Devotionalien in Blenheim. Foto: Hamann

Auch 50 Jahre nach seinem Tod ist der frühere Premier in Großbritannien beliebt wie eh und je. Das Königreich feiert seinen Kriegshelden Sir Winston mit diversen Ausstellungen.

London - Man hat das Gefühl, er ist nur eben kurz hinausgegangen. An seinem Platz am Konferenztisch steht sein silberner Aschenbecher, darin eine halb angerauchte Zigarre. In einer roten Schachtel, groß wie ein Schuhkarton, liegt die zu bearbeitende Korrespondenz. Die Armlehnen seines Holzstuhls tragen Kerben, die der Premierminister vor Wut mit seinem Siegelring geschlagen hat. Vielleicht sitzt er jetzt gerade drüben, im transatlantischen Telefonzimmer, raucht und spricht Vertrauliches über die abhörsichere Leitung mit US-Präsident Roosevelt.

Oder er hat sich nebenan in seinem Schlafzimmer kurz hingelegt. In Churchills Bunker ist es, als sei die Zeit eingefroren. Die geheime Kommandozentrale des Zweiten Weltkriegs unter dem britischen Finanzministerium im Londoner Stadtteil Westminster blieb original erhalten - 70 Jahre nach ihrem letzten Gebrauch und 50 Jahre nach dem Tod des Hauptdarstellers. In der 1939 eingerichteten Anlage suchten Premier Winston Churchill (1874-1965), seine Minister und die Generäle der Royal Army Schutz während der Luftschlacht um England. Hier planten sie die Gegenangriffe auf Hitler-Deutschland. „Der Bunker liegt nur drei Meter unter der Erde. Wirklich sicher war er nie, wenn die Nazis einen Volltreffer gelandet hätten“, erzählt Phil Reed (64), Direktor der Churchill War Rooms. In dem Keller wurden über 100 Kabinettssitzungen abgehalten, und Churchill sprach einige mitreißende Reden an die Nation ins Mikrofon. Der Kartenraum mit der damals hochmodernen Rohrpost und den Telefonen aus buntem Bakelit, der Konferenzraum, die Schlafzimmer - all das blieb einfach zurück, als die Mannschaft 1945 nach dem Sieg über Japan die War Rooms freudig verließ. Erst Anfang der 1980er Jahre wurden die Räume der Öffentlichkeit zugänglich gemacht.

„Ich habe nichts anderes anzubieten als Blut, Mühsal, Tränen und Schweiß“

In direktem Anschluss an die Bunkeranlage befindet sich das Churchill Museum. Die beeindruckende Multimediaschau wurde 2005 konzipiert und hat sechs Millionen Pfund Sterling gekostet (heute 8,32 Mio. Euro). Sie zeigt das Leben und Werk des entscheidenden Gegenspielers von Hitler mit allerlei Filmchen und Features. Man kann hier drücken und dort einen Touchscreen bedienen, dann dröhnen Flugzeuge der deutschen Luftwaffe über den Köpfen, und Churchill spricht seine berühmte Worte: „Ich habe nichts anderes anzubieten als Blut, Mühsal, Tränen und Schweiß.“ Besonders gerne soll sich Winston Churchill nicht in seiner unterirdischen Kommandozentrale in London aufgehalten haben. „Er übernachtete nur dreimal hier. Es war ihm viel zu unbequem. Er konnte etwa nicht wie gewohnt zweimal am Tag ein Bad nehmen“, erzählt Direktor Phil Reed. Der „größte Brite aller Zeiten“ hatte eben auch seine Schwächen - zum Beispiel für Champagner. Fünf Flaschen trank er pro Woche, am liebsten solchen der Marke Pol Roger. Die größtenteils huldigende Schau verschweigt jedoch nicht, dass Churchill nur in Kriegszeiten zu großer Form auflief. 1945 wurde Englands Retter auch prompt abgewählt und verfiel in eine Phase der Depression.

Wer diese schillernde Persönlichkeit besser verstehen möchte, muss aufs Land hinausfahren, in das Dorf Woodstock nahe Oxford. Hier steht Blenheim Palace, der Stammsitz der Herzöge von Marlborough. Winston Leonard Spencer-Churchill, so sein vollständiger Name, stammt aus britischem Hochadel. Leider war Vater Randolph nur der zweitgeborene Sohn des 7. Duke. Der Titel ging daher vom Opa auf den Onkel über. Doch das störte den forschen Winnie nicht. Er wollte ohnehin lieber in die Politik. Der Stammsitz seiner Familie bedient alle England-Klischees: grüne Wälder, üppige Wiesen mit putzigen Schafen, ein See, eine monumentale Brücke, dazu das edle Barockschloss, errichtet aus honigfarbenem Limestone aus den nahen Cotswolds. Blenheim ist hohe Kunst - verewigt von keinem Geringeren als Malerlegende William Turner. Blenheim ist großes Kino und diente als Kulisse für zahlreiche Filmszenen, etwa in „Hamlet“ oder „Harry Potter und der Orden des Phoenix“.

