Fußball-England am Boden: Die Nationalspieler um Kapitän Wayne Rooney und Torwart Joe Hart können das EM-Aus gegen Island nicht fassen. Foto: Getty Images Europe

Häme, Spott, Verachtung: Mit „hirntotem Fußball“ („Times“) flog England hochkant aus der EM. Nach der peinlichen Blamage gegen Island steht die vermeintliche Wunder-Generation schon infrage. Jetzt sucht der Verband einen Trainer und eine Strategie gegen das stete Versagen.

Nizza - England is an Island – dieses Wortspiel muss (erlaubt) sein, auch wenn es nur zur Hälfte stimmt. Wäre England nicht nur eine Insel, sondern auch Island, dann würde es nun Frankreich herausfordern, und seine Spieler und Trainer müssten sich nicht als Volltrottel beschimpfen lassen, die nichts aus ihrer Geschichte gelernt haben.

Allen voran ihr Trainer: Nach diesem hilflosen, planlosen und kopflosen Gekicke beim 1:2 gegen die Wikinger muss die Frage erlaubt sein, wie es Roy Hodgson jemals in die Technischen Kommissionen der Uefa und Fifa geschafft hat, die es sich zur Aufgabe gemacht haben, die taktische Entwicklung des Fußballs zu analysieren. Von deren Mitgliedern sollte mehr zu erwarten sein als der Beckenbauer’sche Leitsatz: „Geht’s raus und spuit’s.“

Hodgson kommt seiner Entlassung zuvor

So aber traten die Engländer auf, bestärkt durch ihre frühe Führung nach dem Elfmetertor von Wayne Rooney (4.). Ja, die langen Einwürfe von Aron Gunnarsson seien „eine Waffe“, hatte Hodgson versichert, man werde sich darauf vorbereiten. Dennoch fiel der Ausgleich postwendend nach einem langen Einwurf von Aron Gunnarsson. Beim 1:2 durch Kolbeinn Sigthorsson erwies sich Joe Hart als würdiges Aushängeschild der belächelten Torwartschule seines Landes, als er den Ball durch die Finger flutschen ließ. Beim folgenden Sturmlauf aufs isländische Tor war keine Strategie zu erkennen außer jener, den Ball hoch und weit nach vorn sowie hoch und unplatziert nach innen zu schlagen. Dennoch sangen die Fans unverdrossen: „Rule Britannia“. Es klang wie „Fool Britannia“ (dummes England). „In Englands 144-jähriger Geschichte ist nichts mit dieser Schande vergleichbar – nichts“, ätzte die honorige „Times“ über „hirntoten Fußball gegen ein Land von 330 000 Einwohnern, trainiert von einem Zahnarzt. England hat aufgehört, ein Fußball-Team zu sein, und ist nur noch eine Lachnummer.“

Roy Hodgson (68), der mit der unterirdischen Bilanz von drei Siegen in elf Turnierspielen seit der EM 2012 abtritt, empfand wohl Ähnliches. In der Pressekonferenz verlas er monoton seine Rücktrittserklärung vom Zettel ab, ohne Fragen zuzulassen – so kam er seiner Entlassung zuvor. Wayne Rooney (30) ist davon weit entfernt, obwohl auch er mit den Three Lions zum sechsten Mal bei einer WM oder EM gescheitert ist: „Ich bin stolz, für England zu spielen. Ich werde sehen, wer der nächste Teammanager ist. Und wenn ich nominiert werde, stehe ich bereit.“ Dabei war dem Stürmer schon in Frankreich die Ersatzbank nur erspart geblieben, weil Hodgson ihn im Mittelfeld zwischengeparkt hatte. Dort gab er den Seinen keinen Halt, sondern ging mit unter. Welche Schmach! „England wird von einem Land mit mehr Vulkanen als Profifußballern geschlagen“, höhnte Ex-Kapitän Gary Lineker.

Trostlose Kandidatenliste für die Trainer-Nachfolge

Außer einem neuen Trainer muss der englische Verband nun eine Strategie gegen das stete Versagen entwickeln, wobei das eine mit dem anderen zusammenhängt. Die Kandidatenliste für die Hodgson-Nachfolge liest sich ähnlich trostlos wie die Bilanz der vergangenen zehn Jahre – seit der WM 2006 hat England bei einer WM oder EM kein Spiel der K.-o.-Runde mehr gewonnen. Darauf stehen Trainer mittelmäßiger bis schlechter englischer Clubs (Alan Pardew von Crystal Palace und Sam Allardyce vom FC Sunderland), Ausländer über ihrem Zenit (Arsène Wenger vom FC Arsenal und Rafael Benitez, der mit Newcastle United abgestiegen ist) oder TV-Experten, die sich selbst ins Gespräch brachten (Alan Shearer).

Seit Jahren sonnen sich die Premier-League-Clubs im Lichte hochkapitalisierter Investoren und werfen ihre Fernseh-Milliarden als Köder für oftmals mittelmäßiges Personal aus ganz Europa aus. Insofern wirkt es wie ein Geschenk des Himmels, dass bei der EM in Spielern wie Harry Kane (22), Eric Dier (22), Dele Alli (20), Raheem Sterling (21), Jack Wilshere (24) oder Marcus Rashford (18) eine junge Generation auf dem Platz stand, die durchaus begabt scheint, aber mehr durch Enthusiasmus begeistert als durch strategisches Denken. Sie benötigt eine taktische Anleitung, die ihrem Vorwärtsdrang eine alltagstaugliche Perspektive verschafft. Dumm, dass Jürgen Klopp beim FC Liverpool unabkömmlich ist.