Der Abbau des Atomkraftwerks Neckarwestheim I hat bereits begonnen: Im Juni wurden die Kühltürme demontiert. In der Bildergalerie finden Sie die Fotos. Foto: Max Kovalenko/PPF

Atomausstieg belastet Konzern schwer, dennoch will man nicht vors Bundesverfassungsgericht.

Karlsruhe - Deutschlands drittgrößter Energiekonzern EnBW wird keine Verfassungsbeschwerde gegen die vorzeitige Abschaltung zweier seiner Atommeiler einlegen. Wie das Unternehmen mitteilte, beruhe die Entscheidung im Wesentlichen auf der Tatsache, dass die EnBW – anders als ihre drei Konkurrenten Eon, RWE und Vattenfall – im Besitz der öffentlichen Hand sei. Deshalb fehle es ihr an Grundrechtsfähigkeit. Das Unternehmen könne daher seine Rechte nicht vor dem Bundesverfassungsgericht geltend machen.

Seit Dezember 2010 ist der Karlsruher EnBW-Konzern mehrheitlich in der Hand des Landes Baden-Württemberg sowie des Energie-Zweckverbands OEW, in dem mehrere Landkreise aus dem Oberschwäbischen organisiert sind. Mittlerweile halten sowohl die OEW als auch das Land über seine Beteiligungsfirma Neckarpri je 46,5 Prozent der EnBW-Aktien. Dazu kommen mehrere Kommunen als Kleinaktionäre.

Die übrigen Atomstromkonzerne sind – wenn überhaupt – nur teilweise in kommunaler Hand. Sie hatten ihre juristischen Schritte gegen die Abschaltung von insgesamt acht deutschen Meilern im März vergangenen Jahres mit der Verletzung von Grundrechten begründet, unter anderem dem Gleichheitsgrundsatz, der Berufsfreiheit und dem Recht an Eigentum. Durch die nun strittige 13. Atomgesetznovelle wurde den Konzernen die Betriebsgenehmigung für ihre Meiler ohne Entschädigung entzogen. Durch die Klage versuchen sie nun, finanzielle Wiedergutmachung zu erstreiten.

Das letzte deutsche AKW soll gemäß Atomgesetz im Jahr 2022 vom Netz

Allein Eon macht einen Schaden von mindestens acht Milliarden Euro in Karlsruhe geltend. RWE und Vattenfall haben keine Summen genannt. Aus RWE-Kreisen war aber verlautet, die eigenen Forderungen beliefen sich auf mindestens zwei Milliarden Euro. Einem Zeitungsbericht zufolge summieren sich die Gesamtforderungen der Konzerne, die die deutsche Stromerzeugung dominieren, auf rund 15 Milliarden Euro.

Ein EnBW-Sprecher sagte gegenüber unserer Zeitung, man werde die betreffenden Summen öffentlich nicht nennen. Anfang März bezifferte der Konzern allein die 2011 angefallenen Kosten gegenüber unserer Zeitung auf 850 Millionen Euro. Allein für Rückstellungen zur Stilllegung der Meiler Philippsburg II und Neckarwestheim I sowie Abschreibungen auf die nun nutzlosen Brennelemente wurden 421 Millionen Euro fällig. Dazu kamen noch Belastungen durch die Brennelementesteuer.

Das letzte deutsche AKW soll gemäß Atomgesetz im Jahr 2022 vom Netz. Sollte das Bundesverfassungsgericht die Rechte der Atomkraftwerksbetreiber tatsächlich verletzt sehen, müssten die Versorger die Höhe des Schadenersatzes wohl vor einem anderen Gericht durchsetzen. Nach Meinung von Fachleuten haben die Konzerne einige Chancen, mit ihren Verfassungsbeschwerden erfolgreich zu sein.

„Der Entschluss, das Geld nicht einzutreiben, muss sehr gut begründet sein“

Dass die EnBW sich dem Beschwerde-Tross nicht anschließt, sieht man unter Juristen denn auch kritisch. „Der Entschluss, das Geld nicht einzutreiben, muss sehr gut begründet sein“, sagte der Hamburger Wirtschaftsrechtler Michael Adams unserer Zeitung. Immerhin gehe es um Milliarden. Mitunter setze sich der Vorstand sogar dem Vorwurf der Untreue aus. Der Hintergrund: Rechtlich ist der Unternehmensvorstand verpflichtet, im Sinne der Firma bzw. der Aktionäre zu handeln und Schaden von ihnen abzuwenden. Ein Tatbestand, der auf die vorzeitige Abschaltung von Atomkraftwerken, die den Konzernen über Jahrzehnte Milliardengewinne bescherten, sicherlich zutrifft. „In einem gewöhnlichen Unternehmen kann ein Vorstand für so etwas sicher haftbar gemacht werden“, sagte Adams mit Blick auf die jetzige Entscheidung der EnBW-Führung, die Atommilliarden nicht einzuklagen.

Auch das Argument der mangelnden Grundrechtsfähigkeit lässt der renommierte Wirtschaftsrechtler nicht gelten. Jede Aktiengesellschaft sei wie etwa auch Vereine grundrechtsfähig. „Mein Gefühl ist, dass das Argument der mangelnden Grundrechtsfähigkeit konstruiert ist“, sagte er. Die grün-rote Landesregierung könne an einer Klage gegen den Atomausstieg „kein Interesse haben“. Immerhin sei man politisch jahrelang für das Ende der Atomkraft in Deutschland eingetreten. Finanziell gesehen könnten erfolgreiche Klagen dem Land und der EnBW aber sehr wohl zupasskommen. 2011 rutschte die EnBW mit fast 900 Millionen Euro in die Miesen.

Da die juristische Karte nicht gezogen wurde, kann sich die EnBW nun aber nicht unbedingt Hoffnung auf Entschädigung machen. Theoretisch könnte zwar auch die EnBW profitieren, sollten die übrigen Konzerne Erfolg haben. Sicher ist das jedoch keineswegs. Adams sieht vor allem Verjährungsfristen als kritisch an. Diese könnten eine Auszahlung von Schadenersatz für den Karlsruher Konzern unmöglich machen.