Unglück in Feuerbach Foto: Michele Danze

Drei Güterwaggons haben am Freitag erhebliche Schäden am Bahnhof Feuerbach und ein Chaos im Zugverkehr rund um Stuttgart ausgelöst. Die Waggons hätten womöglich bis zum Hauptbahnhof rollen können..

Stuttgart - Der Schlag kommt ohne Vorwarnung, und er reißt die Bewohner des Bahnhofsgebäudes in Feuerbach kurz vor 4 Uhr sofort aus dem Schlaf. Im zweiten Stock ist Saygun Yurtdas erst einmal verwirrt, dann blickt er aus dem Badezimmerfenster nach unten: „Drunten hing das Vordach runter und auch die Oberleitung“, sagt er. Der Mann, der seit Jahren im Bahnhofsgebäude ein Reisebüro betreibt, schlägt sofort Alarm und verständigt den Sicherheitsservice der Bahn AG.

Drei Güterwaggons, beladen mit Schienensträngen, haben unten alles zertrümmert. Der Prellbock auf Gleis 1 a, der sonst den Züge der Strohgäubahn Endstation signalisiert, ist von den 200 Tonnen schweren Wagen einfach umgerissen worden. 40 Meter weit also hat das Ungetüm den Bahnsteig durchpflügt, Säulen und Stromleitungen mitgerissen. Hier stehen im Berufsverkehr normalerweise Hunderte Pendler, 20 000 täglich nutzen den Bahnhof. Doch zum Glück ist es noch zu früh dafür: Als Yurtdas auf die Uhr schaut, ist es 4.05 Uhr.

Was erst später herauskommt: Dass die Waggons hier einschlugen, war Absicht. Besser gesagt: die letzte Rettung, die ein Fahrdienstleiter am Bahnhof Zuffenhausen noch sah, um eine größere Katastrophe zu verhindern. Laut Bahn ist er es gewesen, der die führerlosen Waggons zuerst gesehen hat. Da bewegte sich was auf dem Gleis, aber auf der Anzeige fehlte die Zugnummer. War ja auch kein Zug, sondern nur drei aneinandergekoppelte Güterwaggons.

Die Regie der Bahn in solchen Fällen lautet: Die Gefahr muss so schnell wie möglich runter vom Gleis. Die Waggons hätten womöglich, hätten sie die Steigung am Nordbahnhof überwunden, bis zum Hauptbahnhof rollen können. Der Mitarbeiter im Stellwerk entschied sich dafür, die Waggons am nächsten Bahnhof zu stoppen – indem er die Weichen auf Abstellgleis 1 a stellte.

Niemand weiß, wie lange die Waggons schon unterwegs waren, ehe der Fahrdienstleiter sie entdeckte. Sie sollen vom Rangierbahnhof Kornwestheim gekommen sein. Für die mehr als vier Kilometer lange Strecke zwischen Kornwestheim und Feuerbach braucht eine S-Bahn mit Beschleunigung und Zwischenhalt sechs Minuten. Waggons ohne Antrieb dürften länger gebraucht haben – um am Ende mit dieser Geschwindigkeit und Wucht unterwegs zu sein.

Wie viele Minuten die Notfallleitstelle der Bahn braucht, um die Bundespolizei zu verständigen, ist dagegen dokumentiert. Um 4.16 Uhr geht bei der Bundespolizei der Alarm ein, eine Viertelstunde später. Um 4.25 Uhr erfährt auch die Leitstelle der Stuttgarter Polizei von dem Vorfall, die Beamte des Feuerbacher Reviers in Gang setzt. Um 4.37 Uhr rückt schließlich auch die Feuerwehr aus. Sie hat nicht viel zu tun – dabei lauern durchaus versteckte Gefahren. Später stellen Mitarbeiter des Energieversorgers EnBW fest, dass bei den Gasleitungen etwas nicht stimmt. Irgendwo ein Leck? Das Gas wird vorsorglich abgestellt.

Derweil ermittelt die Bundespolizei am Güterbahnhof Kornwestheim, wo und wie die Waggons in Bewegung gekommen sein könnten. „Nach unseren bisherigen Erkenntnissen waren die Waggons dort abgestellt“, sagt Bundespolizei-Sprecherin Cora Thiele. Dass sie ein fahrender Zug verloren haben könnte, dafür gebe es keine Hinweise.

Offenbar waren die Weichen in Kornwestheim so gestellt, dass die Fahrt in Streckengleise führen konnte. Eine Schutzweiche, die einen führungslosen Wagen am Übergang zur Schnellstrecke stoppen würde, gibt es offenbar nicht.

Am Freitag gab es ein Chaos – Bahnreisende mussten improvisieren, um ihren Zug zu finden. Auch am Wochenende wird es viele Ungewissheiten geben. Saygun Yurtdas hat es schlimmer getroffen. Das Gas ist abgestellt, er muss sich mit seiner Lebensgefährtin ausquartieren. Und sein Wagen steht jetzt auch in der Werkstatt. Beim Aufprall der Waggons waren Steinbrocken geflogen – sie demolierten sein Auto auf dem Parkplatz.