Der größte Teil der undichten Bohrlöcher ist inzwischen saniert. Foto: factum/Granville

Die Versicherung will wegen der Erdhebungen zwölf Millionen Euro zahlen. Die Opfer fordern mehr.

Böblingen - Die Firma Gungl hat bei ihren Erdwärmebohrungen schlampig gearbeitet. Dies ist das wesentliche Ergebnis eines Gutachtens von Ingo Sass. Der Professor ist Fachmann für Geothermie an der Technischen Universität Darmstadt. Die Bohrlöcher seien fehlerhaft abgedichtet und Ursache der Erdhebungen in Böblingen, lautet sein Urteil. Damit erhöht sich aus Sicht der Allianz ihre Haftungssumme für die Hausschäden von zwei auf zwölf Millionen Euro. „Über diese Schuldanerkenntnis sind wir erstmal sehr zufrieden“, sagt Thomas Treutler von der Interessengemeinschaft Erdhebungen (IGE). Damit endet aber die Einigkeit zwischen den Geschädigten und der Versicherung.

Im vergangenen Herbst hatten Schlichter entschieden, dass die Allianz unter drei Versicherungen diejenige sei, die für die Schäden zu haften habe. Damals hielt der Versicherer noch für strittig, ob Gungl fehlerhaft gearbeitet hatte. Im anderen Fall wäre die Summe auf eine Pflichtversicherung von zwei Millionen Euro beschränkt gewesen. Nun hat ihr eigener Gutachter der Versicherung das Gegenteil bescheinigt.

Auch die Allianz hält für unstrittig, dass zwölf Millionen nicht reichen

Allerdings hält auch die Allianz für unstrittig, dass zwölf Millionen Euro nicht reichen werden, um die Schäden zu beheben. „Davon gehen wir aus“, sagt Stefan Löchner, den der Versicherer als Experten für Haftpflichtverträge beschäftigt. Die Schäden sind insgesamt auf 50 Millionen Euro geschätzt. Aus Sicht der Allianz müssten nun alle Betroffenen ihre Ansprüche anmelden. Nach einer Prüfung würde das Geld prozentual verteilt. Wie lange es dauern würde, bis Geld fließt, ist laut Löchner „nicht seriös abschätzbar“.

Ohnehin ist fraglich, ob das Verfahren in Gang kommt. Denn „dazu müssen ausnahmslos alle Betroffenen zustimmen“, sagt Löchner. Die Verantwortlichen der IGE haben am Freitag den neuen Sachstand diskutiert. Mit dem Ergebnis, „dass wir mit dem jetzigen Vorschlag noch nicht einverstanden sind“, sagt Treutler. Im Kern fordert die Gemeinschaft selbstredend mehr Geld. Im Detail sind zwei Punkte strittig. Erstens: die Versicherung will nur für Schäden aufkommen, die nach dem 27. Oktober 2011 entdeckt wurden. Gungl hatte das erste Bohrloch 2008 gesetzt, die ersten Risse in Häusern wurden 2009 gemeldet. Zweitens: Die Allianz fasst alle beschädigten Häuser im nördlichen Teil und im südlichen Teil des Hebungsgebietes zu je einem Schaden zusammen.

Jene zwölf Millionen Euro errechnet der Versicherer aus der Deckungssumme von sechs Millionen pro Fall. „Wir gehen von mehr Schadensfällen aus“, sagt Treutler, schließlich seien „in ganz unterschiedlichen Jahren unterschiedliche Bohrungen“ gesetzt worden. Gungl hatte 17 Erdwärmesonden niedergebracht. Rund 400 Häuser sind beschädigt. Würde die Allianz formal weitere Schadensfälle anerkennen, müsste sie die Summe um jeweils weitere sechs Millionen Euro erhöhen.

Ein Gutachter stützt die Meinung des Versicherers

Die Neigung dazu ist gering. „Unsere Einschätzung ist durch Expertenmeinung gestützt“, sagt Löchner. Neben dem geologischen Gutachten hat die Versicherung sich ein juristisches eingeholt. Es stammt von Oliver Brand, dem Inhaber des Lehrstuhls für Versicherungsrecht an der Universität Mannheim. Auf dessen Expertise fußt die Argumentation. Die Beschränkung auf die Zeit nach dem Oktober 2011 sei bereits Bestandteil des Schlichterspruchs gewesen. Aus Sicht der Allianz ist damit ihr aktueller Vorschlag der endgültige.

Bleiben die Meinungen unvereinbar, müssten laut Löchner Gerichte entscheiden. Vorerst prüft der Rechtsanwalt der IGE, Eberhard Haaf, noch die Gutachten. „Der Arbeit unseres Anwalts wollen wir nicht vorgreifen“, sagt Treutler. Haaf war am Freitag nicht zu erreichen.

Die rechtlichen Feinheiten des Verfahrens lassen offenbar auch Fachkundige einigermaßen ratlos zurück. Das Landratsamt werde die Betroffenen weiterhin bei der Durchsetzung ihrer Ansprüche unterstützen, erklärte der Landrat Roland Bernhard. Die von der Allianz erhobenen „Einschränkungen sind aus unserer Sicht nicht ohne weiteres nachvollziehbar und bedürfen eingehender Erörterung“, sagte Bernhard. Der Landrat hat einst Jura studiert.