Noch immer sind nicht alle Bohrlöcher saniert. Foto: factum/Granville

Sowohl der Rechtsanwalt der Interessengemeinschaft Erdhebungen als auch der Landrat sind mit dem neuen Vorschlag des Versicherungskonzerns nicht einverstanden.

Böblingen - Die Gutachten der Versicherung sind noch nicht geprüft. Ungeachtet dessen steht fest: „Wir werden weiter streiten.“ Das sagt Eberhard Haaf, der Rechtsanwalt der Interessengemeinschaft Erdhebungen (IGE). Wie berichtet, will die Allianz ihre Haftung für die Schäden, die bei Erdwärmebohrungen durch die Firma Gungl an rund 200 Häusern entstanden sind, auf zwölf Millionen Euro begrenzen. Dies „ist durchaus ein Erfolg“, sagt Haaf, aber aus seiner Sicht nicht der letzte. Bis vor zwei Wochen wollte die Allianz bei zwei Millionen Euro den Schlussstrich ziehen.

Die Ursache des Sinneswandels waren zwei Gutachten, die der Versicherer selbst bestellt hatte, ein geologisches und ein juristisches. Mit Letzterem „hat der größte deutsche Versicherungskonzern ein Gutachten über seine eigenen Vertragsbedingungen eingeholt“, meint Haaf. Ob die beiden Expertisen anfechtbar sind, will er in spätestens drei Wochen wissen. So lange dauere die Prüfung noch. Dass sich weder der Anwalt noch die Geschädigten mit ihrem Ergebnis zufrieden geben werden, ist aber gewiss. Abgesehen von der Gesamtsumme ist strittig, dass die Allianz nur für Schäden zahlen will, die zwischen Oktober 2011 und dem Jahresende 2014 entdeckt wurden, obwohl die Bohrungen bereits in den Jahren 2006 bis 2008 stattgefunden hatten. Die ersten Schäden wurden ein Jahr später gemeldet.

Täglich können neue Schäden entstehen

Dies hält auch der Böblinger Landrat Roland Bernhard für anfechtbar. „Diese Beschränkung kann man nicht akzeptieren“, meint er – nicht nur wegen der frühen Fälle, auch wegen künftiger. Schließlich hebe sich die Erde noch immer. Weil es bisher nicht gelungen ist, alle fehlerhaft gebohrten Löcher abzudichten, könnten täglich neue Schäden entstehen. Ungeachtet dessen wertet auch Bernhard den neuen Vorschlag der Allianz als Teilerfolg.

Der Kreistag hat den aktuellen Sachstand am vergangenen Montag ohne Diskussion zur Kenntnis genommen. Dass die Politiker an der Seite der Geschädigten stehen, musste nicht neuerlich betont werden. Schon im Beratungspapier zum Thema ist vermerkt, dass „zwei Punkte in der Ankündigung der Allianz AG kritisch zu sehen“ seien: die zeitliche Begrenzung und die Annahme, dass mehr als 200 beschädigte Häuser zu zwei Schadensfällen zusammengefasst werden könnten.

Die Allianz will 17 Bohrungen zu zwei Schäden zusammenfassen

Letztere Ankündigung ist „natürlich des Pudels Kern“, sagt Haaf. In den Policen ist die Haftungssumme auf sechs Millionen Euro pro Schadensfall festgeschrieben. Mit jedem zusätzlichen Fall erhöht sich der Gesamtbetrag entsprechend. 17 Bohrungen, allesamt fehlerhaft, hat die längst insolvente Firma Gungl durchgeführt. Der Anwalt will in den weiteren Verhandlungen erreichen, dass die Allianz mindestens drei Schadensfälle anerkennt. Nach seiner Einschätzung könnten bereits 20 Millionen Euro reichen, um alle Reparaturen zu bezahlen. Andere Schätzungen liegen deutlich höher. Exakte Zahlen müssten Gutachter ermitteln, die aber niemand beauftragt, so lange unklar ist, wer ihre Arbeit bezahlt.

Einen Tag bevor die Allianz ihre neue Sicht auf die Erdhebungen bekannt gegeben hat, hatte Haaf sich mit den Anwälten des Konzerns zu neuerlichen Verhandlungen getroffen. Derlei Gespräche „verlaufen in einer guten Atmosphäre, wenn auch hart in der Sache“, sagt Haaf. Eine andere Lösung als eine gütliche Einigung zwischen den Geschädigten und dem Versicherer sei ohnehin nicht denkbar, auch wenn „das eine harte Nuss wird“.

Selbst wenn die IGE und die Allianz sich einigen, ist ein Rechtsstreit nicht ausgeschlossen. Nach dem aktuellem Stand wären mit zwölf Millionen Euro bestenfalls 60 Prozent der Schäden gedeckt. Auch wenn die Gesamtsumme weiter steigt, „könnte selbstverständlich jeder Betroffene 100 Prozent einklagen“, sagt Haaf, gleich ob IGE-Mitglied oder nicht. Im Fall eines Erfolges würde die Quote für alle anderen Betroffenen entsprechend sinken.

Die Forderungen, die dem Insolvenzverwalter der Firma Gungl vorliegen, geben einen Hinweis auf mögliche Uneinigkeit: Ein Hauseigentümer hatte seinen Anspruch auf 500 000 Euro angemeldet, vorsorglich. Sein Haus war unbeschädigt.