Die Sturzgeburt ist heute der größte Trumpf des Hauses

Im Februar fanden hier Dreharbeiten für den James-Bond-Streifen „Spectre“ statt. Dass Winston Churchill 1884 auf dem Schloss geboren wurde, war allerdings ein Zufall. „Seine Mutter Jennie Jerome war bei einer Jagdgesellschaft bei ihren Schwiegereltern zu Gast und kam beim Tanzen im siebten Monat in der Damengarderobe nieder“, erzählt Gästeführerin Christine Gadsby (73), gebürtige Wienerin. Die Sturzgeburt ist heute der größte Trumpf des Hauses. Nicht nur Touristen, auch viele geschichtlich interessierte Briten kommen her. Sie trinken Winston Churchills Lieblingschampagner an der Bar, wandeln durch die illustren Räume und bewundern eine goldene Locke, die man ihm als Fünfjähriger abgeschnitten hat. Auch 50 Jahre nach seinem Tod ist Winston Churchill bei den Briten beliebt wie eh und je. Anlässlich des Gedenktages wurde in seinem Geburtshaus eine neue Ausstellung mit bisher noch nicht gezeigten Exponaten aus Familienbesitz eingerichtet.

Vom ledernen Babysattel des kleinen Winnie bis zum rotsamtenen Einteiler-Hausanzug des Staatsmannes. Dazu Briefe, Bilder, Fotos. Man erfährt, dass Churchill ein unbegabter Schüler war, der mehrfach sitzenblieb und einzig im Schwimmen, Reiten und in Englisch punktete. „Er wollte es mit seiner späteren Karriere seinem Vater beweisen“, sagt Christine Gadsby. Leider erlebte Randolph Henry Spencer-Churchill nicht mehr, wie sein Erstgeborener zum Nationalhelden wurde. Obwohl er in Blenheim nie wohnte - sein Privathaus steht in Chartwell in der Grafschaft Kent -, hat der Ort in Oxfordshire eine ganz besondere Bedeutung. „In Blenheim fasste ich zwei sehr wichtige Entschlüsse: geboren zu werden und zu heiraten. Mit beiden Entscheidungen bin ich überaus zufrieden“, notierte Winston Churchill.

Auch den Ort dieses Antrags kann man besichtigen: ein kleiner Tempel im Park. Ein paar Schritte entfernt wird zurzeit ein Gedenkgarten angepflanzt, der im Juni eröffnet wird. Die ganz eingefleischten Anhänger fahren jedoch lieber einige Kilometer weiter in den Ort Bladon. Hier, auf dem kleinen Kirchhof der Parish Church of St. Martin, hat Winston Churchill seine letzte Ruhe gefunden. Am Grab stehen immer frische Blumen. Tag für Tag. Der starke Mann hatte viele Schwächen - etwa für Champagner.

Infos zu London

Anreise
Flüge nach London-Heathrow ab Stuttgart mit Germanwings ( www.germanwings.com ) oder British Airways ( www.ba.com ).

Unterkunft
Das St. Ermins Hotel nahe dem St. James’s Park spielte während des Krieges eine historische Rolle. Hier richtete Winston Churchill 1940 im obersten Stock eine Spezialeinheit des britischen Nachrichtendienstes ein. Die Hotelgäste wussten nichts davon. Doppelzimmer ab 290 Euro, www.sterminshotel.co.uk .

Zu Ehren des früheren Premierministers trägt das Hotel Hyatt Regency den Beinamen „The Churchill“, DZ mit Frühstück ab 440 Pfund, www.london.churchill.hyatt.com .

Essen und Trinken
Im kuriosen Pub The Churchill Arms in Notting Hill (119 Kensington Church Street) kann man nicht nur Bier trinken, sondern auch thailändisch essen, Hauptgerichte ab 11 Euro. Dabei gibt es eine unglaubliche Ansammlung von Trödel sowie frische Topfpflanzen zu bewundern, http://churchillarmskensington.co.uk

Sehenswertes
Churchill War Rooms und Churchill Museum, Horse Guards Road/Ecke Clive Steps, London, Eintritt: ca. 22 Euro für Erwachsene, Kinder ab fünf Jahren zahlen ca. 11 Euro, www.iwm.org.uk/exhibitions/churchill-war-rooms/cabinet-war-rooms

Churchills Geburtshaus Blenheim Palace liegt in der Nähe von Oxford. Anlässlich seines 50. Todestages wurde eine Sonderschau eingerichtet, die noch bis zum 20. Dezember 2015 läuft. Eintritt: ca. 31 Euro, Kinder: ca. 17 Euro, www.blenheimpalace.com

Nur wenige Kilometer vom Schloss entfernt, auf dem Friedhof der Kirche St. Martin’s in Bladon, liegt Churchill begraben, direkt neben seinen Eltern. Vom Schloss aus kann man sich mit einem Golfauto hinbringen lassen. Weitere Informationen: www.oxfordshirecotswolds.org/things-to-do/attractions/bladon-st-martins-church-p457661

London Walks bietet einen Stadtrundgang auf den Spuren von Churchill („In Winston Churchill’s Footsteps“), Guide Hilary Ratcliffe führt zwei Stunden lang durch das Regierungsviertel. Start an der U-Bahn-Station Embankment, Kosten: 12,50 Euro pro Person, www.walks.com/Popups/Tour_of_Winston_Churchills_London/popupwindow.aspx#18917

Ab dem 1. Mai bietet London Walks einen Tagesausflug nach Blenheim Palace und Oxford an (90 Euro). Des 50. Todestags von Winston Churchill wird noch das ganze Jahr über in Großbritannien mit diversen Veranstaltungen gedacht. www.wcmt.org.uk/about-us/churchill-2015-50th-anniversary-events-and-activity

Allgemeine Informationen
Britische Zentrale für Tourismus, www.visitbritain.com