beim BAMF 1719 Asylanträge von Menschen aus der Türkei gezählt – fast so viele wie im ganzen Jahr zuvor.

Linke fordert Bundesregierung auf, türkischen Oppositionellen Asyl aktiv anzubieten

Nicht nur die Union, auch die Linksfraktion geht von einem Anstieg der Asylbegehren aus der Türkei aus. „Das wird eine unvermeidliche Folge der Zustände in der Türkei sein“, erklärte Ulla Jelpke, die innenpolitische Sprecherin der Linken gegenüber der StZ. Sie hegt auch keine Zweifel daran, dass den Betroffenen ein Aufenthaltsrecht in Deutschland eingeräumt werden muss. „Politische Flüchtlinge aus der Türkei haben ohne jeden Zweifel Anspruch auf Asyl in Deutschland.“ Sie fordert die Bundesregierung dazu auf, den Leidtragenden von Erdogans Säuberungen Asyl anzubieten. „Das mindeste was die Bundesregierung jetzt zur Schadensbegrenzung beitragen kann, ist es, den Opfern des AKP-Regimes Asyl anzubieten.“

Im Gegensatz dazu nimmt der CDU-Mann Armin Schuster die Europäer in die Pflicht. „Die in der EU verbreitete Komforthaltung, wir nehmen keine Flüchtlinge und Asylbewerber auf, ist schon bisher wenig tragbar“, moniert der Lörracher Abgeordnete. „Ich hoffe, dass die Not türkischer Bürger in ihrem Heimaltland, Franzosen, Spanier, Ungarn oder Polen zum Umdenken bewegt. Wenn der Asyldruck wegen Erdogans repressiver Politik steigt, dann ist das kein deutsches, sondern ein europäisches Problem.“ Schuster ist überzeugt: „Wenn Europa weiter national handelt, macht das Erdogan stark!“

Koalitionsfraktionen geben Regierung Rückendeckung für ihren Kurs

Sowohl die beiden Unionspolitiker Schuster und Mayer als auch ihr SPD-Kollege Lischka geben der Bundesregierung Rückendeckung für ihren bisherigen Kurs gegenüber dem türkischen Staatspräsidenten. „Die Verhängung des Ausnahezustandes folgt der Logik des türkischen Präsidenten, die Türkei in Richtung eines autokratischen Staates, wenn nicht gar in Richtung Diktatur zu treiben“, kritisiert Lischka. Außenminister Frank-Walter Steinmeier habe dazu das Nötige gesagt: „Bei allem verständlichen Willen, die Gründe des Putsches aufzuklären, dürfen die Prinzipien der Rechtsstaatlichkeit nicht verlassen werden“. Besorgt um Rechtsstaat und Verhältnismäßigkeit hatten sich auch Kanzlerin Merkel und Innenminister Thomas de Maizière geäußert.

„Wer reihenweise politische Gegner verhaften lässt und mit der Wiedereinführung der Todesstrafe droht, verlässt ganz klar unsere europäische Wertegemeinschaft“, fügte der SPD-Abgeordnete hinzu. Mayer bescheinigte der Regierung Merkel eine „besonnene“ Reaktion. „Verbale Radikalität führt zum jetzigen Zeitpunkt nicht weiter“, sagte er. Dass „bereits in naher Zukunft deutlichere Worte an die Adresse der Türkei zu richten sind“, will er aber auch nicht ausschließen.

Auch Armin Schuster hält es für richtig, dass „die Bundesregierung in der gegenwärtigen Lage rhetorisch nicht aufrüstet, sondern auf den Verhandlungsweg setzt“. Mit dem EU-Beitritt, der Nato-Mitgliedschaft und dem Wunsch nach Visaerleichterungen gebe es drei „Hebel, die wir nutzen sollten, um Einfluss auszuüben.“ Der CSU-Abgeordnete Mayer setzt vor allem auf die Visa-Liberalisierung, die in seinen Augen in weite Ferne gerückt ist. Die geplante Visa-Freiheit „darf aktuell nicht eingeführt werden, denn sie könnte – unabhängig von den Asylsuchenden – eine sehr große Personenzahl aus der Türkei nach Deutschland führen.