Wann beim Netzausbau Einigung herrscht, steht in den Sternen Foto: dpa

Die baden-württembergische Wirtschaft steht unter Strom: Weil der Ausbau der Trassen, die Strom vom windreichen Norden nach Baden-Württemberg bringen sollen, nicht vorankommt, fürchten Unternehmen eine Zweiteilung des Strommarkts: In einen günstigeren Norden und einen teureren Süden.

Stuttgart - Der Schlingerkurs der bayerischen Landesregierung beim Neubau von riesigen Stromautobahnen macht die Wirtschaft in Baden-Württemberg zunehmend nervös. „Der Trassenbau muss jetzt vorangetrieben werden und das Gezerre ein Ende haben“, sagte Peter Kulitz, Präsident des Baden-Württembergischen Industrie- und Handelskammertags (BWIHK).

Denn: Sollte es nicht gelingen, Strom vom windreichen Norden in den Süden zu transportieren, droht nach einem Gutachten des Deutschen Industrie- und Handelskammertags (DIHK), das unserer Zeitung vorliegt, eine Zweiteilung des Strommarkts in einen billigeren Norden und einen teureren Süden.

„Wir wollen keinen zweigeteilten Strommarkt und keine höheren Preise“, sagte Kulitz. Dies würde vor allem die besonders energieintensive industrielle Produktion empfindlich treffen, sagte Jakob Flechtner, Referatsleiter Energieinfrastruktur und Versorgungssicherheit beim DIHK, unserer Zeitung. Energieexperten rechnen in diesem Fall mit einem höheren Preis an der Börse von einem bis zwei Cent.

„Wäre Strom im Süden Deutschlands deutlich teurer, würde das unmittelbar auf die Produktionskosten durchschlagen“, so Flechtner. „Dann hätten baden-württembergische Betriebe einen Nachteil im nationalen und internationalen Wettbewerb.“ Für die Verbraucher würde der Preisaufschlag verhältnismäßig gering ausfallen. Für energieintensive Unternehmen aber wie Metallschmelzen oder Chemiebetriebe könnte dies eine Steigerung des jährlichen Strompreises um zehn Prozent bedeuten.

Um die schrittweise Abschaltung der Atomkraftwerke zu kompensieren, müssen in Deutschland in den kommenden zehn Jahren massiv die Netze ausgebaut werden. Insgesamt sind 2800 Kilometer an neuen Höchstspannungstrassen geplant, 2900 Kilometer im bestehenden Netz sollen für die erhöhte Ökostrom-Einspeisung optimiert werden. Gegen diesen Ausbauplan und dessen Umsetzung regt sich massiver Widerstand. Vor allem in Bayern.

Im Mittelpunkt der Streitigkeiten stehen die beiden sogenannten Hauptschlagadern der Energiewende, die durch Bayern führen: Der sogenannte Südlink, der Windstrom bis zum Jahr 2022 von Schleswig-Holstein über Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen und Hessen nach Bayern und Baden-Württemberg transportieren soll, und die Gleichstrompassage Süd-Ost, die von Sachsen-Anhalt in Richtung Augsburg verläuft.

Der bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) hatte die Trassen wiederholt infrage gestellt. Im Rahmen eines sogenannten Energiedialogs mit Gegnern und Befürwortern der Trassen will Bayern eine Stellungnahme zum Netzentwicklungsplan (NEP) erarbeiten und Anfang Februar seine Ergebnisse präsentieren.

Zuletzt hatte Bayerns Energieministerin Ilse Aigner (CSU) mit einer Äußerung für Verwirrung gesorgt, dass sie nicht den Bedarf zweier großer Stromtrassen sehe, sondern stattdessen für die Errichtung von Gaskraftwerken sei.

Franz Untersteller (Grüne), Umweltminister in Baden-Württemberg, forderte Bayern auf, sich an gemeinsam getroffene Vereinbarungen zu halten. „Ich bin weder gewillt, in den nächsten Jahren wieder eine Debatte über die Laufzeitverlängerung von Atomkraftwerken führen zu müssen, noch werde ich tatenlos zusehen, wie Deutschlands Strommarkt in zwei Teile Nord und Süd zerfällt“, sagte er unserer Zeitung.

Das Prozedere, wo welche Stromtrasse gebaut wird, ist einigermaßen kompliziert und funktioniert so: Am Anfang steht ein Netzentwicklungsplan. Dabei handelt es sich um einen von den vier Übertragungsnetzbetreibern ausgearbeiteten Plan zum Ausbau der deutschen Stromübertragungsnetze. Die vier Übertragungsnetzbetreiber – auch ÜNB genannt – sind für vier unterschiedliche Regionen zuständig: Tennet betreut den nord-, mittel- und süddeutschen Raum und Transnet BW Baden-Württemberg. 50hertz ist für den östlichen Bereich zuständig, und Amprion deckt den westlichen Bereich ab.

Der Netzentwicklungsplan wird jährlich neu berechnet und muss dann von der Bundesnetzagentur geprüft und genehmigt werden. Anschließend bewerten Bundesregierung, Bundestag und Bundesrat, welche Maßnahmen des Plans umgesetzt werden. Dies wird sodann im Bundesbedarfsplangesetz (BBPlG) verankert.

Erst wenn der Bedarf einer Verbindung im BBPlG gesetzlich verankert ist, starten die ÜNB mit der Planung der konkreten Trassenverläufe. Die nächste Gesetzgebung steht 2016 an. Dann muss der Gesetzgeber darüber befinden, inwiefern die Stellungnahme aus Bayern berücksichtigt werden kann. Besonders unverständlich ist für viele, dass die beiden zur Diskussion stehenden Trassen bereits im Bundesbedarfsplangesetz aus 2013 in weiten Teilen verabschiedet worden sind. Diesem Gesetz hatte Bayern damals zugestimmt. „Den Ausbau der Stromnetze zu bremsen oder zu verhindern wäre Politik gegen die Wirtschaft und würde damit den Wirtschaftsstandort Deutschland gefährden“, sagte Untersteller. „Das ist unverantwortlich.“