In Stuttgart gibt es gerade einmal drei Tankstellen für Erdgasautos – Forscher mahnen ein Umdenken an. Foto: Peter Petsch

Mit interaktiver Karte - Seit Jahren ächzt Stuttgart unter dem gesundheitsgefährdenden Feinstaub. Behörden ringen sich Maßnahmen ab und feilen an Luftreinhalteplänen. Sie verschlafen aber wie die Betreiber von großen Kfz-Flotten die Chancen von Erdgaskraftstoff.

Seit Jahren ächzt Stuttgart unter dem gesundheitsgefährdenden Feinstaub. Behörden ringen sich Maßnahmen ab und feilen an Luftreinhalteplänen. Sie verschlafen aber wie die Betreiber von großen Kfz-Flotten die Chancen von Erdgaskraftstoff.

Stuttgart - Die Umweltfreundlichkeit von Erdgas beim Betrieb von Kraftfahrzeugen steht seit Jahren außer Frage – der Anteil von Erdgasfahrzeugen in der Feinstaub-Hauptstadt Stuttgart ist allerdings nach wie vor verschwindend gering. Ende Juni 2014 waren in Stuttgart gerade mal 313 Erdgasfahrzeuge zugelassen. Kein Wunder: Anders als noch vor rund zehn Jahren fördert der heimische Energieversorger EnBW den Kauf von Erdgasmobilen nicht mehr durch einen Barzuschuss. Inzwischen genießen in Stuttgart selbst Elektromobile mehr politische Aufmerksamkeit und Förderung, obwohl sie im Moment viel geringere Reichweiten haben und mit höheren Kosten verbunden sind.


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Haben die Behörden, die seit Jahrzehnten an bürokratieverdächtigen und teuren Luftreinhalteplänen arbeiten, etwas verpennt?

Michael Specht vom Zentrum für Sonnenenergie- und Wasserstoff-Forschung Baden-Württemberg (ZSW) in Stuttgart jedenfalls sieht Versäumnisse auf verschiedenen Ebenen – und verpasste Chancen. Der Politik hält der Leiter des einschlägigen ZSW-Fachgebiets vor, sie habe Zielvorgaben für den Einsatz von regenerativen Energieträgern im Verkehrsbereich vernachlässigt. Die Ansprüche seien hier viel geringer als auf dem Stromsektor. Der Einsatz von Biokraftstoffen bewege sich „im einstelligen Prozentbereich“. Ob in absehbarer Zeit große Mengen von Elektromobilen auf die Straßen kämen, müsse man bezweifeln. Für Fahrzeuge mit Wasserstoffbrennzelle gebe es nicht genügend Tankstellen. In den nächsten zehn bis 15 Jahren werde diese Infrastruktur auch schwerlich entstehen.

Für den Einsatz von Erdgas im Verkehr aber wären die Investitionen überschaubar und alle technischen Voraussetzungen gegeben: Fahrzeuge mit um die 500 Kilometer Reichweite nur mit Erdgas und mit zusätzlichem Benzintank sowie in Deutschland rund 900 Tankstellen. Inzwischen ist sogar die Herstellung von synthetischem Methan auf Touren gekommen. Das ZSW selbst ist ein Schrittmacher für die Umwandlung von regenerativ erzeugtem Strom in Erdgas. Das ermöglicht die Speicherung von momentan nicht benötigtem Ökostrom in Form von Gas – und macht die Nutzung von Gas sehr umwelt- und klimafreundlich.

Gerade für Stuttgart und andere Großstädte biete der Kraftstoff Methan aus dem Umwandlungsverfahren „eine ökologische Lösung zur Reduktion des Feinstaubs“, wirbt das ZSW. Und diese Lösung sei dringlich, obwohl die Dieselfahrzeuge in den vergangenen Jahren durch Rußpartikelfilter entschärft wurden. Jetzt seien es die immer mehr in Mode kommenden Benzinmotoren mit Direkteinspritzung, die reichlich Feinstaub in die Luft pusten. „Da kommt eine Lawine auf uns zu“, warnt Michael Specht.

Man könnte meinen, die Landesministerien, das Regierungspräsidium als Herr über die Luftreinhaltepläne und die Stadt Stuttgart wüssten die Chancen des Erdgases zu schätzen, das praktisch keinen Feinstaub freisetzt. Die Wirklichkeit sieht anders aus. Seit Jahren wird von Rußpartikelfiltern für Dieselfahrzeuge geredet. Obwohl Polizeibehörden in Niedersachsen schon 2007 Erdgasfahrzeuge testeten, die Polizei im kleinen Salzlandkreis in Sachsen-Anhalt längst mit 18 Erdgasmobilen die Umwelt schont, passierte in Stuttgart in dieser Richtung nichts.

Die Stuttgarter Polizei legte 2013 rund 4,7 Millionen Kilometer zurück, verbrannte mit ihren knapp 500 Dienstwagen rund 518 000 Liter Dieselkraftstoff und 18 000 Liter Superbenzin – und hat nie ein Erdgasauto getestet, nur einige wenige E-Mobile im Fuhrpark. Ihre Kilometer spulte sie zumeist innerhalb der Feinstaub-Hochburg ab. Derweil schickten die Landesbehörden Fahrzeuge los, die rund um den Brennpunkt Neckartor mit Klebemittel Feinstaub auf die Straße bannen sollten. So wollte man das Aufwirbeln der Staubpartikel verhindern.

Auch wirtschaftlich spricht viel für Erdgas. Mit Gas statt mit Benzin oder Diesel zu fahren ist nach wenigen Jahren billiger, wenn die höheren Anschaffungskosten für ein Erdgasauto kompensiert sind. Die Polizei im Salzlandkreis spart mit Erdgas 38 Prozent Kraftstoffkosten – für die finanziell unter Druck stehende Stuttgarter Polizei wäre das ein Traum. Allerdings: In vier Jahren wird nach jetzigem Stand die Steuerbegünstigung von Erdgas auslaufen. Von einer Verlängerung über 2018 hinaus sei zwar die Rede gewesen, sagt Specht, doch vollzogen habe die Politik es noch nicht. „Wer aber wird sich da ein Erdgasauto kaufen?“

So gesehen ist es schon fast erstaunlich, dass in Stuttgart vom 15. April 2012 bis Ende Juni 2014 auf niedrigem Niveau noch ein Zuwachs zu verzeichnen war: In 26 Monaten stieg die Zahl der zugelassenen Erdgasfahrzeuge immerhin um 226, heißt es bei der Kfz-Zulassungsstelle Stuttgart.

Die Sicherheitsbedenken, die viele noch vom Erdgasauto abhalten, könnte man nach Auffassung von Michael Specht entkräften. Er jedenfalls würde lieber in einem Auto sitzen, das Erdgas verliert, als in einem Auto, in dem Benzin oder flüssiges Autogas frei wird. Das Erdgas macht sich aus dem Staub. Benzin bleibt beim Fahrzeug – und damit brandgefährlich. Für Specht spricht also alles dafür, dass „Politik und Behörden die Erdgasautos endlich stärker in den Fokus rücken“.